Extraklassen für sprachlich schwache Kinder

Extraklassen für sprachlich schwache Kinder
Beirat will Schüler, die nicht Deutsch sprechen, in eigenen Gruppen zusammenfassen. Experten sind skeptisch.

Was soll mit Kindern geschehen, die zwar schulpflichtig sind, gleichzeitig aber nicht ausreichend Deutsch sprechen – etwa, weil sie mit ihrer Familie nach Österreich zugewandert sind?

Im Integrationsbericht 2014, der dem KURIER vorliegt und der offiziell am kommenden Montag präsentiert wird, machen die Experten des im Außenministerium angesiedelten Beirats für Integration einen durchaus kontroversiellen Vorschlag.

Denn folgt man den Fachleuten, sollen Kinder mit sprachlichen Defiziten nicht sofort am Regel-Unterricht teilnehmen, sondern zumindest ein Jahr lang in "Sprachfördergruppen" oder "Vorbereitungsklassen" auf den herkömmlichen Unterricht vorbereitet werden – und zwar verpflichtend.

Die frühere Bildungsministerin Claudia Schmied und andere hatten diese Idee vehement abgelehnt. Ihr Argument: Wer Kinder mit schlechtem Deutsch separat unterrichte, der schaffe damit "Getto-Klassen".

Mit dem Verweis auf den Status quo widerspricht der Integrationsbeirat dieser Darstellung nun sehr deutlich: "Das bisherige System "QuereinsteigerInnen" (schulpflichtige Flüchtlingskinder werden als außerordentliche Schüler in den Unterrichtsbetrieb integriert) sei nur "beschränkt zielführend" – es müsse also Änderungen geben.

Erfolgsmodell Hamburg

In ihrem Bericht verweisen die Beirats-Experten auf ein erfolgreiches Sprachförder-Modell im norddeutschen Hamburg. Die Hansestadt sieht eine konsequente Verschränkung der Deutschförderung vom Beginn des Kindergartens, über die Volksschule bis hin zum 14. Lebensjahr (Ende erste Sekundarstufe) vor.

In Hamburg werden alle Viereinhalbjährigen zu einer Erstvorstellung in die Schule geladen, wer sprachliche Defizite hat (egal, ob Zuwanderer oder deutscher Staatsbürger) muss verpflichtend an "Sprachfördermaßnahmen" in einer "Kindertagesstätte" teilnehmen.

Das läuft täglich fünf Stunden für zumindest ein Jahr, wobei jedes Kind einen individuellen Förderplan bekommt, der konkrete Maßnahmen, Ziele, etc. enthält.

Sechs- bis 14-jährige Kinder, die als "Quereinsteiger" nach Hamburg kommen und nicht Deutsch können, werden vor dem Eintritt in den Regelunterricht in "Vorbereitungsklassen" zusammengefasst. Auch hier gilt: Zumindest ein Jahr Förderung mit einem speziellen Lehrplan, der den Übertritt in die Regelklasse dann möglichst einfach macht.

In Anlehnung an das Hamburger Modell wiederholen die österreichischen Beiratsexperten auch die Forderung nach einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr für Kinder mit auffallenden Deutsch-Schwächen.

Hohe Erfolgsquoten

Dass es eine erhebliche Anzahl an Kindergartenkindern gibt, die nicht oder nicht ausreichend gut Deutsch spricht, ist mittlerweile evident.

Die 2012 im Zuge einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern gemachten "Sprachstandsfeststellungen" haben gezeigt, dass fast ein Viertel der getesteten 80.191 Kindergartenkinder dringend gefördert werden muss; die Tendenz: deutlich steigend.

Die erfreuliche Nachricht ist demgegenüber: Bei jenen Kindern, die – derzeit noch auf freiwilliger Basis – in ihrer Sprachentwicklung unterstützt werden, ist die Erfolgsquote auffallend hoch. 80 Prozent der geförderten Kinder hatten nach einem Jahr de facto alle Deutsch-Defizite vollends aufgeholt.

Integrationsbericht

Extraklassen für sprachlich schwache Kinder
Heinz Faßmann_Integration
Die 17 Mitglieder des "unabhängigen Expertenrats für Integration" erarbeiten Vorschläge, wie Zuwanderung und Integration besser gelingen können. Sprecher ist Heinz Fassmann von der Universität Wien (Bild). Seit 2011 publiziert der Expertenrat seine Analysen im Integrationsbericht.

Die Reaktionen auf den Expertenbericht fallen unterschiedlich aus. Die SPÖ kann, da man sich ja bereits im Vorjahr mit Kurz über derartige Schritte verständigt hat, mit der Idee des zusätzlichen Förderunterrichts durchaus etwas anfangen. Schon jetzt würden vor allem in Ballungsräumen Kinder mit Sprachproblemen in vorbereitenden Gruppen auf den Regelunterricht vorbereitet, hieß es aus dem Bildungsministerium auf APA-Anfrage. Aber: "Es macht keinen Sinn, die Kinder langfristig aus der Gruppe herauszunehmen." In ländlichen Regionen bzw. bei nicht mehr schulpflichtigen Kindern seien standortspezifische Lösungen etwa unter Einbeziehung von Vereinen nötig - dazu seien weitere Gespräche mit dem Integrationsministerium nötig.

Grüne für zweites Kindergartenjahr

Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig kann dem Vorschlag, Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen in spezielle Klassen zu stecken, nichts abgewinnen. Sie will bereits bei den Kleinsten ansetzen und fordert ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr - danach wäre die Sprachkompetenz bei allen so gut ausgeprägt, dass sie mit sechs Jahren gemeinsam dem Unterricht folgen können.

Sie verwies bei einer Pressekonferenz am Freitag auf den bereits jetzt vorhandenen Förderunterricht und betonte dazu, dieser sei nicht an Nationalitäten, Staatsbürgerschaften oder die Herkunft zu knüpfen, sondern ausschließlich an die sprachliche Entwicklung eines Kindes. Glawischnig meinte im Übrigen: "Mein Kind hat auch einen sprachlichen Deutsch-Förderunterricht gebraucht."

Experten skeptisch

Ruth Wodak, Mitglied des Expertenbeirats, der den Bericht erstellt hat, kann im Gespräch mit dem Standard mit dem Begriff der „separaten Klasse“ nichts anfangen – sie verweist darauf, dass im Bericht nicht von Segregation die Rede sei, sondern dass „Vorbereitungsklassen“; diese sollen installiert werden, „wenn eine entsprechende Nachfrage in einem schulischen Einzugsgebiet vorhanden ist." Sie halte die derzeitige Praxis - Quereinsteiger werden automatisch als außerordentliche Schüler geführt - jedenfalls für „nicht zielführend“, eine Änderung begrüßt sie.

Klaus-Börge Boeckmann, Professor für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Wien, lehnt die Vorschläge laut Standard völlig ab: "Diese Idee kommt alle paar Jahre wieder, obwohl das noch nie funktioniert hat", sagt er. Die Erfahrungen aus der Sprachwissenschaft würden aber zeigen, dass der gemeinsame Unterricht besser sei als der separierte. Boeckmann plädiert stattdessen dafür, zusätzliche Lehrer einzusetzen.

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