Leben hinter Gittern: Was Ernst Strasser erwartet

Leben hinter Gittern: Was Ernst Strasser erwartet
Von Helmut Elsner bis Hannes Kartnig. Wie prominente Häftlinge das Leben hinter Gittern erlebten.

Selbstverständlich kannten die beiden Häftlinge einander. Unzählige Male waren der Graf und der Bankgeneral einander bei Bällen, Charity-Events und Konzerten begegnet. Unzählige Male parlierten sie. Small Talk eben, der keine Erinnerung wert ist. Das änderte sich im März 2009 auf der Ebene Z5 im Grauen Haus, wie die Wiener die Justizanstalt Josefstadt nennen. Weit weg vom Luxus der gewohnten Beletage, umringt von grünen Wänden, grünen Eisentüren, Justizwachebeamten und Gitterstäben, kreuzten sich ihre Wege wieder.

"Grüß Gott, Herr Graf!", rief plötzlich einer, erzählt Alfons Mensdorff-Pouilly in seiner bekannt launigen Art die Anekdote aus der U-Haft. "Es war Helmut Elsner. ,Grüß Sie, Herr Generaldirektor!‘, antwortete ich." Von da an matchten sich die beiden fast täglich beim Schachspiel, diskutierten über ihre Causen. Ihre standesgemäße Anrede behielten die prominenten Häftlinge bei. Elsner war damals schon dem System angepasst, zum Ex-Banken-Chef alten Kalibers wurde er nur noch selten. "Grantig wurde Helmut Elsner nur, wenn am Morgen nicht seine nationalen und internationalen Zeitungen pünktlich geliefert wurden." Hin und wieder schauten auch Staatsanwälte oder Richter bei Elsner vorbei, um sich Aktientipps vom Ex-Bawag-Direktor abzuholen.

Mensdorff-Pouilly durfte die U-Haft nach fünf Wochen verlassen, wurde zwar wegen Geldwäsche angeklagt, aber freigesprochen.

Elsner blieb insgesamt 4,5 Jahre Gast auf der Ebene Z5, der Krankenstation in der Justizanstalt Josefstadt, bis er für haftunfähig erklärt wurde. Seine Zellenpartner wechselten. Ein Mal war es der Tierschützer Martin Balluch, ein anderes Mal sogar ein Mörder.

Der Ex-Bawag-Chef zählt zu den wenigen Prominenten, die die Härte der Haft in all ihren Facetten kennenlernten. Da er offiziell in U-Haft saß, gab es in den 4,5 Jahren keinen einzigen Tag Freigang. Eine Woche nach der Verhaftung wurde Elsner ein zweifacher Bypass gelegt. Vor der Intensivstation und dem Operationssaal waren Justizwachebeamte postiert. Die Fußfessel wurde beim Ex-Bankdirektor abgelehnt. Am Ende der Haft steckte sich Elsner mit TBC an.

Prominente sind im Häfen Exoten

Ob Ex-Innenminister Ernst Strasser, der am Montag vom Obersten Gerichtshof zu drei Jahren Haft wegen Bestechlichkeit verurteilt worden ist, so schnell einen Schachpartner findet wie Elsner, ist fraglich. Sicher ist vielmehr: Den Ex-EU-Abgeordneten erwartet für Minimum sechs Monate eine knapp 15 Quadratmeter große Zelle mit einer kleinen Herdplatte. Selbst Elsner eignete sich hinter Gittern im hohen Alter 76 noch kleine Kochkünste an. "Ein Gefängnis ist ein kleiner, autarker, totalitärer Staat. Eine Art Mini-DDR." Ohne Selbstbestimmung und in absoluter Unterwerfung in dieser totalen Institution zu leben, ist neben dem Verlust des Prestige und der Privatsphäre die schlimmste Strafe für Machtmenschen wie Strasser. "Die Post wurde vom Untersuchungsrichter zensiert, oft dauerte es 14 Tage, bis mein Mann meinen Brief bekam. Nur alle drei Monate durfte ich ein Wäschepaket abgeben. Selbst Geschenke zum Geburtstag waren verboten", erzählt Ruth Elsner.

Jeden Tag um 6.30 ist Tagwache. Gegen 7.20 Uhr erfolgt das "Ausrücken", so der militärische Terminus, in die Betriebe der Justizanstalt. Gegen 17 Uhr schließen sich die Eisentüren wieder. Prominente sind im Häfen meistens Exoten. Sie zählen zu jenen, die im Gefängnis kaum Bekannten aus ihrer Lebenswelt begegnen. Anschluss finden sie schwer, oft suchen sie ihn auch gar nicht.

"Ich ging nie in den Hof, weil ich von den Mithäftlingen nicht angepöbelt werden wollte", berichtet Elsner. "Man überlebt nur, wenn man sich mit dem System arrangiert, aber akzeptieren darf man es nie", lautete die Strategie de Ex-Bankers. Zwei, die sich auf viele Jahre mit dem System arrangieren müssen, sind Ex-Hypo-Vorstand Wolfgang Kulterer und Kärntens Ex-ÖVP-Chef Josef Martinz. Beide traten Anfang Mai die Haft in der Justizanstalt Klagenfurt an. Kulterer verbüßt seine Strafe mittlerweile in Hirtenberg.

Promi-Malus gibt es nicht

Dazu kommt, dass viele Häftlinge drogenabhängig sind. "Bis zu 50 Prozent" seien das, berichtet ein prominenter Häftling, der anonym bleiben will. Viele Insassen haben Lese- und Schreibdefizite. "Ich habe versucht, ihnen bei Anträgen und Eingaben zu helfen", erinnert sich Elsner. Promi-Malus gibt es zwar keinen. "Ich wurde aber immer korrekt behandelt", bestätigt Ex-Sturm-Präsident Hannes Kartnig. Technik-Fan Strasser wird Abschied von Smartphone, iPad & Co. nehmen müssen. Selbst für Standard-Office-Tools wie Word am Laptop oder einen Drucker benötigt der Häftling eine Genehmigung von der Justizanstalt. Und das kann oft mehrere Wochen dauern. Bis dahin muss Strasser seine Briefe mit der Hand schreiben. Harte Disziplinierungsmaßnahmen wie isolierte Einzelhaft bleiben Prominenten erspart, weil sie de facto nie in Eskalationen verwickelt sind.

Zwei Mal pro Woche Besuche

Besuche in Haft spielen sich nach genauen Regeln ab. Je nach Justizanstalt variieren die Besuchszeiten zwischen ein Mal bis drei Mal 30 Minuten pro Woche. Jeder Häftling muss eine Besuchsliste bei der Direktion deponieren. Nur die gelisteten Personen bekommen Einlass in die Justizanstalt. Tischgespräche sind nur alle drei Monate erlaubt. Bei den restlichen Besuchen bleibt nur die Konversation über einen Telefonhörer, getrennt durch eine Glasscheibe. "Die Telefonanlage ist uralt. Oft schnappt das Telefon mitten im Gespräch ab. Da ist Funkstille, weil die Anlage repariert werden muss. Das Härteste in der Haft ist die Isolation. Die Sehnsucht frisst einen von innen auf", sagt Elsner. Nur bei Mensdorff lief es anders. Er machte aus der U-Haft ein Geschäft. Für seine Woche im britischen Gefängnis erhielt er 430.000 Euro Entschädigung. "Hätte ich das gewusst, wäre ich einen Monat geblieben", witzelt er noch heute gern.

Von der Beletage des eleganten Palais Modena, in dem er einst als Innenminister residierte, in die Zelle einer Haftanstalt ist’s ein steiniger Weg, den Ernst Strasser beschreiten muss. Er ist nicht der erste Prominente, der eine solche Übersiedlung zu verkraften hat, wobei die Gründe sehr unterschiedlich sind. Die Palette reicht von Schauspielern, die als Gewaltverbrecher hinter Gitter kamen, über prominente Drogen- und Wirtschaftskriminelle bis zu einem Justizirrtum und zu Politikern, die ihrer aufrechten Gesinnung wegen eingesperrt wurden.

Wer derzeit "sitzt"

Zurzeit "sitzen" u. a. Bayerns früherer Fußballpräsident Uli Hoeneß und US-Footballstar O. J. Simpson, der 1994 des Mordes an seiner Frau und ihres Geliebten freigesprochen wurde, sich aber seit 2007 wegen eines Raubüberfalls in Haft befindet. Kommenden Dienstag entscheidet sich, ob Südafrikas "Blade Runner" Oscar Pistorius ins Kittchen kommt. Und auch ein paar weitere Politiker aus Österreich müssen der Zukunft entgegenzittern.

Natürlich ist "Sitzen" für einen kleinen Ladendieb genauso unangenehm wie für einen Politiker, Spitzensportler oder Fernsehstar. Aber es ist zweifellos ein doppelter Schock, eine Villa oder ein Luxus-Penthouse verlassen zu müssen, um in den "Häf’n" zu gehen. So war’s auch bei Ingrid van Bergen, die zu den beliebtesten deutschen Schauspielerinnen zählte, ehe sie 1977 aus Eifersucht ihren Geliebten Klaus Knaths erschoss, der neben der Beziehung zu ihr noch eine Ehefrau und eine weitere Affäre hatte. Nach fünf Jahren Haft konnte Ingrid van Bergen ihre Schauspielkarriere fortsetzen. Doch sie wusste, "dass ich jetzt zwar ein freier Mensch bin – frei von Gitterstäben –, aber nicht frei vom Urteil der Mitmenschen. Keiner traut sich mehr an eine Frau mit meiner Vergangenheit heran". Zuletzt machte van Bergen 2009 von sich reden, als sie in der RTL-Show "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" zur Dschungelkönigin gewählt wurde.

Ihr nicht minder berühmter Kollege Gunnar Möller kam mit drei Jahren Gefängnis davon, nachdem er 1979 im Rausch seine Frau erschlagen hatte. Manch weiblicher Fan blieb unbeeindruckt: Der Schauspieler erhielt nach seiner Haftentlassung, eigenen Angaben zufolge, "Hunderte Heiratsanträge".

Strauss-Kahn

Zu einer der spektakulärsten Festnahmen kam es am 14. Mai 2011 in New York. Dominique Strauss-Kahn, der mächtige Direktor des Internationalen Währungsfonds, wurde am John F. Kennedy Airport verhaftet, als ihn die Staatsanwaltschaft der Vergewaltigung eines Zimmermädchens im New Yorker Sofitel beschuldigte. Der Franzose, der als aussichtsreicher sozialistischer Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten galt, verbrachte eine Woche auf der Gefängnisinsel Rikers Island, ehe er nach Hinterlegung einer Kaution von sechs Millionen Dollar unter Hausarrest gestellt wurde. Ende August 2011 ließ das Gericht die Anklage fallen und Strauss-Kahn kam frei. Doch mit der Karriere ist’s wohl vorbei.

Während prominente Insassen kaum je über den demütigenden Aufenthalt im "Knast" sprechen, gab Millionenerbin Paris Hilton dem CNN-Starmoderator Larry King ein ausführliches Interview, nachdem sie im Juni 2007 wegen Trunkenheit am Steuer und Fahrens ohne Führerschein 23 Tage im kalifornischen Frauengefängnis Lynnwood verbracht hatte: "Es war eine traumatische Erfahrung", erklärte Hilton, "die mich grundlegend verändert hat". Zur ärgsten Erniedrigung ihres Lebens, so das geläuterte "Party Girl", zählte die Leibesvisitation, "es war schrecklich, mich vor fremden Menschen ausziehen zu müssen." In ihrer winzigen fensterlosen Zelle litt sie unter Klaustrophobie, hysterischen Anfällen, und sie verbrachte die meiste Zeit in gekrümmter Haltung.Als besonders schlimm empfand es Hilton auch, dass sie ihre Eltern, wenn sie auf Besuch kamen, nur durch eine Glasscheibe sehen durfte. "Dass ich sie nicht umarmen konnte, war schwer zu ertragen." Hilton gab an, nach ihrer Haft-Erfahrung "ein ganz anderes Leben führen und nie wieder unter Alkoholeinfluss Auto fahren zu wollen".

Die Loren im "Häfn’"

Opfer eines peinlichen Justizirrtums wurde der deutsche Schauspieler Ulrich Tukur, der 1977 eine Nacht in einer Polizeizelle in Hamburg zubringen musste, weil man ihn mit dem RAF-Terroristen Christian Klar verwechselt hatte. Und: Wie eine Königin ließ sich Weltstar Sophia Loren im Mai 1982 beim Einzug in die Haftanstalt Caserta feiern, in der sie eine 18-tägige Freiheitsstrafe wegen Steuerhinterziehung antrat. Im ganzen Land herrschte blankes Entsetzen, dass der Volksliebling für ein Delikt saß, das in Italien damals ohnehin als "normal" galt.

Franz Olah

Der ÖVP-Politiker Ernst Strasser ist Österreichs zweiter Ex-Minister, der ins Gefängnis muss: 1970 saß Franz Olah, gleichfalls Innenminister, aber auch "roter" Gewerkschaftspräsident, wegen widmungswidriger Verwendung von Gewerkschaftsgeldern acht Monate im Wiener Landesgericht. Olah, der 2009 im 100. Lebensjahr starb, wurde gegen Ende seines Lebens rehabilitiert und sogar mit Orden versehen, aber verkraftet hat er die – aus seiner Sicht ungerechtfertigte – Haftstrafe nie.

Ernst Strasser steht dieser steinige Weg noch bevor.

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