Shahrokh Shariat: "Verpflichtet, effizienter zu werden"

Der Chef der Urologie im AKH, Shahrokh Shariat, ging als Jungmediziner von Wien nach Texas. Dort lernte er viel über Effizienz und Transparenz: „Wo Ergebnisse gemessen werden, verbessert sich die Qualität“
Der Urologe Shahrokh Shariat fordert ein radikales Umdenken im Gesundheitssystem.
Shahrokh Shariat: "Verpflichtet, effizienter zu werden"
Als ich als junger Arzt kurz nach meinem Studium in die USA gekommen bin, habe ich mich geschämt, weil ich so viele Jahre in Wien so wenig gelernt habe. Und weil ich so weit hinter dem Wissen und dem Können meiner US-Kollegen war", sagt Professor Shahrokh Shariat. Dort begann der Österreicher eine bemerkenswerte Karriere, wo er unter anderem zum besten Urologen des Staates New York gewählt wurde, mehr als 700 wissenschaftliche Arbeiten verfasst hat und vier Weltpatente auf urologisch-diagnostische Methoden angemeldet hat.

Vor einem Jahr wurde er zum neuen Leiter der urologischen Abteilung an der Uni-Klinik in Wien bestellt. "Mein Anspruch ist, diese Abteilung zu einer der weltweit führenden Urologie-Kliniken zu machen", sagt er selbstbewusst im Gespräch mit dem KURIER. Doch die Voraussetzungen, erklärt der Krebsspezialist, seien denkbar schlecht.

Shahrokh Shariat: "Verpflichtet, effizienter zu werden"
Univ.-Prof. Dr.med.univ. Shahrokh Shariat, Leiter der Univ. Klinik für Urologie - AKH Wien
"UnserGesundheitssystem ist im weltweiten Vergleich nicht schlecht, das stimmt. Aber wir sind weit weg davon, wirklich gut zu sein. Wir wollen eine medizinische Versorgung des 21. Jahrhunderts anbieten, arbeiten aber innerhalb eines Gesundheitssystems mit einer Organisation, einem Management und mit Kostenmodellen des 19. Jahrhunderts", wundert sich der Experte. "Damit sind wir weit davon entfernt, eine optimale Versorgung anbieten zu können. Und uns muss klar sein, dass diese Kluft jedes Jahr größer wird."

Er nennt zwei Beispiele: "Mir ist klar, dass die Patienten immer ein Krankenhaus in der Nähe haben wollen. Aber so verschwenden wir unsere finanziellen Ressourcen enorm, vernünftig wären wenige, dafür aber hoch spezialisierte Kliniken." Nicht anders sei es in seinem Fach, der Urologie. In Wien allein gebe es zehn urologische Abteilungen, in allen werden alle Therapien angeboten. "Das ist doch ein absoluter Overkill. Und es führt dazu, dass die Therapien nur von mittelmäßiger Qualität sein können. Man kann nicht richtig gut werden, wenn man sich nicht spezialisiert, weil dafür braucht man viel praktische Erfahrung und Expertise in einem kleinen Gebiet."

Dass die Österreicher laut Umfragen sehr zufrieden sind mit der Qualität des Gesundheitswesens, das lässt der Arzt nicht gelten. Österreich belüge sich hier selbst: "Warum reden wir dann immer von einer Zwei-Klassen-Medizin, und warum haben 2,7 Millionen Menschen eine private Zusatzversicherung? Das ist für mich ein starkes Indiz, dass die Menschen eben nicht zufrieden sind."

Ein Grundproblem sei, dass in Österreich weder Erfolg noch Qualität des Gesundheitssystems gemessen werden. "Es gibt praktisch keine Daten. Daher reden wir, wenn wir über eine Reform des Gesundheitssystem sprechen, immer nur über Einsparungen. Wir sollten uns aber viel mehr fragen, wie wir das System effizienter machen können. Denn die Kosten für die medizinische Versorgung werden weiter steigen, weil die Therapien und die Behandlungen teurer werden. Deshalb sind wir verpflichtet, effizienter zu werden." Österreich dürfe nicht zufrieden sein, in internationalen Rankings unter den Top 15 zu sein. "Wir sollten versuchen, das beste Gesundheitssystem zu haben. Österreich ist ein sehr reiches Land. Ich bin mir sicher, dass wir mit weniger Geld ein viel besseres Gesundheitssystem machen könnten."

Hilflose Patienten

Shariat führt rasch einige Punkte an, die er für wichtig hält:

1.) Prävention und Früherkennung

"Wir müssen mehr Qualität auf Prävention und Früherkennung von Krankheiten legen, nur dann können wir die richtige Diagnose stellen und die Therapie rasch starten. Dass in Österreich so viele Menschen rauchen, ist ein Skandal und wird unser Gesundheitssystem in Zukunft noch stärker belasten."

Derzeit sei jeder Patient hilflos im System, wenn er Beschwerden hat. "Wer Schmerzen hat, geht einmal zum Arzt. Dort bekommt er eine Zuweisung zum Röntgen, hat dann einen neuen Termin Tage später beim Facharzt, der ihn wieder woanders hinschickt und so weiter. Effizienz würde aber bedeuten, dass der Patient in kürzester Zeit die beste Diagnose bekommt, damit man sofort mit der Therapie beginnen kann. Das haben wir derzeit nicht."

2.) Reorganisation des Gesundheitswesens

International sei es längst üblich, Krankenhäuser nicht nach Fach-Stationen zu organisieren, sondern nach Krankheitsbildern, erzählt er von seinen internationalen Erfahrungen an anderen Kliniken. "Dort sind dann etwa für das Krankheitsbild ,Unterbauchschmerzen‘ die Spezialisten am Werk, Urologen, Nephrologen, Gastroenterologen, Chirurgen."

3.) Transparenz des Gesundheitssystems und der Ärzte

Erstaunt ist er außerdem seit seiner Rückkehr nach Österreich, dass die Transparenz im Gesundheitssystem praktisch nicht vorhanden sei. "Woher sollen die Patienten wissen, wer ein guter Arzt ist, wenn nirgendwo Ergebnisse veröffentlicht werden. Woher sollen Sie wissen, wie viele Fälle ihr Arzt schon behandelt hat, und mit welchem messbaren Erfolg, wie oft es welche Komplikationen gab – das alles scheint nirgendwo auf. Das halte ich für ein großes Problem, das wir ändern sollten."

Das sei international nicht nur üblich, sondern auch in höchstem Maß sinnvoll: "Überall dort, wo Behandlungsergebnisse gemessen werden, verbessert sich die Qualität dramatisch."

4.) Lebenslanges Lernen in allen Gesundheitsberufen

Damit das System besser werden kann, müsse auch das medizinische Personal – Ärzte und Pfleger – besser werden. "Damit wir uns in unserem Gebiet weiter entwickeln können, müssen sich alle zum lebenslangen Lernen verpflichten. Und das muss standardisiert überprüft werden", schlägt Professor Shariat vor. "Bei mir auf der Station dränge ich meine Leute, ihr Maximum zu geben, weil ich finde, dass das unsere Patienten verdienen."

5.) Bezahlung nach Qualität der medizinischen Fachkräfte

Nach diesem Prinzip würde er auch die Bezahlung des medizinischen Personals organisieren. "Ich muss in der Lage sein, meine Ärzte nach ihrer Leistung zu bezahlen, etwa nach der Anzahl der Operationen, nicht willkürlich, sondern nachvollziehbar und transparent. "

Verständnis zeigt der Abteilungschef auch für die Proteste der Jungärzte und Mediziner, die mit Abwanderung drohen, sollte die Ausbildung und die Bezahlung nicht deutlich besser werden. "In den USA sind die Ärzte generell viel besser, weil sie eine bessere Grundausbildung erhalten und weil sie sich dann sofort spezialisieren können. Sie suchen sich ein Fachgebiet, das ihnen einfach Spaß macht. Und sie müssen publizieren, sie müssen wissenschaftlich immer auf dem neuesten Stand sein."

In Österreich auf der anderen Seite werden die Jungärzte an der Universität ausgebildet, dann aber im Turnus gezwungen, die Arbeit des Pflegepersonals zu machen, aus Kostengründen. "Das Problem ist aber auch, dass so viele Lehrende frustriert sind, und daher auch keine Motivation haben, die Jungen zu motivieren. Und so flüchten sich viele Ärzte in die Privatmedizin."

Ein Wiener mit Welterfahrung

Wissenschaft Professor Shahrokh F. Shariat hat über 700 wissenschaftliche Arbeiten und Dutzende Beiträge in wissenschaftlichen Büchern verfasst. Er besitzt derzeit vier Patente zur Prognose von Tumoren. Er erhielt zahlreiche internationale Preise für seine Arbeit.

Lebenslauf Shariat ist österreichischer Staatsbürger, er ist 1973 in Teheran (Iran) geboren, er kam als Kind nach Wien, besuchte hier die Schule und begann sein Medizin-Studium an der Uni Wien.

Medizin-Ausbildung Er verbrachte ein Auslandsjahr in Spanien, danach startete er seine Karriere in den USA an der University of Texas SW Medical Center in Dallas und in New York am Sloan-Kettering Center sowie am Weill Cornell Medical College. Dort und in Texas lehr er nach wie vor als Professor.

Sprachen Er spricht fließend Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Farsi.

So wird Österreich besser: Alle Teile der KURIER-Serie finden Sie hier.

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