TTIP: Heftiger Hader in der Regierung

Sand im Getriebe: Mitterlehner und Faymann
In der Koalition wird über das TTIP-Abkommen gestritten. Dem Kanzler geht es dabei um Profilierung.

So sauer wie am Mitwoch haben Journalisten Reinhold Mitterlehner noch nicht erlebt, seit er Vizekanzler geworden ist. Auslöser des Zorns war ein Vorstoß der SPÖ, konkret von Kanzler Werner Faymann in Sachen TTIP. „Das ist populistisch, da machen wir nicht mit“, wetterte Mitterlehner. Werner Faymann habe nur wegen der Kronenzeitung so agiert, warf der ÖVP-Chef seinem roten Pendant vor.

Was war passiert? Die Regierung hätte gestern eigentlich zelebrieren können, dass zwei maßgebliche Gesetze im Ministerrat beschlossen worden sind: Das Islamgesetz und das Fortpflanzungsmedizin-Gesetz. Doch das rückte völlig in den Hintergrund, als ruchbar wurde, dass es zwischen Rot und Schwarz Stunk gibt – wegen des geplanten Handelsabkommens zwischen der EU und den USA namens TTIP. Faymann wollte im Ministerrat eine Regierungslinie festlegen – auf Basis eines Parlamentsbeschlusses vom September. Das richtete er der ÖVP am Montag via Presseaussendung und Kronenzeitung aus. „Das ist nicht die feine Art“, feixte Mitterlehner. Zudem sei Faymanns Standpunkt auch in der Sache längst überholt. Selbst Deutschlands Vizekanzler, der Sozialdemokrat Sigmar Gabriel, sei mittlerweile für das Abkommen. Tatsächlich gab es gewisse Fortschritte bei den TTIP-Verhandlungen in Sachen Transparenz und Investorenschutz. Alle Befürchtungen sind aber noch nicht ausgeräumt.

Sache steht nicht im Vordergrund

In dem Streit geht es aber ohnedies nur in zweiter Linie um die Sache, in erster Linie will sich der SPÖ-Chef damit profilieren. Ein Beleg dafür ist, dass es keine sachliche Notwendigkeit für einen Regierungsbeschluss zu TTIP gibt. Österreich hat das Verhandlungsmandat, wie alle übrigen EU-Länder, schon vor langer Zeit an die EU-Kommission übertragen – mit Faymanns Zustimmung. Die Verhandlungen liegen momentan auf Eis.
Aber nach der Abreibung beim Parteitag Ende November versucht der SPÖ-Boss bei seinen Genossen zu punkten. Viele Rote werfen dem Parteichef ja vor, in der Regierung zu wenig sozialdemokratisches Profil zu zeigen.

Faymann versucht nun merkbar den Gegenbeweis anzutreten – um sich noch länger im Kanzler-Sessel halten zu können. Daher überraschte es nicht, dass die SPÖ ihre Detailpläne über die „Reichensteuern“ just zwei Tage vor der Präsentation des ÖVP-Steuerreform-Konzeptes in der Öffentlichkeit lancierte. Und so ist auch nicht verwunderlich, das Faymann nun auf das Thema TTIP setzt – und dafür einen Koalitionskrach in Kauf nimmt. Denn das geplante Freihandelsabkommen wird von vielen in der SPÖ kritisch gesehen, die Krone fährt seit Monaten eine Kampagne dagegen („Stopp dem US-Freihandelsabkommen“). Der Applaus des Boulevard-Blattes war dem Kanzler daher sicher.

Faymann statt Hundstorfer

Dass Mitterlehner auf Faymanns Finte irritiert und empört reagierte, kommt nicht von ungefähr. Der ÖVP-Wirtschaftsminister hatte vor seiner Zeit als Vizekanzler auf SPÖ-Seite primär mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer zu tun. Dieser genießt den Ruf, Handschlagqualität zu haben. Das Duo Mitterlehner-Hundstorfer verhandelte häufig in Sozialpartner-Manier hinter den Kulissen Kompromisse aus – und ging erst mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit.

Doch mit dem Aufstieg zum Vizekanzler hat Mitterlehner in der Person von Faymann einen Partner bekommen, der (im Gegensatz zu Hundstorfer) massiv unter Erfolgsdruck steht. Der SPÖ-Chef muss in Sachen Vermögenssteuern „was heimbringen“, sagen Rote. Aber auch in den ÖVP-Obmann werden hohe Erwartungen gesetzt. „Reichensteuern“ sind vor allem für Unternehmer ein No-Go. Schwierige Vorzeichen für die Verhandlungen über die Steuerreform. Polit-Beobachter fragen sich, wie SPÖ und ÖVP auf eine Linie kommen wollen – wenn sie sich schon bei TTIP derart in die Haare kriegen.

Am Mittwoch wurden in mehreren Bereichen die Weichen für die Zukunft gestellt, auch wenn ein ungewöhnlicher Vorfall drei Abgeordnete an einer Abstimmung hinderte. Wegen eines Feueralarms, der im Plenarsaal nicht zu vernehmen war, wurde das Parlamentsgebäude abgesperrt und zwei von einer Pause zurückkehrende Mandatare der Opposition und einer der Koalition wurden nicht mehr eingelassen. Sicherheitshalber wird nun dennoch heute und allenfalls morgen beraten, ob durch die Panne ein Anfechtungsgrund besteht und man allfällig neu abstimmen muss.

Sonst verlief der Parlamentstag produktiv: Der Ministerrat hat etwa die Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes beschlossen. Österreich passe sich damit internationalen Standards an und folge den Empfehlungen der Bioethikkommission, erklärte Bundeskanzler Faymann im Pressefoyer. Das neue Gesetz ermöglicht lesbischen Paaren die Samenspende, erlaubt die Eizellenspende und die Samenspende Dritter bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) und mit Beschränkungen die Präimplantationsdiagnostik (PID). Gegenüber dem Begutachtungsentwurf wurde hier noch nachgeschärft. In der ÖVP seien die geplanten Änderungen "nicht unumstritten", ethische Fragen wurden unter den Abgeordneten intensiv diskutiert, so Mitterlehner. Er trage das Thema jedoch mit, da es eine klare Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) gebe. Er verwies auch auf die Einschränkungen bei der PID und zeigte sich erfreut über den zeitgerechten und international vergleichbaren Entwurf. Nach dem heutigen Ministerratsbeschluss soll der Gesetzesentwurf am 17. Dezember im Gesundheitsausschuss behandelt werden. Der Nationalratsbeschluss wird im neuen Jahr erfolgen. In Kraft treten soll die Novelle Anfang Februar 2015.

Auch das Minderheitenrecht auf Untersuchungsausschuss war Thema im Nationalrat. Künftig wird es einem Viertel der Mandatare möglich sein, solch ein Gremium in Gang zu setzen. Als erste Materie seitens der Opposition bereits paktiert sind die Vorgänge rund um die Krisenbank Hypo Alpe Adria. Mit den Stimmen von Koalition, FPÖ, Grünen und NEOS wurde der Großteil der dafür benötigten Gesetzesänderungen am Mittwoch vom Nationalrat beschlossen.

Neben der U-Ausschuss-Reform, die formal erst mit den für Donnerstag anberaumten Änderungen der Geschäftsordnung unter Dach und Fach ist, stehen etliche weitere Gesetzesbeschlüsse am Programm. Strittig ist die Reform des Pflegegelds, da der geplante erschwerte Zugang zu den Stufen 1 und 2 bereits im kommenden Jahr, die vorgesehene Erhöhung der Leistung aber erst 2016 wirksam wird. Weitere größere Beschlüsse sind das Anti-Terror-Paket mit dem Verbot von Symbolen des IS und der Al-Kaida sowie neue Sanktionsmöglichkeiten bei Plagiaten an den Unis.

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