"Geht um die Qualität des Führungspersonals"

Glaubwürdigkeit der Politiker und mehr Bürgernähe kann Vertrauensverlust in Parteien stoppen, sagt Fischer (76)
Bundespräsident Fischer über die Zukunft der Parteien.

KURIER: Herr Bundespräsident, wie kann der Vertrauensverlust gegenüber den ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP gestoppt werden?

Heinz Fischer: Der Verlust an Vertrauen kann nur gestoppt werden, wenn man jene Faktoren, die das Vertrauen zerstören, energisch eliminiert. Das heißt, Unredlichkeit, nicht eingehaltene Versprechungen, Ehrabschneidung, Intoleranz etc. müssten aus der Politik eliminiert werden.

Wie war es 1945?

Etwas Wesentliches muss gesagt werden: Die Situation nach 1945 in Österreich war eine ganz außergewöhnliche: Der mörderische Krieg war gerade zu Ende gegangen, die schreckliche Diktatur der Nationalsozialisten überwunden. Man erlebte die Geburtsstunde einer neuen Zeit in einem wieder selbstständig gewordenen Land, und es gab nur zwei glaubwürdig demokratische Parteien: ÖVP und SPÖ. Unter diesen Umständen erreichten diese beiden Parteien im Jahr 1945 mehr als 95 Prozent aller gültigen Stimmen und dann noch viele Jahre lang – mit sinkender Tendenz – mehr als 80 und mehr als 70 Prozent.

Also doch ein Vertrauensverlust im Laufe der Zeit?

Das war aber nur zum Teil ein "Vertrauensverlust" im eingangs geschilderten Sinn und zum Teil auch ein "Normalisierungsprozess" in Richtung eines Zustandes, wie er auch in vielen anderen europäischen Ländern existiert. Ich schätze, dass heute in mehr als der Hälfte aller europäischen Staaten die beiden stärksten Parteien nicht mehr als 55 Prozent der Stimmen erhalten. Die politische Landschaft ist ebenso pluralistischer und vielschichtiger geworden wie die Gesellschaft.

Womit sollen sich Parteien der Zukunft beschäftigen? Mit welchen Themen können die Parteien Bürger ansprechen?

Sichere Arbeitsplätze, innere Sicherheit, Kampf gegen Korruption, ein optimales Bildungssystem – das sind Themen, die in allen Ländern von den Parteien angesprochen werden müssen und nach Lösungen verlangen. Darüber hinaus bin ich aber der Meinung, dass es nicht nur um Themen geht. Es geht auch um Glaubwürdigkeit, es geht um die Qualität des Führungspersonals in der Politik. Es geht um moderne Organisationsformen, und es geht darum, Trennwände zwischen den Parteien und der Zivilgesellschaft zu eliminieren oder zumindest niedrig zu halten.

Was war der historische Unterschied bei der Parteigründung von SPÖ und ÖVP?

Beide Parteien haben im April 1945 einen Neustart ins Werk gesetzt. Ein wichtiger Unterschied war, dass die Sozialdemokraten die Zeit vom 1933 bis 1938 als eine heroische Phase empfanden und die Opfer des Februar 1934 als Märtyrer. Für die Christdemokraten stellten sich der März 1933, der Februar 1934 und die Jahre von 1934 bis 1938 eher als historische Belastung dar. Darauf ist ja auch die Umbenennung der Christlichsozialen Partei in "Österreichische Volkspartei" im April 1945 zurückzuführen.

Warum haben die großen Parteien, vor allem aber die SPÖ, die zur Flucht gezwungenen jüdischen Intellektuellen, Künstler, Schriftsteller nicht aktiv zurückgeholt? Wurde jemals nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges offiziell eine Einladung ausgesprochen?

Offizielle Einladungen zur Rückkehr aus der Emigration wurden nach 1945 meines Wissens nur in Einzelfällen ausgesprochen. Grundsätzlich herrschte offenbar die Stimmung vor, dass es schwer genug ist für die nach Kriegsende in Österreich lebende Bevölkerung Nahrung, Wohnungen und Arbeitsplätze zu beschaffen und dass man daher – von Einzelfällen abgesehen – denen, die im Ausland Fuß gefasst hatten, keine Angebote zur Rückkehr nach Österreich machte.

Auch der Österreichische Gewerkschaftsbund feiert 70. Geburtstag. Welchen Sinn hat der ÖGB noch?

Es sind Lehren aus einer mehr als 100-jährigen Geschichte, dass in einer demokratischen Gesellschaft auch Gewerkschaften wichtig sind. Der großen Wirtschaftsmacht der Arbeitgeberseite muss ein Gegengewicht auf Arbeitnehmerseite gegenüberstehen.

Sie meinen, Gewerkschaften sorgen für soziale Sicherheit?

Gewerkschaften sind nicht nur wichtig für die Sozialpolitik, sondern man kann sagen, dass eine funktionierende Demokratie mit funktionierenden Gewerkschaften eng verknüpft ist. Das Ende der Demokratie ist meist mit dem Ende freier Gewerkschaften verbunden, und der Aufbau einer Demokratie – siehe Österreich 1945 – ist auch mit dem Aufbau freier Gewerkschaften verbunden.

SPÖ

Am 14. April gibt es eine Pressekonferenz von Parteichef Faymann und Bürgermeister Häupl im Roten Salon des Rathauses, am Abend ein Fest mit Hunderten geladenen Gästen.

ÖVP

Am 17. April gibt es eine Messe mit Kardinal Schönborn in der Schottenkirche. Danach lädt Parteichef Reinhold Mitterlehner zu einer Feier im kleinen Kreis.

ÖGB

Festveranstaltung am 15. April mit Bundespräsident Heinz Fischer in der ÖGB-Zentrale.

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