Wahl-Anfechtung: 50 Zeugen werden geladen

Alexander Van der Bellen (l.) und Norbert Hofer
Unter den Zeugen befinden sich sowohl Mitglieder der Bezirkswahlbehörden als auch Vertreter von Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bemüht sich im Verfahren zur Anfechtung der Bundespräsidentenwahl durch die FPÖ um größtmögliche Transparenz. Von Montagfrüh bis Mittwochmittag wird öffentlich verhandelt. An die 50 Zeugen - Vertreter von Bezirkswahlbehörden - werden geladen, berichtete VfGH-Sprecher Christian Neuwirth am Dienstag.

Zweck der Verhandlung ist die Einvernahme der Zeugen zur Frage der Durchführung des zweiten Wahlganges der Bundespräsidentenwahl am 22. Mai. Als Zeugen geplant sind an die 50 Mitglieder von - vom VfGH ausgewählten - Bezirkswahlbehörden aus verschiedenen Bundesländern. Außerdem eingeladen werden ein Vertreter der Bundeswahlbehörde und Vertreter der beiden Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (FPÖ) und Alexander Van der Bellen (Grüne) - nämlich die Zustellungsbevollmächtigten bzw. deren Stellvertreter sowie deren Anwälte. Zustellungsbevollmächtigter Hofers ist FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, bei Van der Bellen ist es der Direktor des Grünen Parlamentsklubs Robert Luschnik.

FPÖ: "gesetzwidrige Vorgänge"

Verhandelt wird am Montag, 20. Juni, und Dienstag, 21. Juni, von 8.30 bis 19.00 Uhr, am Mittwoch voraussichtlich bis Mittag.

Die FPÖ hat in ihrer 150 Seiten langen Anfechtung Unregelmäßigkeiten vor allem bei der Auszählung der Briefwahl am Montag - die vorzeitige Öffnung von Wahlkuverts oder auch vorzeitiges Auszählen - vorgebracht. In 94 der 117 Bezirkswahlbehörden seien "gesetzwidrige Vorgänge" von unterschiedlicher Qualität festgestellt worden. Dennoch haben laut Robert Stein, dem Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium, auch die FPÖ-Vertreter in den Wahlbehörden unterschrieben, dass die Auszählung gesetzeskonform (ab 9.00 Uhr früh) verlief.

Die Causa prima der heimischen Innenpolitik birgt eine enorme Dynamik in sich: Das Ergebnis der Hofburg-Stichwahl zugunsten von Alexander Van der Bellen lag einen Tag vor, als es am Dienstag, dem 24. Mai, schon die erste Anzeige gab. Das Innenministerium zeigte die Stadt Villach an. Verdacht: Amtsmissbrauch und falsche Beurkundung.

Durch einen Hinweis aus der Kärntner Landeswahlbehörde war publik geworden, dass in Villach die Briefwahlstimmen möglicherweise schon am Wahlsonntag ausgezählt worden sind. Das Gesetz schreibt vor, damit bis Montag, 9.00 Uhr zu warten.

Seither geht es Schlag auf Schlag: Mit Stand Montag 13. Juni, weniger als einen Monat vor der geplanten Angelobung Van der Bellens am 8. Juli, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen sechs Bezirkswahlbehörden, wo der Verdacht besteht, dass Briefwahlstimmen zu früh beziehungsweise von Unbefugten ausgezählt wurden.

Nach der Wahlanfechtung durch die FPÖ am vergangenen Mittwoch beim Verfassungsgerichtshof treibt auch die Höchstrichter eine Schlüsselfrage um: Wie kann es sein, dass sich zwar laut Wahlleiter Robert Stein in den amtlichen Akten und Wahlprotokollen keine Beanstandungen oder Hinweise auf Verfahrensfehler finden, diese aber nach der Stichwahl sehr wohl behauptet wurden (siehe Zusatzgeschichte rechts).

Wurde hier gelogen? Wurden Wahlbeisitzer vorher zur "Alles-Okay"-Unterschrift genötigt? Sagen Wahlkommissions-Mitglieder jetzt etwas anderes als bei der Auszählung und wenn ja, warum? Aus politischen Gründen?

Kalender leer geräumt

Das Höchstgericht unter Präsident Gerhart Holzinger steht angesichts der Komplexität des Falles, der politischen Brisanz einer allfälligen Wahlwiederholung und des enormen Zeitdrucks, gehörig unter Druck. Noch sei nicht entschieden, ob es – wie bei der Staatsanwaltschaft – auch am VfGH zu eigenen Ermittlungen samt Zeugen-Einvernahmen kommt – denkbar sind sie sehr wohl.

Um die Chance zu wahren, die Causa doch bis zum 8. Juli entscheiden zu können, hat der VfGH jedenfalls alle im Juni angesetzten öffentlichen mündlichen Verhandlungen abgesagt. Er widmet sich nun mit ganzer Kraft der blauen Wahlanfechtung.

Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk geht im KURIER-Gespräch davon aus, dass die "Freiheitlichen ganz gute Chancen haben, dass die Stichwahl aufgehoben" wird. Diese Prognose stehe zwar unter dem klaren Vorbehalt, dass sich die beschriebenen Vorgänge bei der Auszählungen der Briefwahlstimmen bewahrheiten. Aber die Kombination aus teils zu früh ausgezählt und teils von unbefugten Personen wiege als Vorwurf schwer. Funk: "Wenn man sich die Judikatur ansieht, die aus gutem Grund von denkbarer Strenge getragen wird, dann würde ich sagen, dass es alles andere als sicher ist, dass der VfGH die FPÖ-Anfechtung abweist."

Gesamt-Wiederholung

Hebt das Höchstgericht die Stichwahl auf, so geht der Experte davon aus, dass sie komplett neu durchgeführt werden muss – nicht nur in bestimmten Bezirken oder nur die Briefwahl. "Das macht nur Sinn, wenn man im Falle des Falles die gesamte Stichwahl wiederholt. Sollte der VfGH die Aufhebung anordnen, sollte man zurück an den Start und unter den ursprünglichen Bedingungen den gesamten Wahldurchgang wiederholen."

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