"Keine Bedenken": Regierung genehmigte Kärnten-Haftung

Böhmdorfer und Grasser prüften das Kärntner Haftungsgesetz, der Ministerrat unter Schüssel stimmte zu.

Die Verfassungsvorschrift bestand bis 30. Juni 2012, seither ist sie abgeschafft. Der frühere Artikel 98 der Bundesverfassung besagte: Alle Gesetzesbeschlüsse der Landtage sind dem Kanzleramt bekannt zu geben. Und zwar vor deren Inkrafttreten ("Kundmachung"). Zweck der Übung: "Wegen Gefährdung von Bundesinteressen kann die Bundesregierung gegen den Gesetzesbeschluss eines Landtags-Einspruch erheben." Im Fall eines Einspruchs konnte das Landesgesetz nur dann in Kraft treten, wenn der Landtag das nämliche Gesetz noch einmal beschloss, also darauf beharrte.

So weit die Gesetzeslage.

Nun zum konkreten Vorgang: Verfassungskonform hatte Kärntens damaliger Landeshauptmann Jörg Haider den Landtagsbeschluss vom 22. April 2004 dem Bundeskanzleramt zugestellt. Es handelte sich um das Kärntner Landesholdinggesetz, mit dem der Landtag der Hypo einen Blankoscheck für Landeshaftungen ausstellte. Die Haftungen sind laut diesem Gesetz in zweifacher Hinsicht unbegrenzt: nach oben gab es keine Grenze (so auch keine Bindung an die Finanzkraft des Landes); weiters wurden die Haftungen "allen Rechtsnachfolgern" gewährt, also auch etwaigen späteren Hypo-Eigentümern, auf die Kärnten keinen Einfluss hat. Lediglich zeitlich hat der Landtag die Haftungen befristet, und auch das nur wegen einer EU-Vorgabe. Ab April 2007 durften keine Haftungen mehr vergeben werden. Doch für die drei Jahre vom April 2004 bis April 2007 galt der Blankoscheck, den die Griss-Kommission zehn Jahre später als "Sündenfall" im Hypo-Debakel bezeichnen sollte.

Zurück ins Frühjahr 2004. Nachdem Kanzler Wolfgang Schüssel die Post von Haider bekommen hatte, befasste das Bundeskanzleramt das Finanzministerium und das Justizministerium mit dem Kärntner Haftungsgesetz. Die Minister waren damals Dieter Böhmdorfer (er schied erst am 25. Juni 2004 aus) und Karl-Heinz Grasser. Die Minister machten gegenüber dem Kanzleramt "keine einspruchsbegründenden Bedenken geltend".

Auf gut Deutsch: Der Kärntner Blankoscheck stellte laut den beiden Ministerien "keine Gefährdung von Bundesinteressen" dar.

Das ist insofern bemerkenswert, weil aus beiden Zuständigkeitsbereichen sehr wohl massive Bedenken laut geworden waren: Der Unabhängige Verwaltungssenat Kärnten (Justiz) und die Finanzmarktaufsicht (Finanzen) hatten bei der Gesetzesbegutachtung heftig vor den Haftungen gewarnt.

Vergebens.

Nach der ministeriellen Unbedenklichkeitserklärung nahmen die Akten ihren Lauf. Kanzler Schüssel beantragte im Ministerrat eine Genehmigung für das Haftungsgesetz. Der Ministerrat stimmte (einstimmig) zu. Daraufhin schickte Schüssel einen Brief an Landeshauptmann Haider (Kärntner Aktenzahl: 2V-LG-778/21-2004) mit der Genehmigung der Bundesregierung, "der Kundmachung des genannten Gesetzesbeschlusses zuzustimmen". Gezeichnet: Schüssel, am 13. Mai 2004.

Dieser Gesetzesprozess ist im Umfeld des Untersuchungsausschusses dokumentiert und hat nicht nur Relevanz für die politische Verantwortung. Er birgt auch rechtlichen Sprengstoff, insbesondere in der Zusammenschau mit der jüngsten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs.

Das Höchstgericht sagt ja, dass Landeshaftungen gelten, auch wenn sie offenkundig die Finanzkraft des Landes übersteigen. Allein das impliziert, dass der Bund nicht einfach sagen kann: "Landeshaftungen gehen mich nichts an, dafür stehe ich nicht gerade."

Die Unbedenklichkeitserklärung und die Genehmigung der Kärntner Haftungen durch die Bundesregierung könnten als weiteres Indiz gelten, dass der Bund für die Bundesländer einzustehen hat – zumindest für Geschäftsfälle bis zum Juni 2012, solange der Bund das Recht hatte, Landesgesetze wegen "Gefährdung" zu beeinspruchen. Vor allem: Der Bund hat im konkreten Fall nicht beeinsprucht, Kärnten musste nicht einmal "beharren". Der Bund wusste nicht nur, was in Kärnten im Gange war, er hat dem sogar ausdrücklich zugestimmt.

Bitteres Detail: Mit ihrer expliziten Genehmigung gab die Regierung Kulterer & Co um 25 Tage länger Zeit, unser Steuergeld auf dem Balkan auszugießen. Hätte der Bund lediglich passiv zugeschaut, hätten acht Wochen Einspruchsfrist ablaufen müssen, und das Kärntner Gesetz hätte erst am 21. Juni in Kraft treten können.

So durfte es bereits am 28. Mai kundgemacht werden.

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