Maulkorb für mutige Wiener Lehrerin

Direktorin Andrea Walach
Das Bildungsministerium verbietet einer Direktorin, die über Missstände an ihrer Schule geklagt hat, darüber zu reden. Das Ministerium bestreitet den "Maulkorb-Erlass".

Der Bericht aus einer Wiener Schule im KURIER am Sonntag lässt die Wogen weiter hoch gehen. Der Direktorin wurde vom Bundesministerium ein "Maulkorb-Erlass" erteilt. "Das ist kein Einzelfall, wenn einmal jemand öffentlich die Wahrheit sagt", sagt Paul Kimberger, Chef der Lehrergewerkschaft.

Was ist vorgefallen? Der KURIER bat den Stadtschulrat um Erlaubnis, eine Reportage über eine Neue Mittelschule (NMS) in Wien machen zu können. In Absprache fiel die Wahl auf die NMS Gassergasse in Margareten, ein Bezirk, mit hohem Migrantenanteil.

Maulkorb für mutige Wiener Lehrerin
In der Gassergasse ist Andrea Walach Direktorin. Der Anteil an Kindern mit nicht deutscher Muttersprache liegt dort bei 98 Prozent. An ihrer Schule, erklärte Walach, würden die Lehrer das Beste geben, doch seien die Defizite einiger Schüler so groß, dass sie auch nach dem Ende der Schulpflicht Deutsch nur in Satzfragmenten sprechen und kaum Lesen, Schreiben und Rechnen können. Für rund ein Drittel der Schüler sei aus ihrer Erfahrung der weitere Lebensweg vorgezeichnet, weil sie "leider nicht vermittelbar" seien: Ende der Schulpflicht, vergebliche Suche nach einem Lehrplatz, AMS-Kurse, Sozialhilfe. "Eine verlorene Generation" nennt das die Direktorin. Hauptgrund seien vor allem die massiv fehlenden Deutschkenntnisse.

Maulkorb

Am Dienstag erhielt Direktorin Walach ein Schreiben aus dem Bildungsministerium. "Das Schreiben ging an die Schulinspektoren, die es an mich weiterleiteten", erzählt Walach. "Inhaltlich geht es darum, dass der Schulinspektor mich belehren möge. Und wenn ich so wenig Ahnung hätte, sollte ich mich hüten, in der Öffentlichkeit etwas kund zu tun."

Walach zum KURIER: "Ich bin derzeit in meinem vierzigsten Dienstjahr, davon siebzehn Jahre als Direktorin. Ich denke, ich habe eine ganze Menge Ahnung."

Dementi aus dem Ministerium

Ist wirklich ein Maulkorb-Erlass an Schulleiterin Walach nach ihrem Weckruf ergangen?, fragte der KURIER Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek.

Diese weilt aber bis Ende der Woche in New York bei der UNO-Frauenstatuskommission. Aus ihrem Büro hieß es daher nur schriftlich: "Maulkorb-Erlässe" würden grundsätzlich nicht erteilt.

Problem grundsätzlich bekannt

Die Schulprobleme seien den Bildungsverantwortlichen in Bund und Ländern bekannt. Bei 15-20 Prozent der Schüler sei die "Kompetenzlage gering", gibt das Ministerium zu. Neben "zahlreichen Präventivmaßnahmen" werde an der "Ausbildungspflicht bis 18 Jahre" gearbeitet, um Jugendlichen eine längere Ausbildung zu ermöglichen.

Lehrer-Gewerkschafter Paul Kimberger ist ob des Schreibens an die Lehrerin erzürnt: "Das passiert immer wieder. Es ist nicht erwünscht, die Wahrheit zu sagen, wenn jemand die heile Welt am Minoritenplatz durcheinanderbringt. Aber sollte die Direktorin irgendwas disziplinarrechtlich zu befürchten haben, werden wir wenn nötig bis zum Höchstgericht gehen. Das ist einfach nur skandalös." Die Schule sei "alles andere als ein Einzelfall, sondern in Abstufungen an vielen Schulstandorten Realität".

Probleme ansprechen

Auch Stephan Maresch, Zentralausschussvorsitzender der Wiener Landeslehrer, weiß: "Die Schulpolitik hat es nicht gern, wenn man Probleme aus der Praxis anspricht. Man muss das aber erzählen. Denn für gesellschaftliche Entwicklungen kann niemand etwas. Dementsprechend sollte man gesellschaftliche Entwicklungen erkennen, diskutieren und dann rasch reagieren."

Die Probleme der NMS Gassergasse seien kein singuläres Phänomen: "In Wien gehen mittlerweile 60 Prozent der Kinder in eine AHS. Dafür muss die Pflichtschule die ganze Bandbreite der gesellschaftlichen Entwicklungen alleine abdecken, wie etwa den enormen Zuzug aus dem Ausland und nun auch die Flüchtlinge. Dazu kommen noch Probleme wie Leistungsverweigerer, Kinder mit psychisch und physischen Problemen. Und darauf hat die Bildungspolitik und auch die geplante Reform überhaupt keine Antwort gefunden."

Besuch des Präsidenten

Der Wiener Stadtschulrat will der Schule helfen. "Das Problem ist uns sehr wohl bewusst", heißt es aus dem Büro des amtsführenden Präsidenten Jürgen Czernohorszky: "Wir arbeiten an einem breiten Mix an Maßnahmen und zusätzlicher Unterstützung. " Ziel sei, in enger Kooperation mit jenen Schulen, "die besondere Herausforderungen haben, noch mehr Unterstützung geben zu können. Das wird entwickelt."

Direktorin Walach ist neuer Hoffnung: "Der amtsführende Präsident wird uns demnächst besuchen und sich unserer Probleme annehmen. Darüber freue ich mich sehr. Und ich erwarte mir auch, dass sich jetzt etwas ändern wird."

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