Ludwig Steiner: Der letzte Zeitzeuge des Staatsvertrags ist tot

Die österreichische Regierungsdelegation im April 1955 in Moskau: Staatssekretär Kreisky, Vizekanzler Schärf, Bundeskanzler Raab, Außenminister Figl, Botschafter Bischoff und Ludwig Steiner (v.li.), damals Raabs Kabinettschef, der später Staatssekretär im Außenamt war.
Bis zuletzt war der Widerstandskämpfer und Mitverhandler des Staatsvertrags ein zutiefst politischer Mensch.

Er ist im Mai 1945 mit einer Gruppe von Widerstandskämpfern den Amerikanern entgegen marschiert – und war damit an der Befreiung Innsbrucks von der Nazi-Herrschaft beteiligt.

Er war als Kabinettschef von Kanzler Julius Raab an den Verhandlungen in Moskau beteiligt, die zum Staatsvertrag geführt haben.

Er hat mit Italien über den Autonomie-Status für Südtirol verhandelt – und ist bis zuletzt ein zutiefst politischer Mensch geblieben: Am vergangenen Sonntag ist Ludwig Steiner, eine der prägendsten politischen Persönlichkeiten der Nachkriegszeit, nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 93 Jahren gestorben.

"Trinken, trinken"

Vor nicht einmal zwei Monaten hat der ÖVP-Mann anlässlich der Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren und zum 60-Jahr-Jubiläum des Staatsvertrags seine letzten Interviews gegeben. Da hat der gebürtige Innsbrucker in der Tiroler Tageszeitung etwa geschildert, dass die "Sowjets" bei Tisch äußerst trinkfreudig gewesen seien. "Ich bin neben einem sowjetischen Minister gesessen, der hat gesagt: ‚Trinken, trinken.‘ Ich habe aber nur Wasser getrunken." Das Gerücht, wonach die Österreicher den Staatsvertragsabschluss mittels Alkohol beschleunigt hätten, bezeichnete Steiner dennoch als "idiotisch".

Die Neutralität Österreichs, die mit den "Sowjets" vereinbart worden war, titulierte der promovierte Volkswirt und gelernte Diplomat im hohen Alter als "obsolet" ("Wem gegenüber soll man im vereinten Europa neutral sein?").

Vater im KZ

Trotz seiner maßgeblichen Rolle in Sachen Staatsvertrag bezeichnete der einstige Außenamtsstaatssekretär die Befreiung von der Nazi-Diktatur als das wichtigere Ereignis. Das hat wohl mit der persönlichen Lebensgeschichte zu tun. Steiners Vater, ein christlich-sozialer Gemeinderat, starb an den Folgen seiner Haft in den KZs Sachsenhausen und Dachau.

Der Sohn, zu Kriegsbeginn 16 Jahre alt, wurde 1943 an der Eismeerfront schwer verwundet. Er war mit dem späteren Außenminister Karl Gruber im Widerstand aktiv. Gruber war es auch, der Steiner 1952 ins Außenamt geholt hat. Im Jahr danach stieg er zum Kabinettschef von Kanzler Raab auf, 1961 wurde der Tiroler Staatssekretär im Außenministerium.

Nach Stationen als Botschafter saß der Langzeitpolitiker elf Jahre im Nationalrat, wo er die Untersuchungsausschüsse in den Fällen Lucona und Noricum geleitet hat. Steiner war auch Vizepräsident des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW).

"Geschichte gestaltet"

ÖVP, SPÖ und die Südtiroler Volkspartei würdigten den Verstorbenen. Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel sagte: "Er war einer der ganz großen Männer der österreichischen Außenpolitik." Vizekanzler Reinhold Mitterlehner befand, Steiner habe nicht nur Geschichte mitgestaltet, "er hat auch selbst Geschichte geschrieben".

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