"Wir müssen besonnen bleiben"

Sebastian Kurz Interview am 31.10.2012
Sebastian Kurz über die Konsequenzen des Terroranschlags von Paris.

KURIER: Herr Minister, welche Bedeutung hat der Anschlag von Paris für Österreich?

Sebastian Kurz: Er stellt einen Angriff auf unsere Grundwerte dar, auf unsere Presse- und Meinungsfreiheit, die wir in Europa genießen. Das bedeutet, dass wir auch weiterhin so entschlossen unsere Grundwerte verteidigen müssen. Zudem steht das Innenministerium in engem Kontakt mit den französischen Behörden, um eine sinnvolle Gefahreneinschätzung sicherstellen zu können. Auch die EU-Außenminister machen im Jänner den Kampf gegen Terror zum Thema beim Rat.

Welche Erkenntnisse gibt es konkret für Österreich?

Unabhängig von diesem abscheulichen Verbrechen in Frankreich ist eine Erkenntnis sicherlich, dass der IS-Terror mit dem Modell des individuellen Dschihad eine massive Sicherheitsbedrohung für ganz Europa darstellt. Es ist so für Extremisten einfach, mitten in Europa abscheuliche Verbrechen zu begehen. Zudem stellen die mehreren Tausend Europäer, die in den Irak oder nach Syrien gegangen sind, um dort für den IS zu kämpfen, ein massives Sicherheitsrisiko für uns dar.

Mit welcher Konsequenz?

Die Polizei tut alles, um zu verhindern, dass noch mehr Menschen aus Europa sich dem IS anschließen können, damit sie dort erst gar keine abscheulichen Verbrechen verüben können. Für die mehreren Tausend Europäer, die schon bei der IS im Kampfeinsatz sind, gilt, dass sie sich selbstverständlich mit Verbrechen, die sie dort begehen, auch bei uns strafbar machen. Das Innenministerium überwacht die Rückkehrer, und führt dort, wo es möglich ist, Festnahmen durch.

Was, wenn unsere Meinungsfreiheit im Widerspruch zu religiösen Regeln steht?

Es können religiöse Regeln und Traditionen und Gebräuche niemals über staatlichem Recht stehen. Insofern gilt es, unsere Freiheiten, Gesetze und Verfassung zu verteidigen und dafür einzustehen. Dieser Anschlag hat gezeigt, wie wichtig es ist, die Freiheiten zu verteidigen, und die Solidarität in ganz Europa mit den Opfern zeigt, wie wichtig uns Europäern zurecht diese Grundfreiheiten sind.

Derzeit wird im Parlament die Novelle zum Islamgesetz verhandelt. Hilft dieses im Kampf gegen einen radikalen Islam?

Das Gesetz ist keine Reaktion auf den Terrorismus, sondern ein wohlüberlegtes Gesetz mit jahrelanger Vorbereitung mit Rechten und Pflichten für Muslime, die die Antwort auf einige Fehlentwicklungen wie den Einfluss aus dem Ausland ist. Im Kampf gegen den Terror braucht es aus meiner Sicht bei uns zwei Stoßrichtungen: Wir müssen mit der Polizei massiv gegen jene vorgehen, die sich etwas zuschulden kommen haben lassen und die versuchen, junge Menschen für den IS-Terror zu gewinnen. Und es braucht Prävention, um zu verhindern, dass sich noch mehr Menschen verführen lassen. Bei der Prävention gibt es einen Schulterschluss aller Ministerien und Jugend-Organisationen, und nun auch der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Die ist nun gefordert, klarzumachen, dass gläubige Muslime niemals solche Verbrechen begehen dürfen.

Fürchten Sie eine Radikalisierung der Menschen von rechts?

Mein oberstes Ziel ist es, auch in so einer schwierigen Situation besonnen zu bleiben. Wir dürfen nicht den Fehler machen, alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen. Das würde unser gesellschaftliches Gefüge am allermeisten gefährden. Insofern lehne ich jede Form der Hetze ab.

Wie soll das verhindert werden?

Indem wir eine möglichst ehrliche Diskussion über Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben, führen und hart an deren Lösung arbeiten. Das Schönreden, wie es in der Vergangenheit von linker Seite oft getan wurde, so zu tun, als gebe es keine Probleme, wie auch die Hetze von rechts sind für mich der absolut falsche Weg.

Gräueltaten wie diese zielen darauf ab, Angst zu stiften und einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben", verurteilt Salim Mujkanovic den Terroranschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo mit 12 Todesopfern. "Sie schaden nicht nur dem friedlichen Zusammenleben", meint der Imam der größten Moschee Österreichs, "sondern auch der muslimischen Gemeinschaft selbst, indem sie islamfeindliche Ressentiments weiter schüren – wie die zunehmenden Aggressionen gegen Muslime deutlich zeigen."

Dementsprechend wichtig sei es nun, "sich nicht provozieren zu lassen und gemeinsam gegen Rassismus, Hass und Gewalt aufzutreten". Mit Betonung auf gemeinsam – "die Muslime allein können da nur wenig ausrichten". Hier seien auch die österreichischen Politiker und – nicht zuletzt – die Behörden gefragt.

Angriff auf Moschee

Mujkanovic will die aktuelle Freitagspredigt nutzen, um das sensible Thema anzusprechen. "Wir lassen es nicht zu, dass Terroristen im Namen unserer Religion Verbrechen begehen. Hier müssen wir eine ganz deutliche Trennlinie ziehen."

"Damit die Muslime sehen, dass hier in Österreich jemand hinter ihnen steht", wünscht sich der Geistliche nach mehreren Vandalenakten in den letzten Wochen einen verstärkten Schutz für Moscheen. "Das wäre ein Zeichen für Muslime, dass sie sich hier sicher fühlen können."

Bestärkt wird die Forderung durch einen aktuellen Fall aus Wien-Landstraße, wo Vandalen das Attentat von Paris als Vorwand für rassistische Schmierereien an der Wand der Tuna-Moschee missbrauchten.

Als Reaktion darauf ruft Yakup Gecgel von der Islamischen Föderation zur Deeskalation. Ein starker gesellschaftlicher Zusammenhalt sei nun "wichtiger denn je". "Hass ist der Kern der Spaltung", postet er auf Facebook.

Man müsse Angriffe aller Art zwar ernst nehmen, aber einschüchtern dürfe man sich dadurch nicht lassen, sagt dazu Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative Muslimischer Österreicher. Gefragt sei nun "größtmögliche Gelassenheit und Offenheit, damit wir nicht auf die Falle der Terroristen hereinfallen".

Baghajati geht es vor allem um "die Klarstellung, dass wir alle in einem Boot sitzen. Das Attentat in Paris war ein Angriff auf alle Muslime, auf unsere Existenz in Europa, auf unsere Werte und auf die Lehre des Propheten."

Nun gehe es nicht darum, sich vom "ersten militärischen Angriff des sogenannten IS in Europa" zu distanzieren – sondern generell darum, "Gewalt jeder Art aufs Schärfste zu verurteilen". In muslimischen Mainstream sei "diese Ablehnung deutlich spürbar".

Seitens der Exekutive würde sich auch Baghajati mehr Sensibilität gegenüber Muslimen wünschen.

"Entsetzen"

Auch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) drückt in einer öffentlichen Erklärung ihr "Entsetzen nach dem Terroranschlag in Paris" aus. "Mit Abscheu und Entsetzen" verurteile man das Attentat.

Die Initiative liberaler Muslime in Österreich kündigt für kommenden Dienstagvormittag eine Mahnwache vis-à-vis der französischen Botschaft in Wien an.

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