Hypo: Das Puzzle eines blauen Exzesses

Hypo: Das Puzzle eines blauen Exzesses
Der Vorsitzende des Kärntner Untersuchungsausschusses, Rolf Holub, hält ein erneutes Aufrollen des Desasters im Nationalrat für wichtig: Es würde die Verantwortung der FPÖ und das Systemversagen bloßlegen.

Noch wehren sich SPÖ und ÖVP gegen einen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung des größten Finanzdebakels der Zweiten Republik. Sie sagen, die FPÖ würde die Regierung, die nun die Suppe auszulöffeln hat, zum Täter stempeln.

Im Kärntner Landtag gab es bereits zwei U-Ausschüsse zu dem Thema, wobei der zweite unter dem Vorsitz des nunmehrigen grünen Landesrats Rolf Holub in einem 735 Seiten starken Bericht die schrägen Vorgänge in Kärnten recht gut ausleuchtete. Dennoch blieben zentrale Fragen offen. Etwa, so Holub: "Die Bankenkontrollore – Nationalbank und Finanzmarktaufsicht – verwehrten mir damals alle Akten."

Hypo: Das Puzzle eines blauen Exzesses
Rolf Holub grüner Kandidat für die Landtagswahl
Die Angst der Regierungsparteien vor der Propaganda der FPÖ kann Holub nicht verstehen: "Der U-Ausschuss im Nationalrat sollte nicht nur die Zeit ab der Verstaatlichung 2009 aufarbeiten, sondern auch die Entstehungsgeschichte in Kärnten nachvollziehen, wie es zu den Haftungen des Landes kam." Das, so Holub, würde die "Verantwortung der FPÖ und des SystemsHaider bloßlegen". Daraus ließen sich dann Schlüsse ziehen, wie man solche Debakel künftig verhindern kann.

Der Dreh- und Angelpunkt des Skandals sind die exorbitant hohen Haftungen, die das Land Kärnten für seine Landesbank übernahm. In gewissem Ausmaß haben das alle Bundesländer und auch Kärnten in den 1990ern unter ÖVP-Landeshauptmann Christoph Zernatto gemacht. Aber der Exzess, mehr als das Zehnfache des Landesbudgets an Haftungen einzugehen, ist zwischen 2003 und 2007 unter Haider passiert. Sonst nie und nirgendwo.

Die Haftungen ermöglichten Bankchef Wolfgang Kulterer, billiges Geld auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen und damit die Bilanzsumme der Bank aufzublasen. Sie stieg von 2003 bis 2006 um 18 Milliarden – von 13 auf 31 Milliarden Euro (Grafik unten). Das Geld wurde ohne ausreichende Risikoabsicherung im Alpe Adria-Raum in Form von Krediten rausgeblasen. Haider kassierte für die Haftungen Millionen Provision für Wohltaten, mit denen er sich die Wähler einkaufte: Hunderter-Verteilaktionen aus der Handkassa, Billig-Benzin von Landestankstellen usw. sind legendär.

Außerdem wünschte sich Haider als Eigentümer-Vertreter – er war in der kritischen Zeit auch Finanzreferent und Aufsichtskommissär – allerlei kostspielige Engagements der Landesbank, vom Schlosshotel am Wörthersee bis zur Fluglinie.

Ab April 2007 untersagte die EU die Haftungen. Flugs verkaufte Haider im Monat darauf die Hypo an die Bayrische Landesbank – ohne Befassung des Landtags. Die bis 2017 laufenden Haftungen beließ er bei Kärnten. Haider verunfallte 2008. 2009 bemerkten die Bayern, welchen Schiefer sie sich eingezogen hatten und weigerten sich, ein neues Loch im Eigenkapital aufzufüllen. Die österreichische Finanzmarktaufsicht musste einschreiten und machte sich auf den Weg nach Klagenfurt, um eine Insolvenz der Bank einzuleiten. Durch die Haftungen Kärntens, die damals knapp 19 Milliarden betrugen, war Österreich erpressbar. Die Regierung Faymann/Pröll musste die Bank sofort notverstaatlichen und hatte schlechte Karten im Poker mit Bayern. "Die Bayern wussten, die Landeshaftungen würden Österreich zerquetschen und nicht Bayern", sagt der damalige Finanzstaatssekretär Andreas Schieder.

Genau weil die Landeshaftungen entscheidend für die Verantwortung der FPÖ sind, betreibt die FPÖ in diesem Punkt eine schamlose Lügenpropaganda. Sie behauptet, alle anderen – die Bank, die Bayern – hätten im Insolvenzfall zuerst zahlen müssen, und zuletzt erst Kärnten. Das ist definitiv falsch.

Im Kärntner Landesholding-Gesetz steht mehrfach ausdrücklich, dass es sich um "Ausfallsbürgschaften nach § 1356 ABGB" handelt. Der §1356 des ABGB ist für jeden Laien verständlich. Er besagt, dass im Fall der Insolvenz der Bürge – also Kärnten – in Vorlage treten muss (siehe unten). Erst im Nachhinein hätte das Land im Insolvenzverfahren regressieren können. Dementsprechend heißt es im Ministerratsvortrag zur Verstaatlichung im Dezember 2009: "Im Konkursfall kann sich der Gläubiger sofort und direkt an den Ausfallsbürgen wenden. Eine Insolvenz des Landes Kärnten wäre unausweichlich. Die Zahlungen sind sofort und budgetwirksam zu leisten, während die Verwertung der Konkursmasse Jahrzehnte dauert." Kärnten bzw. der Bund hätten lange warten müssen, bis sie von den 19 Milliarden Bürgschaft etwas zurückbekommen hätten. Zum Vergleich: Das gesamte Bundesbudget betrug damals rund 65 Milliarden. Abgesehen davon wären von der Insolvenz 1300 Arbeitsplätze in Kärnten und 6200 im Ausland betroffen gewesen – von den Folgen des Zusperrens einer 2009 noch systemrelevanten Bank ganz zu schweigen.

Die bittere Wahrheit ist: die Bundesregierung rettete 2009 Haiders Kärnten vor der Insolvenz zu dem Preis, dass die Steuerzahler noch zehn Jahre dafür blechen müssen – und FPÖ-Chef Strache hält ihr dafür jetzt im Nationalrat die Handschellen hin.

Es gibt einen unverdächtigen Zeugen für das unmittelbare Fälligwerden der Haftungen bei Insolvenz: den Rechnungshof unter Präsident Josef Moser, der bekanntlich viele Jahre ein enger Vertrauter Haiders war. In seinem jüngsten, von Moser unterzeichneten Bericht, hält der Rechnungshof fest, dass "die Ausfallsbürgschaften nach § 1356 ABGB" vom Land Kärnten bis zu deren Fälligwerden 2017 aufrecht erhalten wurden. Die im Gegenzug gewährten Kontrollrechte nahm Kärnten jedoch nicht wahr. Dem Finanzreferenten – nach Haiders Tod war dies Harald Dobernig (FPK) – wären Buch- und Betriebsprüfungen auch in der Zeit der Bayern-Herrschaft in der Bank zugestanden. Haider und Dobernig veranlassten keine einzige Prüfung – obwohl die FPÖ jetzt behauptet, die Bayern seien an allem schuld. Kärnten begründet die nicht erfolgte Kontrolle mit "Personalmangel".

FPÖ/BZÖ taten zudem alles, um die Haftungshöhen zu verschleiern. Zwar haben alle Parteien dem Haftungsgesetz zugestimmt, das Gesetz war aber ein unlimitierter Persilschein. Als die Haftungen 2004 explodierten, schrie der Kärntner Rechnungshof auf und verlangte, die Haftungshöhen im Rechnungsabschluss des Landes auszuweisen. Daraufhin verweigerte Haider dem Landtag drei Jahre hindurch die Rechnungsabschlüsse.

Ein U-Ausschuss würde zudem wohl die These von Erste Bank-Chef Andreas Treichl bestätigen, wonach "unsere Politiker von Wirtschaft keine Ahnung" haben. So sagte Ex-SPÖ-Chef Reinhard Rohrim Landes-U-Ausschuss: "Ich habe die Haftungen für eine Formalsache gehalten. Die Bank war gesund."

Nachlesen: Haften ohne Kontrolle

Kärntner Landesholdinggesetz § 5: "Das Land Kärnten haftet als Ausfallsbürge gemäß § 1356 ABGB im Fall der Zahlungsunfähigkeit der Aktiengesellschaft oder ihrer Gesamtrechtsnachfolger." Nachlesen: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrK&Gesetzesnummer=10000143&ShowPrintPreview=True

Paragraf 1356 ABGB: "Der Bürge kann aber, selbst wenn er sich ausdrücklich nur für den Fall verbürgt hat, dass der Hauptschuldner zu zahlen unvermögend sei, zuerst belangt werden, wenn über das Vermögen des Hauptschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wurde." Nachlesen: http://www.jusline.at/1356_ABGB.html

Rechnungshofbericht vom 29. 1. 2014: "Das Land Kärnten führte aufgrund einer mangelnden Personalausstattung keine Buch- und Betriebsprüfungen bei der HBInt und bei der HBA durch." Nachlesen: http://www.rechnungshof.gv.at/fileadmin/downloads/_jahre/2014/berichte/berichte_laender/kaernten/Kaernten_2014_01.pdf

Hypo: Das Puzzle eines blauen Exzesses

KURIER: Herr Dörfler, Landeshauptmann Peter Kaiser hat sich bei den Steuerzahlern für das Hypo-Debakel entschuldigt. Sollten Sie sich als Ex-Landeshauptmann nicht auch entschuldigen?

Gerhard Dörfler: Ich möchte festhalten, dass es mir zutiefst leid tut, dass es das Hypo-Problem gibt.Diese Entwicklung ist bitter. Aber ich gehe davon aus, dass jeder Politiker sowohl seinerzeit in Kärnten bei den Haftungen, darunter war auch Peter Kaiser, und später bei der Notverstaatlichung in Wien im guten Glauben gehandelt hat. Jetzt muss man aufklären, warum es dieses Problem gibt. Deswegen sollte ein U-Ausschuss installiert werden und ich frage mich, warum die Regierung diesen verweigert. Die ganze Kette, muss untersucht werden: Wie ist es zu den Haftungen gekommen? Haben damals bereits die Kontrollmechanismen versagt? Diese Frage muss man sich schon stellen, warum derartig hohe Haftungsrahmen erlaubt waren?

Derzeit herrscht ein Expertenstreit, wie das Hypo-Debakel abgewickelt werden soll. Welche Lösung präferieren Sie?

Ich bin für jene Lösung, die den Steuerzahler vor der Begleichung dieser verrückten Rechnung am meisten verschont. Seit der Notverstaatlichung 2009 ist viel zu viel Zeit und viel zu viel Geld vergeudet worden. Jetzt sollte endlich Schluss mit dem Debattieren und Schuldzuweisungen sein. Es müssen Finanzexperten ran, die ihr Fach verstehen und nicht abkassieren wollen. Es sollte einen fachlichen Schulterschluss geben.

Aber Tatsache ist, dass die Ausfallshaftungen von Kärnten die Ursache für das Desaster sind ...

Hätte die SPÖ und die ÖVP im Landtag nicht mitgestimmt, hätte es die Haftungen nicht gegeben. Jörg Haider hatte damals keine absolute Mehrheit, weder in der Regierung und noch im Landtag.Das Koalitionspaar Jörg Haider-Peter Ambrozy (SPÖ)hatte einen politischen Pakt, welche SPÖ-, welche FPÖ- und auch welche ÖVP-Projekte mit dem Hypo-Haftungserlös finanziert werden. Jetzt zu sagen - nur Jörg Haider ist Schuld- ist eine politische Unehrlichkeit.

Vizekanzler Spindelegger fordert von Kärnten einen finanziellen Aderlass. Würden Sie die 500 Millionen des Zukunftsfonds nach Wien überweisen?

Ich bin nicht immer mit Landeshauptmann Peter Kaiser einer Meinung, aber in diesem Fall schon. Kärnten hat bereits 200 Millionen Euro gezahlt. Der Zukunftsfonds darf nicht angerührt werden.

In Prozent ausgedrückt: Wie groß ist die Schuld Kärntens?

Das muss ich einmal schroff zurückweisen. Beim Bawag-Skandal hat man auch nicht Wien und die Bawag in einen Topf geworfen. Am Swap-Skandal sind auch nicht die Linzer Schuld. Alle haben beim Hypo-Skandal ihren Beitrag geleistet. Die Finanzmarktaufsicht, die bei ihrer Kontrollaufsicht versagt hat, sitzt nicht in Kärnten und auch die Nationalbank sitzt nicht in Kärnten. Und die Landeshaftungen sind auch kein Kärntner Sonderfall. Auch andere Bundesländer haben Haftungen. Leider ist die Hypo aus dem Ruder gelaufen.

Kein Bundesland hatte Haftungen in dieser Höhe. Warum haben Sie im März 2009 der Hypo eine Aufstockung der Landeshaftungen angeboten?

Es gab Gespräche im März 2009: Die Bayern wollten mit Kärnten über eine Kapitalerhöhung verhandeln, wir haben diese aber dezidiert abgelehnt und ausgeschlossen.

Noch mag niemand mit Sicherheit sagen, wie viele Milliarden Euro die "Abwicklung" der im Staatsbesitz befindlichen Hypo Alpe Adria-Bank jeden Österreicher am Ende kosten wird. Bei der Frage, wer an dem Desaster eigentlich schuld sei, sprechen die Österreicher allerdings eine deutliche Sprache.

Wie eine OGM-Umfrage im Auftrag des KURIER zeigt, geben fast drei Viertel der Österreicher dem im Oktober 2008 verstorbenen Landeshauptmann Jörg Haider die größte Schuld. 57 Prozent attestieren ihm "sehr viel Schuld", 17 Prozent "viel Schuld". Vor allem ÖVP-Wähler (zu 89 Prozent) und SPÖ-Wähler (84 Prozent) sehen Haider in der Ziehung, erklärt OGM-Chef Wolfgang Bachmayer das Umfrageergebnis. "Aber auch 57 Prozent der FPÖ-Sympathisanten sehen den verstorbenen Politiker als Hauptverantwortlichen." Das habe auch damit zu tun, dass nahezu alle Politiker Jörg Haider als Hauptschuldigen nennen, "dann wird das auch von den Menschen so aufgenommen", analysiert Bachmayer.

Brot und Spiele-Politik

Auffällig sei zudem dass die ältere Generation (50+) Haider deutlich kritischer sehen als unter 30-Jährige. "Die können sich eher daran erinnern, wie die Brot- und Spiele-Politik unter Haider seit den 1990er-Jahren in Kärnten zelebriert wurde."

Hypo: Das Puzzle eines blauen Exzesses
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Die Liste der Schuldigen ist in den Augen der Österreicher lang: Sie attestieren auch allen anderen Kärntner Parteien, der Bankenaufsicht FMA, der Nationalbank unter Gouverneur Ewald Nowotny und den beiden ehemaligen ÖVP-Finanzministern Josef Pröll und Maria Fekter mehrheitlich schuldhaftes Verhalten . "Es gibt generell eine sehr breite Schuldzuweisung der Bevölkerung. Am besten kommt noch die aktuelle Regierungsspitze unter BundeskanzlerWerner Faymannsowie Vizekanzler und FinanzministerMichael Spindeleggerweg. Hier dürften sich die Menschen sehr deutlich erinnern, dass speziell Spindelegger erst seit Kurzem für die Finanzen zuständig sei und das Desaster nur in einem geringen Ausmaß zu verantworten habe", sagt der OGM-Chef.

Auffällig sei, dass der einst so beliebte Ex-ÖVP-Chef Josef Pröll, der die Notverstaatlichung der Hypo durchgeführt hatte, ebenfalls mehrheitlich mitverantwortlich gemacht wird. "Die zuletzt heftigen Attacken der FPÖ gegen Pröll scheinen Wirkung gezeigt zu haben."

Mit 71 Prozent gibt es zudem ein ganz klares Votum für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, nur 13 Prozent der Befragten halten diesen für entbehrlich. "Das lässt sich leicht durch die kolportierten Horror-Kosten für den Steuerzahler erklären", sagt Bachmayer. Dazu kommt, dass eine Mehrheit Faymanns Verhalten, sich nicht oder zu wenig den Fragen zur Hypo zu stellen, sehr kritisch sehen.

Ruf nach Konsequenzen

So ist auch wenig verwunderlich, dass die Menschen deutlich strengere persönliche Haftungen einfordern, sowohl für die Handlungen von Politikern als auch jene der Manager.

"Der Tenor in der Bevölkerung lautet: Da gehört Verantwortung her", analysiert Bachmayer, "die persönlichen Haftungen müssen verschärft werden, die Menschen wollen Konsequenzen aus dem Desaster sehen".

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