"Ich hänge nicht am Bild von Dollfuß"

Außenminister Sebastian Kurz mit den KURIER-Redakteuren Margaretha Kopeinig und Josef Votzi
Der Außenminister über das Gedenken an 1934 und 1914, die Lage in Bosnien und das Schweizer Referendum.

Am Dienstag haben Werner Faymann und Michael Spindelegger gemeinsam des Bürgerkrieges 1934 gedacht und damit eine Geste der Versöhnung gesetzt. Wie geht Sebastian Kurz (27) als jüngstes Regierungsmitglied mit dem Gedenken an die Jahre 1934 und 1914 um?

KURIER: Herr Minister, wie haben Sie den 12. Februar verbracht?

Sebastian Kurz: Ich war in Brüssel beim Außenministerrat. Wir haben über Bosnien, die Schweiz, die Personenfreizügigkeit und über den Umgang mit nationalen Strömungen in der EU diskutiert.

Zeitgleich wurden Soldaten im Karl Marx-Hof vereidigt? Berührt der 12. Februar 1934 die Generation der Enkel überhaupt noch?

Es gab einen Bürgerkrieg, Österreicher haben aufeinander geschossen. Ich bin froh, in einer Zeit zu leben, wo das undenkbar ist. Der Blick zurück ist gut: Wer weiß, was Krieg auslöst, kann Friede und Freiheit besser schätzen.

Ist der Bürgerkrieg unter Ihresgleichen Thema?

Das ist sehr weit weg. Für uns ist sogar der Zweite Weltkrieg weit weg. Aber wenn man von Großeltern persönlich Eindrücke dieser Zeit hört, dann ist das Thema ganz nah.

Gibt es noch Hass zwischen Rot und Schwarz?

In der Tagespolitik gibt es oft sehr viel Streit. Meine Generation erlebt keinen Hass zwischen Rot und Schwarz, schon gar keinen, der im Jahr 1934 begründet ist.

Soll das Dollfuß-Bild im ÖVP-Parlamentsklub hängen bleiben?

Persönlich hänge ich nicht an dem Bild, ich bin für eine objektive Auseinandersetzung dieser Zeit: Es war ein autoritäres System, gleichzeitig war Dollfuß Opfer des Nationalsozialismus. Die ÖVP kann Dollfuß nicht leugnen, sie sollte ihn aber auch nicht idealisieren.

Man kann das Bild also abhängen?

Ich hänge nicht an dem Bild, aber: Es gibt in Wien viele Straßennamen, die historisch belastet sind, zum Beispiel der Dr.-Karl-Renner-Ring mit dem Sitz des Parlaments. Karl Renner war ein Befürworter des Anschlusses. Man sollte sich die Diskussion über Geschichte nicht zu leicht machen.

Was machen Sie am 28. Juni, dem 100. Jahrestag der Ermordung des Thronfolgers in Sarajevo?

Rund um den 28. Juni haben wir zahlreiche Veranstaltungen zum Gedenken an den Kriegsausbruch 1914 im In- und Ausland.

Nationalismus führte zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Wieder gibt es Unruhen in Bosnien. Ist der Nationalismus am Balkan gebannt?

Nationalistische Strömungen gibt es nicht nur am Balkan, sondern in vielen Teilen Europas. Die Proteste in Bosnien sind gegen Korruption und gegen ein System gerichtet, das nicht funktioniert. Ich hoffe, dass die Proteste nicht für ethnische und religiöse Konflikte instrumentalisiert werden, sie finden dort leicht einen Nährboden. Für die EU ist es ein Weckruf, Bosnien nicht am Radar zu verlieren.

Wird die EU-Truppe aufgestockt?

Die derzeitigen Truppen sind sinnvoll. Die Antwort sind aber nicht mehr Truppen, sondern Reformen. Österreich hat bei Polizeikooperationen Unterstützung geleistet. Aufbau von Rechtsstaatlichkeit ist auch im Eigeninteresse: Österreich ist Investor Nummer 1 in Bosnien.

Österreich sollte Entwicklungshilfe bei der Demokratisierung leisten?

Ja. Wir müssen die bosnische Politiker noch stärker fordern und mehr von ihnen verlangen.

Die EU könnte auch Gelder in Bosnien einfrieren, korrupte Politiker verfolgen.

Ich habe in Brüssel Druck gefordert und war damit nicht alleine. Die EU hat mit dem Geld ein starkes Druckmittel gegen Politiker in der Hand. Die EU darf nicht wegsehen, wenn Korruption an der Tagesordnung ist. Hoffentlich erkennen die bosnischen Politiker das Alarmsignal der Proteste.

2015 wird auch dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren gedacht. Ist der Holocaust wiederholbar?

So etwas darf sich nie wiederholen. Die EU als Friedensprojekt ist die richtige Antwort auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir dürfen das Friedensprojekt nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Deswegen sind nationalistische und nationale Strömungen äußerst bedenklich. Es gibt da und dort das Spiel mit dem Feuer und Emotionen.

Wen und und welche Spiele meinen Sie damit?

Wenn Strache sich über die Schweiz freut, dann ist das nicht nachvollziehbar. In der Schweiz sind wir Österreicher die Ausländer, sie profitieren nicht von der sehr nationalen und abgrenzenden Haltung der Schweiz. Bei der Abstimmung ging es ja um Zuwanderung innerhalb der EU, 80 Prozent der Zuwanderer in der Schweiz sind aus der EU, die meisten aus Deutschland, Italien und Österreich.

Wird der EU-Wahlkampf eine Rückkehr zu Hetze und Ausländerfeindlichkeit bringen?

Man darf nicht den Fehler machen und sagen, dass jeder, der ein Problem mit Zuwanderung hat, ein Ausländerfeind sei. Man darf nach der Schweizer Volksabstimmung auch nicht sagen, die Schweiz sei rassistisch. Mir wurde berichtet, dass es jetzt eine Debatte in der Schweiz gibt, was alles gefährdet ist: Studentenaustausch-Programme, Forschungskooperationen, der Binnenmarkt-Zugang.

Warum ist das Referendum dennoch gegen offene EU-Grenzen ausgegangen?

In der Krise gibt es eine grundsätzliche Abneigung gegen Zuwanderer. Den Populisten in der Schweiz gelang es, alles in einen Topf zu werfen, nämlich EU-Freizügigkeit mit etwa Armutszuwanderung. Ich sehe im Referendum eine Chance für eine objektive Auseinandersetzung über Vor- und Nachteile von Niederlassungsfreiheit und den Binnenmarkt innerhalb Europas.

Sind Sie für eine Regulierung der Zuwanderung und Einschränkung der Personenfreizügigkeit?

Die Niederlassungsfreiheit ist ein Grundpfeiler der EU. Niederlassungsfreiheit bedeutet nicht, dass man sich das Sozialsystem aussuchen darf, das am besten zu einem passt, es bedeutet nicht Sozialtourismus. In Österreich verlangen wir von Zuwanderern entweder einen Job oder ausreichende Mittel zum Leben.

Bayern will jetzt noch strengere Regelungen.

Die Politik muss Mut zu Entscheidungen haben, man darf es nicht Gerichten überlassen.

Keine Sozialleistungen für jedermann?

Der Politiker darf nicht feig sein, klare Regeln zu schaffen, sonst wird die Niederlassungsfreiheit missbraucht oder gefährdet. Wenn es Bedarf gibt, müssen die EU-Staaten Zuwanderung strikter regeln.

Muss Österreich nachschärfen?

Ich gehe davon aus, dass der Sozialminister Missbrauch bekämpft. Im Moment ist mit der Aufenthaltsbescheinigung Missbrauch fast ausgeschlossen. Sollten wir feststellen, dass es Missbrauch gibt, dass Niederlassungsfreiheit dahingehend interpretiert wird, dass man in einem anderen Land auf Kosten anderer leben kann, dann müsste man nachschärfen.

Sie sind auch Chef der Jungen ÖVP. Was kostet das Hypo-Finanzdesaster die jungen Generation?

Der Schaden ist enorm. Ich verstehe nicht, dass sich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache als selbst ernannter Rächer und Retter aufspielt. Die FPÖ hat mit dem Hypo-Desaster in Kärnten ein Verbrechen am österreichischen Steuerzahler begangen. Das Budget ist für Jahre belastet. Ich erwarte von Strache, dass er die massive Verantwortung der FPÖ anspricht, als Parteichef sollte er dazu stehen. Er sollte mithelfen, das Problem gesamtstaatlich zu lösen.

Braucht es einen nationalen Schulterschluss?

Natürlich. Alle sollten an einem Strang ziehen, das Budget ist durch das Desaster der Hypo enorm belastet. Österreich würde das Geld dringend für Zukunftsinvestitionen brauchen.

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