Kern: Brexit-Ergebnis ist zur Kenntnis zu nehmen

Das Chaos nach dem Brexit lädt nicht zur Nachahmung ein.
Kanzler will neue Flüchtlingspolitik und Joboffensive. Referendumswunsch der FPÖ weist er zurück.

Für Bundeskanzler Christian Kern ist die Teilnahme am EU-Gipfel, der am Dienstag beginnt, eine Premiere.

KURIER: Herr Bundeskanzler, sollten Briten eine 2. Chance bekommen? Oder gilt: out is out?

Christian Kern: Das Ergebnis ist zur Kenntnis zu nehmen. Die Folgen daraus sind rasch zu ziehen. Schwebezustände schaffen vor allem in der Wirtschaft Unsicherheit. Das können wir nicht brauchen. Aber es gibt keine rechtlichen Mittel, um Großbritannien zu einem rascheren Vorgehen zu verpflichten.

Was sind Ihre Vorschläge für eine umfassende EU-Reform?

Die Gründerväter der EU hatten die verbindende Vision "Nie wieder Krieg". Heute braucht es eine neue europäische Leitidee. Die kann nicht allein in Wettbewerbsfähigkeit bestehen. Wie Jacques Delors sagte, ‚niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt‘. Die EU muss sich auf Fragen konzentrieren, die wir gemeinsam besser lösen können als alleine. Das sind Sicherheit, Migration, Arbeitslosigkeit und Klimaschutz.

Soll es eine gemeinsame Sicherheitspolitik geben?

Der Eindruck, dass Europa seine Grenzen nicht sichern kann, ist verheerend und ein wichtiger Teil für den Vertrauensverlust in die EU. Dasselbe gilt auch in der Migrationspolitik. Für eine bessere Sicherung der Außengrenzen muss FRONTEX so ausgestattet werden, dass es zum Grenzschutz in der Lage ist. Auch die Einrichtung eines europäischen elektronischen Systems zur Einreisegenehmigung für Drittstaaten-Angehörige ohne Visumpflicht nach US-amerikanischem Vorbild gehört dazu. Ebenso wie ein gemeinsames Vorgehen gegen Radikalisierung und Terror.

Wie wollen Sie die Flüchtlingszahlen reduzieren?

Wir brauchen einen Marshall-Plan für Nordafrika. Das bedeutet Aufbau von Infrastruktur und Wirtschaftsbeziehungen. Eine Politik, die die Lebensgrundlagen in Afrika durch Überfischung der Ozeane oder den Export subventionierter Agrarprodukte aus den USA oder Europa zerstört, ist kurzsichtig und richtet sich auch gegen uns. Es gilt, Fluchtgründe zu verhindern und Schutz in der Region zu bieten. Da wird auch Österreich einen Beitrag leisten müssen. Dafür müssen wir uns darauf verlassen können, dass sich alle EU-Staaten ihrer Verantwortung in der Flüchtlingsfrage stellen. Dass sich einige davor drücken, Asylberechtigte aufzunehmen und damit eine Entlastung hauptbetroffener Länder wie Österreich verhindern, ist inakzeptabel. Wir brauchen ein faire Verteilung genauso wie den gemeinsamen Kampf gegen Schlepper.

Wollen Sie auch einen New Deal für Europa?

Eine moderne Industriepolitik ist ganz wichtig. Österreich hat eine Industriequote von rund 20 Prozent, die wollen wir halten. Davon hängen Hundertausende Arbeitsplätze ab. Ein Kontinent, der mittlerweile fast acht Jahre kaum nennenswerte Wachstumsraten und daraus resultierend einen Anstieg der Arbeitslosigkeit – am stärksten bei jungen Menschen ohne Ausbildung – gesehen hat, muss gegensteuern. Wir brauchen aufeinander abgestimmte Investitionen und Rahmenbedingungen, die Europa im globalen Wettbewerb stärken. Ich bin nicht bereit, zuzusehen, wie Industrien Arbeitsplätze in die USA oder nach Asien verlagern. Wir brauchen fairen Wettbewerb, kein Sozial- und Umweltdumping oder unfaire Subventionen.

Die FPÖ denkt an ein Austrittsreferendum. Was ist Ihre Strategie gegenüber Rechtspopulisten und Nationalisten?

Das Referendum stürzt Großbritannien in massive wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der Zerfall des Vereinigten Königreiches droht, das gesamte politische System ist paralysiert. Die Populisten mussten bereits am Tag nach der Abstimmung ihre Versprechen zurücknehmen, weil die meisten frei erfunden waren. Das lädt nicht zur Nachahmung ein. Für Österreich haben wir gute Pro-EU-Argumente: 900.000 Arbeitsplätze hängen etwa am Export, dass setzt man nicht mutwillig aufs Spiel.

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