Europa rüstet gegen das Kalifat

Politik will per Gesetz Zulauf zu Dschihadisten einbremsen. Mehr Unterstützung für Regierung im Irak.

Es ist unsere Pflicht, auf die zunehmende Radikalisierung zu reagieren", sagt Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. "Gegen Dschihadisten kann es nur Null-Toleranz-Politik geben", sagt Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. "Wer Hass und Gewalt in Österreich sät, wird Gefängnis ernten," sagt Justizminister Wolfgang Brandstetter.

Die drei ÖVP-Regierenden suchen bessere Handhabe gegen Terrororganisationen wie den Islamischen Staat (IS). Verhindert werden soll, dass österreichischen Jugendliche in den Dschihad im Nahen Osten ziehen. Mitterlehner, Mikl-Leitner und Brandstetter setzen auf Vorbeugung, Dialog und – wenn beides nicht wirkt – auf Gesetzeshärte.

Verhetzungstatbestand

Derzeit kommt er zum Tragen, wenn jemand vor einer "breiteren Öffentlichkeit" (rund 150 Menschen) hetzt. Fortan soll er schon angewendet werden können, wenn jemand vor nur rund zehn Personen zu Gewalt gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen aufruft. Zudem sollen höhere Strafen (derzeit zwei Jahre) drohen. Besonders schwierig ist es, Hetzern im Internet beizukommen; via Social Media (Bilder, Filme, Aufrufe) werden ja viele Jugendliche radikalisiert. Und so werde von den Providern eine "Selbstverpflichtung" gegen Hetzer eingefordert, sagt Mikl-Leitner. Genaues soll es bis zum Polit-"Gipfel gegen Hass und Hetze" im Oktober geben.

Vorratsdatenspeicherung

Das Höchstgericht hat sie gekippt, Justizminister Brandstetter möchte sie wiederhaben: enger gefasst als ursprünglich, nur bei "schwerster Kriminalität und Terrorismus" soll die Polizei auf Daten (Telefon- und Internetverbindungsdaten) zugreifen können.

Abzeichengesetz

Einschlägige Embleme von 19 als terroristisch qualifizierten Gruppen (darunter IS und Al Kaida) sollen verboten werden.

Staatsbürgerschaftsgesetz

Wer sich einem paramilitärischen Verband anschließt, an bewaffneten Konflikten beteiligt, soll die Staatsbürgerschaft verlieren. Derzeit ist das nur möglich, wenn jemand in die Armee eines Landes eintritt. Der Pass kann auch künftig nur Menschen mit Doppelstaatsbürgerschaft entzogen werden – aus völkerrechtlichen Gründen.

Mehr Exekutivbeamte

Der Staatsschutz bekommt bis Ende September 20 zusätzliche Leute, um gegen radikale Gruppen vorzugehen. Elf dieser Beamten werden im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, die übrigen in den Landesämtern werken.

Eltern-Sanktus

Minderjährige sollen künftig nur mit Erlaubnis der Eltern den EU-Raum verlassen dürfen. Beamte kontrollieren das an der Grenze. Zuletzt sind auch Mädchen nach Syrien gereist, um dort im Bürgerkrieg zu kämpfen (siehe Seite 20).

"Deradikalisierungshotline"

"Das soll ein Angebot für Eltern, Lehrer etc. sein, Sorgen und Beobachtungen in Sachen Radikalisierung mitzuteilen", heißt es im Innenministerium gegenüber dem KURIER. Noch in diesem Jahr soll es diese Anlaufstelle geben; wo, steht noch nicht fest.

Prävention an Schulen

An der Uni soll ein islamisch-theologisches Studium eingerichtet werden, "um den interreligiösen Dialog und den Austausch zwischen den Kulturen voranzutreiben", wie Vizekanzler und Wissenschaftsminister Mitterlehner sagt. Im nächsten Hochschulbudget werden dafür drei Millionen Euro vorgesehen.

Das, was die ÖVP wolle, richte sich nicht gegen den Islam, sondern gegen den im Namen dieser Religion ausgeübten Terror, sagt Mikl-Leitner: "Dschihadismus hat nichts mit Islam zu tun."

Was hält der Koalitionspartner von den Vorschlägen? SPÖ-Heeresminister Gerald Klug bewertet sie nicht detailliert, er befindet lediglich: Gegen Extremismus zu kämpfen, sei "Ziel der Regierung. Jede Maßnahme, die hilft, hier einen Riegel vorzuschieben, ist grundsätzlich begrüßenswert." Der Islamischen Glaubensgemeinschaft missfällt eine. Sie ist dagegen, das Fahnen-Symbol der IS gesetzlich zu untersagen. Für verbotene Terrororganisationen zu werben und deren Taten zu verherrlichen stünde ohnehin unter Strafe.

Die schwarze Flagge der Terrorgruppe, die zugleich ihr überall präsentes Markenzeichen ist, verwendet gezielt zentrale Begriffe des Islam. So ist auf der Fahne das Glaubensbekenntnis aller Muslime: "Es gibt keinen Gott außer Gott" zu lesen. Gleich darunter befindet sich das sogenannte Siegel des Propheten mit dem Inhalt: "Mohammed, Gesandter Gottes". Erst darunter steht der Begriff "Islamischer Staat". Ein klarer Missbrauch religiöser Symbole.

Ein Verbot dieser Fahne wird von führenden Muslimen als heikel eingeschätzt, weil sie diese Motive enthält, die für alle Moslems Grundlage ihres Glaubens sind. Ein Verbot könnte vom IS propagandistisch ausgeschlachtet werden. Auch der vom IS ständig verwendete Begriff des Kalifats für ihr Territorium bezieht sich auf die Anfänge des Islam und die damals unter dem ersten Kalifen existierende Gemeinschaft aller Gläubigen ("Ummah"). Allerdings ist die auf der IS-Flagge verwendete Schrift laut Experten bewusst altertümlich und primitiv.

An die 3000 junge Männer aus dem Westen kämpfen derzeit in den Reihen des "Islamischen Staates" in Syrien und im Irak. Im Verhältnis zu den Bevölkerungszahlen kommen dabei die meisten aus Belgien und Dänemark (siehe Grafik). Und ihre Zahl wächst weiter, wie die europäischen Geheimdienste beobachten. Wirksame Möglichkeiten, die potenziellen Dschihadisten abzuhalten, haben die europäischen Staaten bisher noch nicht gefunden.

Ein EU-weites, koordiniertes Vorgehen gibt es nicht. Der "Islamische Staat" (IS) steht noch nicht einmal auf der EU-Terrorliste. Wie man mit den ausgereisten oder heimgekehrten Terrorkämpfern umgeht, regelt jeder EU-Staat für sich:

Deutschland hat in der vergangenen Woche alle Aktivitäten des IS im Land verboten. Kennzeichen und die schwarze Flagge der Terrormiliz dürfen nicht mehr gezeigt werden, das Anwerben von Kämpfern steht unter Strafe. Erstmals steht in Deutschland ein ehemaliger IS-Kämpfer vor Gericht. Dem 20-jährigen gebürtigen Kosovaren drohen wegen "staatsgefährdender Straftaten im Ausland" bis zu zehn Jahre Haft.

Während Berlin also vor allem darauf abzielt, die Propaganda des IS zu verhindern, setzte Frankreich bereits ein Ausreiseverbot für potenzielle IS-Kämpfer durch. Seit Juli dürfen Personen, die sich "klarerweise" einer Dschihad-Bewegung anschließen wollen, das Land nicht mehr verlassen.

Die Schwierigkeit dabei: Frankreich hat bei Weitem nicht genug Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter, um alle Personen auszuforschen und zu überwachen, die eventuell nach Syrien aufbrechen könnten. Geplant ist auch, dass Minderjährige künftig eine ausdrückliche Genehmigung ihrer Eltern vorlegen müssen, wenn sie nach Syrien oder in Durchgangsländer wie die Türkei reisen wollen. Die Niederlande haben diese Regelung für Jugendliche durchgesetzt.

Auf Ausreisesperren für minderjährige Möchtegernkämpfer arbeitet auch die Schweizhin. Bisher dürften zwar nur 40 Personen die Eidgenossenschaft in Richtung Dschihad verlassen haben. Der jüngste Geheimdienst-Lagebericht weist aber warnend darauf hin, dass sich die Zahl der Dschihadisten innerhalb nur eines Jahres verdoppelt habe.

Großbritannien hat im Kampf gegen die Extremisten die Polizei mit mehr Befugnissen ausgestattet: Grenzpolizisten dürfen Verdächtigen ab sofort den Reisepass einziehen und ihn so an der Ausreise hindern. Gescheitert ist Premier David Cameron hingegen mit seinem Vorstoß, heimkehrende Syrien-Kämpfer mit britischem Pass erst gar nicht wieder einreisen zu lassen. Rechtlich ist dies nicht möglich. Doppelstaatsbürgern aber könnte der britische Pass aberkannt werden.

Auch Frankreich und die Niederlande können den heimgekehrten IS-Kämpfern den französischen bzw. den niederländischen Pass entziehen, wenn sie eine Doppelstaatsbürgerschaft besitzen.

Wer an der Seite der Dschihadisten im Krieg war, kann nach seiner Heimkehr in den meisten europäischen Ländern angeklagt werden. Theoretisch. "Denn von hier aus ist es natürlich sehr schwer zu beweisen, welche Verbrechen die Leute in Syrien oder im Irak begangen haben", schildert der niederländische Rechtsexperte Christophe Paulussen (Asser Institute) dem KURIER.

Nicht nur die Symbole der IS sondern die sämtlicher Organisationen, die dem Al-Qaida-Netzwerk zuzurechnen sind, sollen in Österreich verboten werden. Auf einer Liste des Innenministeriums scheinen insgesamt 19 Gruppen auf.

Aufgezählt werden:

Islamischer Staat (IS)

Al-Qaida

Al-Qaida in Irak (auch u.a. AQI)

Organisation Al-Qaida im Islamischen Maghreb (auch u.a. AQIM)

Al-Qaida in the Arabian Peninsula (auch u.a. AQAP)

Abu Sayyaf

Emarat Kavkaz - Emirat Kaukasus

Egyptian Islamic Jihad

Ansar al-Islam

Harakat Ul-Mujahidin/HUM

Islamic Army of Aden

Jemaah Islamiya

Libysche Islamische Kampfgruppe (auch LIFG)

Moroccan Islamic Combatant Group (auch GICM)

Tunisian Combatant Group (auch GICT)

Lashkar e-Tayyiba

Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP)

Mouvement pour l'Unification et le Jihad en Afrique de l'Ouest (MUJAO)

Ansar Eddine

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