"In der Politik müssen Fehler erlaubt sein"

Deborah Sengl
Künstlerin Deborah Sengl über die Gefahren von Facebook und Twitter – und warum sie noch Respekt vor Politikern hat.
"In der Politik müssen Fehler erlaubt sein"
Ein Auerhahn, eine Gazelle und ein Warzenschwein hängen Kopf an Kopf in der Küche; auf dem Sofa liegt eine Ziehharmonika; und dazwischen, mittig im Atelier, stehen auf Podesten jene kleinen Nager, mit denen Deborah Sengl zuletzt für Aufmerksamkeit sorgte: Mit 200 ausgestopften Ratten inszenierte die Künstlerin im Essl Museum Karl Kraus’ Monumentalwerk "Die letzten Tage der Menschheit". – Weil sich 2014 der Ausbruch desErsten Weltkriegszum 100. Mal jährt natürlich. Aber auch, weil sich viele Muster offenbar wiederholen.

"Wie damals ist die öffentliche Meinung heute vielfach von Aggression geprägt. Bestimmte Medien haben eine Freude daran, Wut zu schüren. So gesehen hat sich seit 1914 leider nicht viel verbessert", sagt Sengl.

Im "Shitstorm"

"In der Politik müssen Fehler erlaubt sein"
Die österreichische Künstlerin Deborah Sengl im Interview am 25.07.2014 in ihrem Atelier in Wien.
Kindererziehung, Konsumwahn, Machtmissbrauch und Globalisierung sind klassische Themen der Attersee-Schülerin. Besonders beschäftigen Sengl derzeit die sogenannten Sozialen Medien – und was sie mit unserer Gesellschaft tun.

Die Künstlerin musste die dunklen Seiten von Facebook, Twitter & Co am eigenen Leib erfahren. Nachdem sie für ein Kunstwerk ein Huhn an ein Kreuz genagelt hatte, traten der Piusbruderschaft nahestehende Aktivisten einen "Shitstorm" gegen Sengl los. "Mir ging es nicht um Kirchen-Kritik. Ich wollte die inhumane Tierhaltung anprangern. Das Huhn sollte als Märtyrer verstanden werden, und das Kreuz war für mich das stärkste Symbol für Märtyrertum. Ich wurde völlig falsch verstanden."

"Blasphemie"

Es half nichts. Schmähungen ("Blasphemie") überzogen ihre Homepage, vorübergehend wurde die Seite von Facebook gesperrt. "Wenn Facebook und Twitter dazu dienen, Leute digital hinzurichten, dann wird’s gefährlich. So etwas macht mir Angst", sagt Sengl, die nunmehr lieber von a-sozialen Medien spricht. "Weil sie die Menschen enorm enthemmen."

Wie kann man gegensteuern? Neue Gesetze? Eine Klarnamen-Pflicht im Netz? "All das bringt wenig", sagt Sengl. Sie appelliert an das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen. "Man sollte sich dem Druck entziehen, zu allem und jedem immer sofort eine Meinung haben zu müssen."

Die sogenannten Sozialen Medien förderten die Polarisierung. "Mir geht zum Beispiel der Nahostkonflikt sehr zu Herzen. Dennoch würde ich mir nicht anmaßen, Kommentare zu posten – ich kenne mich zu wenig aus, um eine Position zu beziehen. In den Sozialen Netzwerken wird Bedächtigkeit aber nicht belohnt."

"In der Politik müssen Fehler erlaubt sein"
APA16715598-2 - 30012014 - WIEN - ÖSTERREICH: Presseführung durch die Ausstellung "Die letzten Tage der Menschheit" mit der österreichische Künstlerin Deborah Sengl am Donnerstag, 30. Jänner 2014, in Klosterneuburg im Essl Museum. APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER
Die Künstlerin plädiert für "mehr Gelassenheit" im täglichen Miteinander, im öffentlichen Diskurs – insbesondere im politischen. "Es braucht vermutlich eine Entschleunigung."

Interessieren Sengl Politiker als Gegenstand ihrer Kunst? "Ich würde nie eine Skulptur über den Regierungschef machen. Das ist zu speziell. Mir geht es um gesamtgesellschaftliche Phänomene."

Bisweilen vermisse sie die Charismatiker im politischen Geschäft. "Aber ich habe zunehmend Respekt vor der Aufgabe, der sich Politiker stellen. Man steht dauernd im Mittelpunkt und weiß, dass jedes Wort, das man irgendwo sagt, etwas anrichten kann."

Natürlich sei Politik ein selbst gewähltes Schicksal ("Man wacht ja nicht eines Tages als Bundeskanzler auf"). Tauschen wollen würde Sengl, die mit einem Politik-Berater verheiratet ist, aber keinesfalls. "Es gibt in diesen Kreisen besonders die Tendenz, anstatt der eigenen Vorzüge die Schwächen des Gegners zu thematisieren." Sengl missfällt das. "Es sollte wieder erlaubt sein, Fehler zu machen, zu ihnen zu stehen – besonders in der Politik."

Wie steht’s eigentlich um die heimische Kulturpolitik? Die Künstlerin ist vorsichtig, aber eines traut sie sich zu befinden: "Die institutionalisierte Kulturpolitik interessiert sich für heimische Künstler eher spät, nämlich dann, wenn sie schon etwas geschafft haben und im Ausland Preise gewinnen." Im Film sei dies stark zu beobachten ("Man denke an einen Haneke"); ähnlich sei es in Musik und bildender Kunst. Exemplarisch ist für Sengl das Phänomen Conchita Wurst: "Als entschieden wurde, wir schicken sie zum Song Contest, da hatte Conchita wenige Freunde und Unterstützer in der Politik. Kaum hat sie gewonnen, wollte plötzlich jeder neben ihr stehen und mitfeiern. Das ist leider – auch – Österreich."

"Wie damals ist die öffentliche Meinung heute vielfach von Aggression geprägt. Bestimmte Medien haben eine Freude daran, Wut zu schüren. So gesehen hat sich seit 1914 leider nicht viel verbessert", sagt Sengl.

Deborah Sengl 1974 in Wien geboren, ist sie die Tochter des Malers Peter Sengl und der Künstlerin Susanne Lacomb. Sengl studierte Biologie, sattelte dann aber auf Kunst um (Abschluss 1997 bei CL Attersee).

Werke Bekannt wurde Sengl mit Tier-Skulpturen wie dem "Wolfsschafpriester". Zuletzt inszenierte sie im Essl Museum "Die letzten Tage der Menschheit".

www.deborahsengl.com

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