"Heer braucht dringend mehr Geld"

Heinz Fischer lobt im KURIER-Gespräch den Koalitionsneustart: "Regierung hat ihr Ablaufdatum deutlich verlängert."
Der Bundespräsident fordert im KURIER-Interview mehr Budgetmittel für den Wehrdienst und Investitionen.

KURIER: Herr Bundespräsident, wie geht es dem Oberbefehlshaber des Heeres, wenn Angelobungen nur noch in Kasernen stattfinden, weil die Busfahrten hinaus zu teuer kommen?

Heinz Fischer: Mein Anliegen ist das Bundesheer als Ganzes. Tatsache ist: Das Heer war in den vergangenen 50 Jahren nie üppig dotiert. Aber in den letzten zehn Jahren waren die Aufwendungen, gemessen am Bruttonationalprodukt, deutlich rückläufig. Es ist richtig, in allen Bereichen der Verwaltung zu sparen. Aber beim Bundesheer ist jetzt der Punkt erreicht, wo man sagen muss: In den nächsten Jahren sind Investitionen dringend notwendig, um das Heer in seiner Leistungsfähigkeit zu erhalten. Ob man jetzt bei Musikkapellen spart oder eine Kaserne verkauft, ist Sache des Ministers und der zuständigen Offiziere. Sie sollen aber wissen: Ihre Sorgen werden ernst genommen.

KURIER: Das Sparprogramm, das der Verteidigungsminister vorgelegt hat, ist akzeptabel, aber danach muss wieder investiert werden?

Das Sparprogramm, das in den Budget-Gesetzen seine Grundlage hat, muss umgesetzt werden. Aber die Kurve für unser Bundesheer darf nicht weiter nach unten zeigen. Investitionen sind unabdingbar.

Das "Spar-Reindl" ist ausgekratzt?

So ist es. Ausgekratzt und ausgeschmiert.

Sie haben zuvor das BIP angesprochen. Wie viel soll in Zukunft ins Heer investiert werden?

Der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttonationalprodukt ist keine absolut und isoliert festzulegende Größe; dieser Wert hängt z. B. von der Weltlage ab. In einer Zeit, in der etwa in der Tschechoslowakei eine starke Bewegung gegen die kommunistische Diktatur und gegen den Warschauer Pakt zu spüren war, ist die Situation anders als in den friedlichsten Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer. Die momentane Situation stellt sich für mich so dar: Die Sparpotenziale sind weitgehend ausgeschöpft, bei Hubschraubern, Fahrzeugen etc. hat das Bundesheer einen akuten Investitionsrückstand, und gleichzeitig muss die politische Situation in Europa anders bewertet werden als vor fünf Jahren.

Salopp gesagt: Wenn es rundum kracht, wie in der Ukraine oder auch an der türkischen Grenze ...

... dann kann das bei der Berechnung eines Verteidigungsbudgets nicht völlig zur Seite geschoben werden.

Was halten Sie von Vorschlägen, die Auslandseinsätzen des Heeres zugunsten der Inlandsinvestitionen zurückzufahren?

Sie kennen das Dokument, das vor einem Jahr im Parlament verabschiedet wurde (Sicherheitsstrategie). Darin bekennt sich Österreich ausdrücklich zu seinen Auslandseinsätzen und zwar mit der konkreten Zahl von 1100 Soldaten. Ich habe das damals begrüßt, stehe weiter dazu, und ich muss davon ausgehen, dass ÖVP und auch SPÖ sowie jene Oppositionsparteien, die dieser Ziffer zugestimmt haben, dabei bleiben.

Die vom Verteidigungssprecher der ÖVP ins Spiel gebrachte Reduktion auf 600 Soldaten ...

...wäre eine Zielsetzung, die ich für falsch hielte und die, um es vorsichtig zu formulieren, dem Land nicht nützen würde. Ich halte das Mitwirken Österreichs an internationalen Friedenssicherungsmaßnahmen für wichtig und auch in unserem eigenen Interesse gelegen.

Auch zur Absicherung des UNO-Standortes Wien?

Auch dazu.

Wie kaputt ist das Bundesheer? Hier geht es zur KURIER-Serie.

Zur Attraktivierung der Wehrpflicht braucht das Heer 30 Millionen Euro, die Attraktivierung der Miliz kostet weitere 30 Millionen und die Modernisierung der Black-Hawk-Flotte würde neuerlich 80 Millionen kosten. Stimmt die Rechnung?

"Heer braucht dringend mehr Geld"
Interview mit Bundespräsident Heinz Fischer am 10 Oktober in Wien
Man muss die Dinge auseinanderhalten. Das eine ist Investitionsbedarf. Der besteht unter anderem bei Fahrzeugen, Hubschraubern und Flächenflugzeugen. Die 30 Millionen Euro sind eine von den Investitionen unabhängig zu sehende Zahl. Hier geht es darum, dass man nach der Volksbefragung gesagt hat: Der Präsenzdienst, der von der Bevölkerung bestätigt wurde, soll attraktiver werden. Ich stehe auf dem Standpunkt, auch und gerade in der Politik müssen Versprechen eingehalten werden. Deshalb soll dieser Aufwand dem Heer abgegolten werden – und zwar so rasch wie möglich, eventuell schon im nächsten Jahr. Und dann geht’s unabhängig davon los mit einem auf mehrere Jahre gestrecktem Investitionspaket.

Das bedeutet, der Finanzminister muss Budgetmittel loseisen?

Wie das budgettechnisch gemacht wird, ob mit Umschichtungen oder einem Budget-Überschreitungsgesetz, vermag ich nicht zu sagen. Aber es sollte so rasch wie möglich kommen, um endlich Planungssicherheit zu schaffen.

Sie haben zuvor die Attraktivierung der Wehrpflicht angesprochen. Im Boulevard mehren sich die Stimmen, wonach das Ja zur Wehrpflicht ein Fehler gewesen sei, weil mit dem vorhandenen Budget nur noch eine kleine Berufsarmee zu bezahlen ist. Teilen Sie die Einschätzung?

Nein. Wenn man sich einvernehmlich für eine Volksbefragung entscheidet, wenn diese Befragung ein eindeutiges Ergebnis bringt und man anschließend sagt, das Ergebnis ist verbindlich, dann ist jedes nachträgliche Herumzipfeln am Ergebnis respektlos gegenüber der Bevölkerung. Man kann ein Jahr später nicht so tun, als hätte die Befragung nie stattgefunden.

Aber das Heer muss auch die Mittel bekommen, um die Wehrpflicht attraktiver zu machen.

So ist es.

Was halten Sie von der Idee, die Luftraumüberwachung – auch aus Kostengründen – zum Teil den Nachbarstaaten zu überlassen?

Einen derartigen Vorschlag hat der Verteidigungsminister nie gemacht und das hat mit Sicherheit gute Gründe. Österreich muss gewillt und vorbereitet sein, sein Territorium zu schützen und den Luftraum zu überwachen. Was allenfalls möglich ist, wären präzisere Regelungen für die sogenannte "Nacheile".

Das Islamgesetz sorgte diese Woche für neue Kontroversen: Von diversen Vereinen wird beklagt, der Islam würde im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften benachteiligt, weil stärker hinterfragt werden. Sieht der Verfassungsjurist Fischer den Gleichheitsgrundsatz in Gefahr?

Der angesprochene Gesetzesentwurf ist vor einer Woche zur Begutachtung ausgeschickt worden, es stehen also noch vier Wochen zur Verfügung, um über Verbesserungsvorschläge zu diskutieren. Zum Einwand mit dem Gleichheitsgrundsatz: Der Kern des Gleichheitsgebots lautet: Gleiches soll nicht ungleich behandelt werden. Dieses Diskriminierungsverbot erlaubt es umgekehrt, Ungleiches sehr wohl differenziert zu behandeln. Es kann (und muss sogar) für einen Polizisten andere Rechte und Pflichten geben als für einen Bäckermeister. Aber diese Unterschiede müssen sachlich begründet sein. Wird die sachliche Begründung einer Differenzierung bestritten, ist der Verfassungsgerichtshof die oberste Instanz. Wenn jemand meint, muslimische Vereine würden bei ihrer Finanzierung zu Unrecht anders behandelt als das Rote Kreuz, dann wird er das – in letzter Instanz vor dem Verfassungsgerichtshof – argumentieren müssen. Die Glaubensgemeinschaften sind eingeladen, ihre Argumente auf den Tisch zu legen, und dann wird man, nach sorgfältiger Prüfung, einen Gesetzestext beschließen. Ich hoffe, es wird einen breiten gemeinsamen Nenner geben.

Angesichts der internationalen Gemengelage mit IS-Terror, Ukraine-Krise oder der weiter ungelösten Situation im Nahostkonflikt haben viele Bürger den Eindruck, es gehe in der Welt so turbulent zu wie nie zuvor. Trügt der Eindruck?

Wissen Sie, auch in der Zeit des Vietnamkrieges der 70er-Jahre, die man jetzt als die gute alte Zeit betrachtet, war vieles nicht ganz so harmlos. Denken Sie an den erbitterten Streit über die sogenannte Nachrüstung. Oder an all die Terror-Opfer der RAF, an die Roten Brigaden in Italien: Ich habe keine Statistik zur Hand, aber es wird wohl so sein, dass es damals mehr Terror-Tote in Europa gab als heute. Man tendiert dazu, die aktuellen Gefahren höher einzuschätzen als das, was sich vor 30 oder 35 Jahren abgespielt hat und hinter uns liegt. Nach dieser Vorbemerkung muss ich aber eines sagen: Wenn eine fanatisierte Bewegung ihre Brutalität und Verachtung für das einzelne Menschenleben so demonstrativ herzeigt wie die IS, wenn Menschen, die aus humanitären Gründen in ein Land reisen, als Geiseln genommen und ihnen vor laufenden Kameras die Kehle durchgeschnitten wird, dann ist das derart abstoßend und schrecklich, dass die Menschen davon in einer neuen Qualität aufgewühlt werden.

Kürzlich haben Sie hier in der Hofburg eine neue Regierungsmannschaft angelobt. Beim Neustart wurde mehr Arbeit und weniger Streit versprochen. Wurde das Versprechen schon eingelöst?

Der Bundesregierung ist es gelungen, die Bundespolitik zu entkrampfen. Ich war am Freitag bei der Eröffnung des neuen Hauptbahnhofes in Wien – ein Milliardenprojekt. Wenn man sieht, wie locker und optimistisch sich die Protagonisten dort verhalten haben, so muss man sagen: Vor einem halben Jahr wäre das so nicht möglich gewesen. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hat von einem vermutlich mehrheitlich sozialdemokratisch geprägten Publikum Beifall erhalten – und zwar, weil er sich öffentlich und glaubwürdig zur Bahn und zu ihren Leistungen bekannt hat. Umgekehrt wurde auch gesagt, dass die ÖBB konkurrenzfähig und leistungsstark sein müssen. Ich registrierte das und finde es erfreulich. Dass die Steuerreform weiter ein schwieriges Unterfangen darstellt und wir wohl noch länger auf den weißen Rauch warten müssen, ist auch klar. Aber Koalitionsregierungen sind immer harte Arbeit und der Pfad zwischen Streit und Kompromiss ist oft ziemlich schmal.

Sie haben weniger Sorgen, dass Sie in ein paar Monaten wieder einzelne Minister oder gar eine neue Regierung angeloben müssen?

Man kann nie ausschließen, dass jemand einen Herzinfarkt erleidet. Was aber politische Gründe für eine Neu-Angelobung angeht, glaube ich, dass die Bundesregierung ihr Ablaufdatum deutlich verlängert hat.

Wie kaputt ist das Bundesheer? Hier geht es zur KURIER-Serie.

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