Husslein-Arco: "Metternich war ein großer Charmeur"

„In Wien herrschte Aufbruchstimmung“, sagt Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere .
Ausstellung zum Wiener Kongress: Belvedere-Direktorin Husslein-Arco über Salons und die Rolle der Mätressen.

KURIER: Frau Direktorin, Schriftsteller sagen, "Geschichte ist das Erzählen von Geschichten". Welche Geschichte erzählt uns die Ausstellung 200 Jahre Wiener Kongress, die am 20. Februar eröffnet wird?

Agnes Husslein-Arco: Beim Wiener Kongress handelt es sich um ein epochales Ereignis. Viele wissen nicht mehr, in welchen territorialen Verhältnissen sich Europa vor 200 Jahren befunden hat. Wir spannen einen historischen Bogen – vom Auftreten Napoleons auf der europäischen Bühne bis zur Schlacht bei Waterloo. Das Ereignis wird politisch, kunsthistorisch und gesellschaftlich beleuchtet. Man sollte auch nicht vergessen, dass auf den Kongress eine der längsten Friedensperioden folgte.

War Wien für den Event gerüstet?

Natürlich nicht. Wien war eine kleine Stadt, von einer Mauer umgeben – und hier tagte ganz Europa fast neun Monate lang. Der Kongress wurde schnell entschieden; und die Fürsten, auch die Verlierermächte, reisten mit ihrer Entourage nach Wien. All diese Leute mussten untergebracht werden. Während der Zar in der Hofburg Quartier bezog, stellten einige fürstliche Familien ihre Palais und einige Bürgerfamilien ihre Häuser zur Verfügung. In Wien herrschte richtiggehend Aufbruchsstimmung. Die Fürsten mussten repräsentieren, Hof halten und Freunde wie Gegner unterhalten. Interessenkonflikte führten zu zähen Verhandlungen, die durch gesellschaftliche Ereignisse beschleunigt werden sollten. Daher ist es auch zu dem berühmten Bonmot von Fürst de Ligne gekommen: "Der Kongress tanzt, aber er geht nicht weiter."

Welche Rolle spielten die Salons?

Es gab Verhandlungen und Salons – in Letzteren trafen einander Künstler und Gelehrte aus ganz Europa zum Gedankenaustausch. Das war Networking im 19. Jahrhundert. In den Häusern der Hocharistokratie und des Finanzadels regierte die "Salondiplomatie". Die Partys fanden auf verschiedenen Niveaus statt, denn es wurde in den Ballsälen, Separées und Wiener Palais Politik gemacht. Erstmals stehen damit auch Frauen als maßgebliche Meinungsbildner im Mittelpunkt. Damen von Rang und Namen – und nicht immer die Ehefrauen der Politiker – begaben sich aus unterschiedlichsten Beweggründen in einen Wettstreit. Unterhaltung, Musik, Theater und Oper waren ein gutes Vehikel, sich zu verständigen, Verträge zu schließen, eine gemeinsame Lösung für die Aufteilung Europas zu finden.

Die Mätressen sind als Vermittlerinnen aufgetreten?

Diese Damen haben sich selbst ganz bewusst eingesetzt und spielten eine große Rolle. Wilhelmine von Sagan, ihre Schwester Dorothea Talleyrand-Périgord und die Rivalin Katharina von Bagration beeinflussten Männer und Politik von Metternich bis Zar Alexander I. Dadurch gelang es auch dem Franzosen Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, mit Intelligenz und Hilfe seiner Entourage wieder Einfluss zu gewinnen. Gleichzeitig gab es das berühmte Metternich’sche System, ein rigides Regime, das von Zensur und Spitzeltum gekennzeichnet war. Heute würde man sagen, Metternich war ein Kontrollfreak. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse stellen Metternichs politische Ideen jedoch differenzierter, nicht so repressiv, dar.

Wer war der größte Charmeur?

Metternich zählt sicherlich zu den großen Charmeuren, das ist ja bekannt. Nicht nur, dass er in seinem Leben drei Mal verheiratet war, er war ein homme à femmes (Weiberheld). Aber auch Talleyrand und der Zar waren keine Kostverächter. Man darf nicht vergessen, dass Hochzeiten zu dieser Zeit arrangiert und selten aus Liebe geschlossen wurden. Daher war es normal, dass man Affären hatte.

Welches Bild von damals zeigt die Ausstellung?

Wir zeigen authentische Berichte in Form von Archivalien, handkolorierten Stichen, die wie Fotografien wirken, Möbel, Geschirr und Original-Kleider. Viele Leihgaben haben wir aus dem adeligen Privatbesitz erhalten. Zu den Besonderheiten zählen das Porträt von Fürst von Metternich des englischen "Starmalers" Thomas Lawrence und das überlebensgroße Porträt von Zar Alexander I. von François Gérard aus Schloss Malmaison, das kaum auf Reisen geschickt wird.

Was soll bei den Besuchern hängen bleiben?

Der Kongress war ein beachtlicher politischer Erfolg. Fast 40 Jahre lang kam es aufgrund der in Wien geschaffenen Stabilität zu keiner weiteren kriegerischen Auseinandersetzung. Interessant ist daher der Vergleich mit unserer Gegenwart: Wie ist man vor 200 Jahren mit einer europäischen Krise umgegangen, wie bewerkstelligt die Politik Krisen heute.

Was lehrt der Wiener Kongress?

Kriege und Größenwahnsinnige, wie Napoleon, ein von sich Besessener, der ganz Europa in eine Krise gestürzt hatte, gibt es leider immer wieder. Das Besondere war, dass auch Verlierer in die Verhandlungen integriert wurden. Russland, Österreich, Preußen und Großbritannien hatten zunächst entschieden, dass Frankreich, Spanien und kleineren Mächten kein Mitspracherecht zukommen sollte. Doch Frankreichs Außenminister und andere Fürsten monierten sich in die Verhandlungen und sicherten sich damit Einfluss. Eine Interaktion, die vielleicht auch mit Wien und der Mentalität der Österreicher, niemandem etwas oktroyieren zu wollen, zu tun hat.

Zur Ausstellung: Europa in Wien - Der Wiener Kongress 1814/15. Die sehenswerte Schau ist im Unteren Belvedere und in der Orangerie zu sehen. Eröffnung ist am 20. Februar. Die Ausstellung läuft bis 21. Juni 2015. Ein Katalog ist erhältich.

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