Hinter dem Stimmungsbild: Die Argumente für und gegen CETA im Detail

In Österreich wächst die Proteststimmung gegen TTIP und CETA.
Worum genau geht's bei CETA wirklich und wo liegen die größten Unterschiede zu TTIP? Wir haben Experten von Attac, Global 2000 und der Industriellenvereinigung um ihre wichtigsten Argumente gebeten.

Gegner halten es für eine Blaupause von TTIP, Befürworter verweisen auf die Nachverhandlungen in Sachen Verbraucherschutz, die es zum besten Abkommen machen würden, "das Europa jemals ausgehandelt hat" (siehe EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker).

Laut einer aktuellen OGM-Umfrage ist das Stimmungsbild in der Bevölkerung eindeutig. Sechs Prozent der Österreicher sind demnach für CETA, 34 Prozent dagegen. 54 Prozent gaben an, noch unentschlossen zu sein (Umfrage im Auftrag von Greenpeace, befragt wurden 782 Österreich ab 16 Jahren).

Auch Bundeskanzler Kern ist sich noch nicht ganz sicher, hat aber jedenfalls eine starke Tendenz: In fünf No-Na-Fragen will er die Österreicher über die künftige Position der SPÖ zu CETA abstimmen lassen.

Wir haben nach Substanziellerem gefragt und heimische Freihandelsgegner (Attac und Global 2000) und -Befürworter (Industriellenvereinigung) gebeten, uns ihre schriftlichen Argumente zu jenen vier Punkten zu schicken, die in der öffentlichen Diskussion am umstrittensten sind.

Nachdem der deutsche Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel im Sommer 2014 Änderungen forderte, wurde der Invesititionsschutz tatsächlich neu ausgehandelt. So bewerten Attac und Industriellenvereinigung die nunmehrige Regelung:

Industriellenvereinigung
"In CETA wurden wesentliche Teile des von der Europäischen Kommission entwickelten neuen Ansatzes eines bilateralen Investitionsgerichts verankert. Dazu gehören unter anderem eine Berufungsinstanz, öffentlich ernannte Richter und eine explizite Verankerung des Rechts der Staaten Regulierungen nach eigenem Ermessen setzen zu können. Dieser Ansatz ist auch die Position der EU-Kommission in den TTIP-Verhandlungen und wurde dementsprechend den USA übermittelt, welche sich zu diesem Ansatz skeptisch zeigen. Noch gibt es dazu allerdings keine Einigung.

Österreich hat Investitionsschutzvereinbarungen mit 60 Staaten in Kraft und damit durchwegs gute Erfahrungen gemacht. Auf Grund der Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme ist ein effektiver Investitionsschutz zur Absicherung österreichischer Unternehmen in der USA auch in TTIP absolut sinnvoll. Bei Vorliegen einer nicht gerechtfertigten Diskriminierung können Investoren auf Schadenersatz, jedoch nicht auf Veränderung bestehender Gesetze klagen.

Attac
"Doch "Reformen" betreffen vorrangig den Verfahrensablauf (mehr Öffentlichkeit) und ändern nichts am grundlegenden Problem: Konzerne beiderseits des Atlantiks können damit weiter wie bisher Staaten auf Milliarden klagen, wenn sie ihre Gewinnerwartungen eingeschränkt sehen. Investoren genießen in CETA insbesondere durch das sehr weit gefasste Recht auf "faire und gerechte Behandlung" ebenso wie durch den Schutz vor "indirekter Enteignung" einen sehr weitreichenden Schutz. Sie erhalten damit Sonderrechte, die sonst niemand in der Gesellschaft hat - ohne dass sie im Gegenzug Verpflichtungen bei Umweltschutz, Sozial-, Gesundheit-, oder Sicherheitsstandards eingehen müssen.

Damit geht eine enorme Machtverschiebung weg von unabhängigen Gerichten und hin zu privaten und gewinnorientierten Anwälte einher. Sogar der deutsche Richterbund lehnt einen öffentlichen Investitionsschiedsgerichtshof ab. Er sieht "weder eine Rechtsgrundlage noch eine Notwendigkeit für ein solches Gericht." Besonders besorgniserregend ist, dass die Regelungen zur richterlichen Unabhängigkeit immer noch hinter den üblichen Rechtsstandards zurückbleiben. Egal ob in alter oder "neuer" Form: Die bestehenden Rechtssysteme in Kanada, den USA und in Europa bieten ausreichenden Schutz für Investoren. Klagerechte nicht reformierbar und nicht notwendig.

Anmerkung: Bei TTIP möchte die EU-Kommission mit den USA über eine Aufnahme diese reformierten Investitionsschutzes verhandeln. Der US-Vorschlag sieht private Schiedsgerichte vor - das belegen Dokumente, die Greenpeace über Wikileaks veröffentlichte.

Hinter dem Stimmungsbild: Die Argumente für und gegen CETA im Detail
"LoveMEATender: Die Liebe zum Fleisch", Vom Sonntagsbraten zum täglichen Luxus: LoveMEATender hinterfrägt den Stellenwert, den der Konsum von Fleisch in unserem Leben heute hat - immer mehr, immer billiger soll es ein. Für die Fleischproduktion werden Ressourcen wie Land und Wasser fern des Lebensalltags der Konsument/innen ausgebeutet. Umweltverschmutzung, Klimawandel: die Erde zahlt schon einen höheren Preis. Die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus reichen von Fettleibigkeit zu Krebs bis zur Resistenz gegen Antibiotika. Tiere werden vor allem in der industriellen Massentierhaltung zu Objekten degradiert. Diese Konsequenzen für Umwelt, Mensch und Tier entlang der Produktionskette bleiben oft außen vor. LoveMEATender ist ein Film, der das ändert und zudem mit alternativen Handlungsangeboten aufwartet.Im Bild: Schlachthof. SENDUNG: ORF3 - MO - 17.12.2012 - 20:15 UHR. - Veroeffentlichung fuer Pressezwecke honorarfrei ausschliesslich im Zusammenhang mit oben genannter Sendung oder Veranstaltung des ORF bei Urhebernennung. Foto: ORF/ORFIII. Anderweitige Verwendung honorarpflichtig und nur nach schriftlicher Genehmigung der ORF-Fotoredaktion. Copyright: ORF, Wuerzburggasse 30, A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-13606

Welche Änderungen sieht CETA bei den Verbraucherstandards vor?

Industriellenvereinigung
"In CETA wird das Recht beider Vertragsparteien, Standards nach eigenem Ermessen festlegen zu können ("Right-to-Regulate") mehrfach explizit festgehalten. Die Fähigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten, Standards, etwa im Rahmen des Konsumentenschutzes, zu erlassen, bleibt von CETA unberührt. Auch weiterhin dürfen nur Produkte in die EU eingeführt werden, welche den europäischen Vorschriften entsprechen. So darf beispielsweise auch nach einem Inkrafttreten von CETA kein hormonbehandeltes Rindfleisch aus Kanada in die EU eingeführt werden.

In TTIP gibt es hierzu noch keinen zwischen den USA und der EU akkordierten finalen Text. Das Verhandlungsmandat, das alle 28 EU-Mitgliedstaaten der Kommission einstimmig gegeben haben und an welches diese in ihren Verhandlungen gebunden ist, sieht aber eine derartige Regelung auch für TTIP vor. Dies ist somit auch die Verhandlungsposition Europas."

Global 2000
"Das europäische System des Verbraucherschutzes steht auf dem festen Boden des Vorsorgeprinzips. Das Vorsorgeprinzip ermöglicht es Regulierungsbehörden in Europa, in Fällen fehlender Gewissheit bezüglich Art, Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit von möglichen Schadensfällen vorbeugend zu handeln, um diese Schäden von vornherein zu vermeiden. Es stellt also die Schutzinteressen von Verbrauchern, aber auch der Umwelt – höher als z.B. rein wirtschaftliche Interessen.

In Kanada und den Vereinigten Staaten ist das Vorsorgeprinzip hingegen kaum oder nur äußert schwach ausgeprägt. Hier geht es vielmehr um Nachsorge. Ein Produkt gilt solange als sicher, als seine Schädlichkeit nicht zweifelsfrei, notfalls auch durch teure Klagen, nachgewiesen ist. So sind in den USA derzeit z.B. 82 Pestizide erlaubt, die in der EU schon lange als krebserregend oder hormonell gefährlich verboten sind.

Auch in den internationalen Regeln der Welthandelsorganisation hat sich dieser Ansatz durchgesetzt. Auf dieser Grundlage wurden die EU z.B. in einem von Kanada und den USA angestrengten Verfahren verurteilt, weil die zum Schutz der Verbraucher erlassenen Einfuhrverbote von mit Hormonen erzeugtem Rindfleisch gegen WTO Recht wären. Die EU hat sich hier erfolglos auf das Vorsorgeprinzip berufen, was belegt, wie wenig ausgeprägt dessen Schutz bis dato auf internationaler Ebene ist.

Die EU hat bereits im Zuge der CETA-Verhandlungen Standards in der Lebensmittelproduktion gelockert. So wurde das Milchsäurebad für Rindfleisch 2013 noch während der Verhandlungen erlaubt. Die Realität der Verträge könnte hier noch viel weiter gehen: Sowohl in CETA als auch in TTIP verweisen z.B. die Regelungen zu Pestizidrückständen auf die wesentlich laxeren, und nicht vorsorge-orientierten Regeln der internationalen Codex-Alimentarius Kommission."

Hinter dem Stimmungsbild: Die Argumente für und gegen CETA im Detail
ABD0037_20160511 - Der Auspuff eines Volkswagen auf einem Mitarbeiterparkplatz, fotografiert am 11.05.2016 mit dem Verwaltungshochhaus vom VW Werk in Wolfsburg (Niedersachsen). Auf dem Weg aus der Abgaskrise muss die Volkswagen AG am 22. Juni die nächste große Hürde überspringen: Bei der Hauptversammlung droht eine Abrechnung der Aktionäre mit dem Vorstand. Foto: Julian Stratenschulte/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Welche Änderungen sieht CETA bei den Umweltstandards vor?

Industriellenvereinigung
"Neben der genannten Wahrung des Rechts, Standards nach eigenem Ermessen festlegen zu können, bekennen sich die EU und Kanada in CETA explizit zu hohen Schutzstandards und sie verpflichten sich dazu, etwa Arbeits- und Umweltstandards nicht zur Förderung von Handel und Investitionen zu senken. Eine Absenkung der hohen europäischen Standards im Umweltbereich durch CETA ist daher nicht möglich. Auch hierzu gibt es in TTIP noch keinen finalen Text. Grundsätzlich muss aber TTIP, so wie jedes andere von der EU abgeschlossene Abkommen, im Einklang mit europäischem Recht stehen. Auch das ist im Verhandlungsmandat der EU-Kommission festgehalten."

Global 2000
"Aus Sicht des Umwelt – aber auch des vorsorgenden Verbraucher- und Gesundheitsschutzes – ist eine der größten Gefahren an CETA und TTIP das Instrument der "Regulierungszusammenarbeit". Es macht den Einfluss der großen Konzerne auf Gesetze noch leichter. Das bedeutet, dass die EU und Kanada in Zukunft versuchen wollen, ihre Regulierungsmaßnahmen (Gesetze, Richtlinien, Verordnungen) auf einander abzustimmen, um dadurch Handelsbarrieren abzubauen.

Das ist nicht nur problematisch, da zahlreiche Regelungen sehr unterschiedlich sind. In der EU gibt es etwa strengere Regelungen für Chemikalien oder Gentechnik. Es ist insbesondere problematisch, da schon bevor Gesetze in europäische oder nationale gewählte Parlamente kommen, mit Wirtschaftsvertretern diskutiert werden soll, welche Auswirkungen neue Regulierung auf den internationalen Handel hätte. Die Industrie soll so de facto frühzeitig Einblick in Gesetzesentwürfe bekommen und sagen, was für sie daran handelshemmend wäre. Damit werden aber eindeutig die Interessen der exportierenden Industrie über die Interessen der Umwelt und der Menschen gestellt.

Dass Gesetze zum Schutz der Umwelt durch den Einfluss der Industrie immer wieder verzögert oder aufgeweicht werden, wird durch CETA und TTIP damit noch häufiger passieren. Das belegen auch Beispiele mit den ersten Versuchen zur transatlantischen Regulierungszusammenarbeit. Das so genannte „Transatlantic Business Council“, ein Gremium, in dem große Wirtschaftsverbände mit Politik zusammentreffen, z.B. maßgeblich dazu beigetragen, dass das ursprünglich für 1993 angedachten Verbot für die Vermarktung von an Tieren getesteten Kosmetika erst 15 Jahre später als geplant in Kraft getreten ist. Parallel eingerichtete Diaologe mit der Zivilgesellschaft sind hingegen nie ähnlich ernsthaft betrieben worden."

Hinter dem Stimmungsbild: Die Argumente für und gegen CETA im Detail
Staudamm

Stichwort Liberalisierung von öffentlichen Dienstleisungen wie Wasserversorgung? Sind diese auch von CETA erfasst?

Industriellenvereinigung
"Eine Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen ist weder Inhalt von CETA noch der TTIP- Verhandlungen. Bei der Liberalisierung (Marktöffnung für ausländische Anbieter) in einzelnen Dienstleistungsbereichen ist die öffentliche Daseinsvorsorge ausgenommen und daher geschützt. Alle Handlungsspielräume der öffentlichen Hand bleiben für alle Verwaltungsebenen, so auch für die kommunalen, gewahrt.

Der besondere Status öffentlicher Dienstleistungen ist in den europäischen Verträgen und auch im Verhandlungsmandat der Kommission für TTIP explizit festgehalten. Der Wahrung der hohen Qualität der öffentlicher Versorgung in Europa wird daher im für die Kommission verbindlichen Verhandlungsmandat Rechnung getragen.

Der Dienstleistungshandel ist ein Eckpfeiler der österreichischen Wirtschaft. 2015 machten Dienstleistungen 29 % aller österreichischen Exporte aus. Dementsprechend ist ein verbesserter Marktzugang im Dienstleistungsbereich - wie in CETA festgelegt und in TTIP verhandelt - unter Wahrung des hohen Niveaus öffentlicher Dienstleistungen in Europa, im österreichischen Interesse."

Attac
"CETA sieht den Marktzugang und die Gleichbehandlung von kanadischen Unternehmen vor – auf Basis des Prinzips der Negativlisten. Ausgenommen ist damit nur, was im Vertragstext explizit genannt wird. Die enge Definition der Ausnahme von öffentlichen Dienstleistungen stellt nicht sicher, dass die Daseinsvorsorge komplett ausgenommen ist. Diese Definition gilt nur für jene Bereiche, die ausschließlich vom Staat und nicht im Wettbewerb erbracht werden.

Bereiche, die auch von Privaten erbracht werden, wie etwa Abwasserentsorgung, Abfallwirtschaft, Verkehrsdienstleistungen, Systeme der sozialen Sicherheit, sozialer Wohnbau, Gesundheit oder Energie sind somit nicht - oder nur sehr lückenhaft - von Ausnahmen erfasst. Gar nicht betroffen von Ausnahmen ist der Investitionsschutz – damit ist die Daseinsvorsorge dem Druck von Konzernklagen ausgesetzt

Darüber hinaus können einmal getroffene Entscheidungen zur Liberalisierung nicht zurückgenommen werden ("Stillstandsklausel"). Das würde etwa die aktuell in Deutschland geplanten Rekommunalisierungen im Energiesektor betreffen. Mit CETA würde jede Rücknahme von Liberalisierungen und jede spätere Regulierung einen Vertragsbruch bedeuten. Die sogenannte "Sperrklinkenklausel" stellt zudem sicher dass künftige nationale Liberalisierungen automatisch auch in CETA aufgenommen werden und somit für immer und dauerhaft gegenüber Kanada gelten."

Hier geht es zum Original-Text des Abkommens

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