Polemische Debatte um "Weltasylheim Wien"

Die einstige Wirtschaftsuniversität in Wien soll als Übergangsquartier zur Verfügung gestellt werden.
Dass Wien 600 Flüchtlinge aufnimmt, freut ÖVP, SPÖ und Grüne - die FP hat ihre Probleme damit.

Die Entscheidung von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), 600 Flüchtlinge für vier Monate an zwei Standorten in Wien unterzubringen (siehe unten), sorgte am Freitag im Wiener Landtag für lebhafte Debatten. Während die rot-grüne Koalition sowie die ÖVP den Schritt als richtig und wichtig begrüßten, sorgte sich die FPÖ um Wien als "Weltasylheim".

Polemische Debatte um "Weltasylheim Wien"
Interview mit dem Klubobmann der Wiener Freiheitlichen Johann Gudenus am 18.09.2014 in Wien.
"Als hätten wir in Wien nicht schon genug Probleme mit Asylwerbern und Scheinasylanten", kritisierte der Wiener FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus die Unterbringung von weiteren Flüchtlingen im Zuge der Aktuellen Stunde, in der die Blauen eigentlich den "radikalen Islamismus" als Thema festgelegt hatten. Statt die Asylquote überzuerfüllen, solle man lieber die Dublin II-Verordnung (Zurückschicken von Asylwerbern in jenes EU-Land, das sie als erstes illegal betreten haben, Anm.) durchsetzen. "Wien darf nicht länger das Weltasylamt sein", so Gudenus.

Asylzentren an Außengrenzen

Stattdessen sprach sich der Freiheitliche für Asylzentren an den EU-Außengrenzen aus. "Seien Sie menschlich zu den Wienerinnen und Wienern", forderte Gudenus die Stadtregierung auf, was ihm ein lautstarkes Konzert an Zwischenrufen einbrachte.

Als "schäbig" bezeichnete die grüne Abgeordnete Birgit Hebein das Verhalten der FPÖ, die versuchen würde, "auf Kosten von Menschen politisches Kleingeld zu schlagen". Tanja Wehsely, Abgeordnete der SPÖ, warnte die FPÖ "Öl ins Feuer zu gießen": "Bemühen Sie sich, differenziert an die Sache heranzugehen", empfahl sie.

Auch für die ÖVP-Abgeordnete Barbara Feldmann war die Vermischung von Kriegsflüchtlingen mit dem Thema der Radikalisierung "unerträglich". "Humanitäre Hilfe ist selbstverständlich", erklärte sie. "Hunderttausende werden vertrieben, 600 stehen jetzt vor unserer Tür. Es ist wichtig, dass der Bürgermeister diese Entscheidung getroffen hat", betonte ÖVP-Landtagsabgeordneter Wolfgang Ulm. Nun seien jedoch auch die anderen Bundesländer in die Pflicht zu nehmen. Er gab zudem zu bedenken, dass es sich um eine Soforthilfe-Maßnahme handle und dass eine Rückführung der Asylwerber zu überlegen sei, sobald diese möglich ist.

Das bundespolitische Zentrum verlagert sich ab Freitag geografisch gen Westen. Die Regierung geht – erstmals in neuer Zusammensetzung – in Klausur (siehe unten). In Schladming wollen SPÖ und ÖVP gute Stimmung und Arbeitseifer demonstrieren. Da passt das unangenehme Asyl-Thema so gar nicht dazu.

Polemische Debatte um "Weltasylheim Wien"
APA1591173 - 02122009 - WIEN - OESTERREICH: VP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (l.) und Wiens Bgm. Michael Häupl am Mittwoch, 02. Dezember 2009, anl. der Rede des Bundeskanzlers zum "1. Jahrestag der Bundesregierung" in der Wiener Hofburg. APA-FOTO: HANS KLAUS TECHT
Um die Flüchtlingsproblematik vor der Regierungstagung – zumindest vorübergehend – aus den Schlagzeilen zu bringen, schaltete sich jetzt ÖVP-VizekanzlerReinhold Mitterlehnerein. Bei der Klubklausur seiner Fraktion im Parlament verkündete er am Donnerstag, dass es in Wien-Erdberg ein adäquates Übergangsquartier der Bundesimmobiliengesellschaft gebe. In einem ehemaligen Schulungszentrum für Finanzbedienstete, das künftig als Studentenheim fungieren soll, könnten für vier Monate 600 Flüchtlinge untergebracht werden.

Im Wiener Rathaus kam es nicht so gut an, dass Mitterlehner seine Vereinbarung mit Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) hinausposaunte. Die beiden Politiker hatten Mittwochabend miteinander telefoniert. Der Stadtchef, so hieß es, hätte zugesagt, dass Wien weitere Flüchtlinge beherbergen könnte – aber aufgeteilt auf drei Unterkünfte.

Wenig verwunderlich: Häupl hat angesichts der Wien-Wahl 2015 kein Interesse, ein Großquartier für Asylwerber in der Stadt zu haben.

Kurze Verstimmung

Man einigte sich aber bald. Mitterlehner und Häupl gaben letztlich bekannt, dass in Erdberg 350 Personen und in der ehemaligen Wiener Wirtschaftsuni 250 Verfolgte logieren können. Die WU muss adaptiert werden. Das Gebäude in Erdberg ist ab Montag benützbar.

Mitterlehner schätzt das Entgegenkommen von Häupl sehr. Immerhin werden in Wien aktuell schon 7114 Flüchtlinge versorgt – um 31 Prozent mehr als die Quotenregelung für die Bundesländer vorsieht. Ein solches Bemühen in der Flüchtlingsfrage vermisst die ÖVP bei der Bundes-SPÖ. Die Schwarzen drängen weiterhin darauf, dass Kasernen (roter Minister) genutzt werden können.

VP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner macht auch weiter Druck auf die Gemeinden, Quartiere zu suchen. Bis dato haben Flüchtlinge ja nur in 515 von rund 2300 Gemeinden eine Bleibe. Der Ball wird zudem an die Kirche weitergespielt. Die VP-NÖ appelliert in einem Brief an Kardinal Christoph Schönborn, dass die Kirchen "im Sinne der Menschlichkeit rasch zusätzliche Quartiere zur Verfügung" stellen sollten.

Wo auch immer Flüchtlinge unterkommen, arbeiten dürfen sie weiterhin nur eingeschränkt. Trotz eines Appells von Gemeindebund-Präsident Mödlhammer sieht Mikl-Leitner "keinen Änderungsbedarf". Sie argumentiert, Flüchtlinge könnten ohnedies nach drei Monaten arbeiten: Bei einem positiven Bescheid hätten sie "vollen Zugang zum Arbeitsmarkt"; Wenn das Verfahren noch laufe, könnten sie als Saisonniers oder Erntehelfer tätig sein.

SPÖ pro Mikl-Leitner

SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer teilt Mikl-Leitners Ansicht. Das hängt wohl mit der steigenden Arbeitslosigkeit zusammen – und damit, dass die FPÖ dagegen ist, dass Asylwerber generell arbeiten dürfen. SPÖ und ÖVP wollen HC Strache keine Möglichkeit geben, mit diesem Thema zu punkten.

Mitarbeit: Matthias Hofer

In Italien sorgt indes ein Vorschlag des Innenministeriums für heftige Diskussionen. Italienische Familien, die Migranten in ihren Wohnungen aufnehmen, sollen 30 Euro pro Tag von den öffentlichen Kassen erhalten.

Der Schlosser ist bereits am Werk. Elektriker, Installateure und Reinigungspersonal rücken demnächst an. Seit rund einem Jahr steht ein Großteil des Gebäudes in der Erdbergstraße 186–196 leer. Doch jetzt muss es schnell gehen. Ab kommendem Montag sollen hier Hunderte Flüchtlinge untergebracht werden. Von 600 Menschen war zunächst die Rede (siehe Geschichte oben). Doch die Asylwerber sind nicht allein: Im zweiten Stock befindet sich das Wiener Ballsportgymnasium. Und im Keller trainiert die Polizei-Sondereinheit WEGA.

Skeptische Schüler

Polemische Debatte um "Weltasylheim Wien"
Reportage M. Reibenwein 25.9.2014
Im Gymnasium verbreitete sich die Nachricht am Donnerstag wie ein Lauffeuer. "Flüchtlinge neben Schülern – das ist eine neue Erfahrung. Bisher kennen wir Flüchtlinge nur aus dem Fernsehen. Jetzt sind sie dann plötzlich ganz nah", sagt der 19-jährige Schüler Zeeshan Malik. Die Meinungen unter seinen Schulfreunden ist geteilt. Einzelne Jugendliche hätten via Facebook bereits damit gedroht, die Schule wechseln zu wollen, weil das dem Ansehen schaden könne. Zeeshan sieht das anders. "Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich hatte Freunde, die selbst Asylwerber waren. Warten wir ab, wie das läuft."

Örtlich werden die Asylwerber jedenfalls von den Schülern getrennt. Sogar mit separaten Aufgängen. Wer zur Schule will, wählt den blauen Aufgang, der rote ist für die Flüchtlinge.

Ursprünglich war in dem siebenstöckigen Gebäude ein Schulungszentrum für Zollbeamte. Doppel- und Einzelzimmer mit Betten und Möbeln sind vorhanden. Die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) führte zuletzt Verhandlungen mit dem Betreiber von Studentenwohnheimen. Diese Pläne liegen zumindest in den kommenden vier Monaten auf Eis. So lange soll das Quartier den Asylwerbern zur Verfügung stehen.

Polemische Debatte um "Weltasylheim Wien"
Reportage M. Reibenwein 25.9.2014
Darüber freut sich nicht jeder. Zwei Frauen, die sich gerade vom Billa gegenüber ihr Mittagessen geholt haben, sind von dem neuen Plan gar nicht begeistert. "Es sind eh schon so viele Flüchtlinge bei uns. Jetzt sollen noch einmal so viele herkommen?" Die jüngere Frau hat Sicherheitsbedenken: "Wer weiß, was passiert, wenn ich hier einkaufen gehe. Manche haben halt ein anderes Benehmen." Zwar wohnen die Frauen hier nicht. "Aber man hätte vorher die Leute fragen sollen."

Auch Patrick Aschenbrenner ist nur zufällig in der Gegend. Dagegen ist er trotzdem. "Die Studenten wären mir schon lieber als die Asylwerber", sagt er. "Der Staat soll lieber auf seine Leute schauen. Das ist keine gute Idee. Aber ich kann es eh nicht ändern." Nachsatz: "Ich bin froh, dass ich nicht hier wohn’."

Das tun aber ohnehin nicht allzu viele. Denn rundum stehen vor allem Büro- und Verwaltungsgebäude.

Kommentare