Kritik: Zu wenig Literatur bei Deutsch-Matura

Eine historische Ausgabe von "Goethes Schriften" aus dem Jahre 1787, zu sehen in Wetzlar. Kritiker der Zentralmatura fürchten, Österreichs Schüler könnten damit nichts mehr anfangen.
Faust & Co kämen bei Zentralmatura und in der Oberstufe zu kurz, sagen Lehrervertreter und IG Autoren.

Nur eine von sechs Aufgaben bei der Deutsch-Matura zielt auf Literatur ab – das sei deutlich zu wenig: Die IG Autoren und Lehrervertreter beklagen die geringer werdende Bedeutung von Literatur im Deutschunterricht und bei der neuen Zentralmatura. Früher sei eine von drei gestellten Aufgaben der Literatur gewidmet gewesen, nun habe man die Fragestellungen der AHS an jene der BHS angeglichen – die Folge sei eine Nivellierung nach unten. "Die Literatur wird funktionalisiert", so Autorensprecher Gerhard Ruiss im Ö1-Morgenjournal.

Dem schließt sich auch die Grazer AHS-Lehrerin Gudrun Pennitz an: Textverständnis und Literatur in den historischen Kontext einzuordnen, sei bei der Matura inzwischen Randprogramm. Auch in den Jahren davor sei dies kaum noch Thema im Unterricht, sagt die ÖVP-nahe Personalvertreterin. Den Grund dafür sieht sie in der verpflichtenden Vorbereitung auf die breite Palette an Anforderungen bei der Matura: Die Schüler müssten bei der Zentralmatura nämlich deutlich mehr Textsorten beherrschen, der Sachtext sei da genauso gefragt wie der Leserbrief. Deshalb sei wenig Platz für literarische Vertiefung.

Faust, ist das von Goethe?

Die Folgen daraus seien bedenklich, so Pennitz: „Die Bedeutung der humanistischen Allgemeinbildung hat an Stellenwert verloren. In 20 Jahren denkt man bei ,Faust‘ vielleicht nicht mehr an Goethe.“ Ähnliche Prognosen wagt auch Ruiss – das Textverständnis werde leiden, auch im Alltag: „Die meisten und immer komplizierter werdenden Texte werden nicht mehr verstanden - aber auch Behördentexte nicht.“ Beide fordern deshalb einen strengeren Kriterienkatalog für die neue Matura, die im Mai 2015 erstmals an allen österreichischen AHS stattfinden wird.

SPÖ-Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek findet die Kritik nicht nachvollziehbar - die Zentralmatura sei streng genug. Auch das für die Durchführung zuständige Bifie wehrt sich via Ö1, dass mit der neuen Maturaform keine Abwertung der Literatur verbunden sei: Bisher habe es nämlich kein verpflichtendes Literatur-Thema gegeben, jetzt sei eine der sechs Fragestellungen der Literatur zu widmen.

Bildungsforscher: Zentralmatura als falscher Weg

Bildungsforscher Stefan Hopmann, von Ö1 zu der Thematik befragt, sieht das allerdings ähnlich wie Ruiss und Pennitz. Für ihn sei es dramatisch, dass die Frage, welche Literatur Gegenstand bei der Zentralmatura sein soll, nebensächlich geworden sei. Die Umstellung auf Standards und Kompetenz führe dazu, dass die Inhalte nebensächlich werden. Dass etwa bei der diesjährigen Generalprobe der Text „Zur Schnecke“ des Dichters Manfred Hausmann ausgewählt wurde, dieser aber ohne jegliche Kontextualisierung – nämlich einer Verbindung zum Nationalsozialismus – daherkam, sei „eine Katastrophe“ gewesen.

„Die Frage, welche Botschaft die Literatur haben soll, ist völlig sekundär geworden“, konstatiert Hopmann. Es gehe nur mehr um die Frage der Technik und des Umgangs mit den Texten, die Inhalte würden dabei aber trivialisiert. "Es kommt nicht mehr darauf an, was man versteht."

Ob dies – wie von der IG Autoren und Lehrervertretern befürchtet - dann auch einen Einfluss auf das Sprachverständnis habe? Nein, meint Hopmann. Aber Funktionen wie selbstständiges Denken und Handeln würden in den Hintergrund rücken – wenn man sich weiter mit „Kompetenzgeschwurbel“ auseinandersetzen wolle, sei dies nicht zu vermeiden. Generell plädiert Hopmann dafür, die Zentralmatura zu überdenken. "Es muss eine größere Breite an Herangehensweisen geben."

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