Immer mehr Landeschefs für Grenzkontrollen

Grenzen wieder dicht in Österreich?
Grenzen schließen wegen Flüchtlingsproblem? Amnesty International kritisiert die Offensive von Pröll, Niessl, Kaiser & Co.

Ich glaube, dass es an der Zeit ist, ein Konzept zu erarbeiten, mit dem man Grenzkontrollen wieder einführt und zwar im Bedarfsfall von einem Tag auf den anderen."
So sprach jüngst Landeshauptmann Erwin Pröll in der Krone. Der niederösterreichische Regierungschef war nicht der erste – auch Landeshauptmann Hans Niessl oder FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hatten mit dem Hinweis auf die "Flüchtlingsströme" nach "temporären Grenzkontrollen" gerufen. Pröll war aber auch nicht der Letzte.

"Keine langfristige Lösung"

Am Dienstag ließen weitere wichtige Länder-Funktionäre sanfte Sympathien für lückenlose Kontrollen an den heimischen Staatsgrenzen erkennen.
Peter Kaiser, immerhin Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, ließ dem KURIER durch seinen Sprecher ausrichten, er könne sich Grenzkontrollen grundsätzlich vorstellen: "Temporär wäre das denkbar, auch wenn man sagen muss, dass dies langfristig keine Lösung darstellt – immerhin zählt die Reisefreiheit zu den zentralen Eckpfeilern der Europäischen Union." Auch der oberösterreichische Landeshauptmann schlägt in dieselbe Kerbe: Man müsse gegebenenfalls ernsthaft über Kontrollen nachdenken, sagte Josef Pühringer in einem Medieninterview.

Steiermark zieht nach

Ähnlich sieht man die Sache in der steirischen Landesregierung. "Die Flüchtlinge müssen gerecht auf alle EU-Mitgliedsstaaten aufgeteilt werden. Es ist unaufschiebbar, dass sich die Union zu einer sozial verträglichen Lösung durchringt“, sagt der zuständige Landesrat und Landeshauptmann-Stellvertreter Siegfried Schrittwieser. „Sollte die Union weiter nur zögerlich agieren, bin ich ebenfalls für zeitlich befristete Grenzkontrollen."

Gerald Klug, Verteidigungsminister und ein Landsmann Schrittwiesers, ließ am Rande des Ministerrates durchblicken, die Armee stünde für einen derartigen Assistenzeinsatz bereit. "Prinzipiell wären Grenzkontrollen eine Aufgabe der Polizei", sagte Klug. Sollte die Polizei die Aufgabe aber nicht alleine schaffen, dann würde das Bundesheer "selbstverständlich helfen".

Ist es legitim, die Union mit der Drohung temporärer Grenzsperren zu einer politischen Lösung zu zwingen?
Nein, antwortet Heinz Patzelt, Chef von Amnesty International Österreich. "Die Forderung nach Grenzkontrollen ist hochgradig lächerlich", sagt Patzelt zum KURIER – und argumentiert mit absoluten Zahlen: "Von drei Millionen Syrern, die derzeit vor dem Bürgerkrieg geflüchtet sind, haben es gerade einmal 5000 bis nach Österreich geschafft. Zum Vergleich: Im Bosnienkrieg kamen 40.000 Flüchtlinge pro Jahr nach Österreich – und auch das hat das Land sehr gut bewältigt."

Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, hat sich ebenfalls massiv dagegen ausgesprochen. "Grenzschließungen verschieben nur die Probleme auf Kosten anderer", so Karas. "Wenn es ein Problem bei der Aufteilung von Asylsuchenden und Flüchtlingen gibt, dann muss endlich ein faires, europäisches System für den Umgang mit Migranten geschaffen werden. Bisher haben die Mitgliedstaaten das blockiert“. Die Forderungen von Regionalpolitikern in Deutschland und Österreich "zielen wohl mehr auf den Applaus der Boulevardmedien als auf eine wirkliche Problemlösung", zeigte sich Karas "irritiert" von derartigen Rufen.

Seit Jahren ringen die Staaten der Europäischen Union um etwas, das den Namen "Gemeinsame Flüchtlingspolitik" verdienen würde – bis dato ohne Erfolg. Kooperation gibt es hauptsächlich dann, wenn es darum geht, die Außengrenzen der Union noch dichter zu machen, noch besser zu sichern.

Der Umgang mit Flüchtlingen ist in der Europäischen Union grundsätzlich Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten: Jedes Land entscheidet für sich, wen es unter welchen Umständen aufnimmt.

Auch die EU-weite Regelung, dass Asylanträge in dem Land gestellt werden müssen, in dem man die Union betritt ("Dublin-II-Verfahren"), setzt darauf, dass sich jedes Land selbst um all jene kümmern muss, die an seine Grenzen kommen.

In der Praxis hat das zuletzt zu Spannungen zwischen Mittelmeer- und mitteleuropäischen Staaten geführt. Italien etwa beklagt, dass man mit dem Ansturm Zehntausender Flüchtlinge allein gelassen werde. Deutschland wiederum moniert, Italien würde sich nicht ordentlich um "seine" Flüchtlinge kümmern – weswegen diese vermehrt in der Bundesrepublik auftauchen.

Verteilungsschlüssel

Anfang Oktober wollen die EU-Innenminister wieder über den Umgang mit der wachsenden Zahl an Asylwerbern beraten. Aus Deutschland heißt es, man sei zur Diskussion bereit, ob EU-Länder "auf freiwilliger Basis und zeitlich befristet überproportional Flüchtlinge aufnehmen" könnten.

Österreich macht sich in Brüssel seit längerem für einen Verteilungsschlüssel von Flüchtlingen auf die EU-Staaten stark. Laut Innenministerium liegt Österreich (hinter Schweden, Malta und Luxemburg) auf Platz vier der Staaten mit den meisten Asylanträgen im Verhältnis zur Bevölkerung. Bei einem EU-weiten Verteilungsschlüssel hätte Österreich 2013 (17.500 Asylansuchen, weit mehr Flüchtlinge) rund 10.000 Asylwerber weniger versorgen müssen.

Wenn das Leben nur so einfach wäre, wie sich das populistische Politiker und kleingeistige Kolumnisten vorstellen. Wir schließen unsere Grenzen, und plötzlich kommen keine Flüchtlinge mehr zu uns. Fein, dass unser ausgehungertes und orientierungsloses Bundesheer endlich wieder eine adäquate Aufgabe hat – Assistenzeinsatz an der Grenze.

Nein, das Leben ist eben nicht einfach, und die Aufnahme von Flüchtlingen in der EU erst recht nicht. Zunächst zeigt ein Blick auf die Statistik, dass nicht diejenigen Länder, die eine EU-Außengrenze haben, die meisten Asylwerber beherbergen. Im Gegenteil. Schweden, Luxemburg und auch Österreich sind Länder mit besonders vielen Anträgen. Italien, wo viele Flüchtlinge ankommen, weist nur ganz wenige Anträge aus.

Daraus lässt sich schließen, dass die Italiener Flüchtlinge ausreisen lassen, ohne dass Italien als Erstaufnahmeland festgestellt wird. Es gibt sogar Berichte, wonach italienische Behörden Flüchtlinge zum Weiterreisen motivieren.

Niemand hat etwas davon, wenn traumatisierte Menschen ohne Hab und Gut am Brenner aufgehalten werden – ins Burgenland kämen sie ohnehin nicht, was den Assistenzeinsatz des Bundesheeres im Osten besonders absurd erscheinen lässt. Vielmehr muss die EU ganz schnell in den Ländern, wo Flüchtlinge ankommen, Behörden installieren. Dort muss die Identität der Menschen bestimmt werden. Und die EU muss mit den Mitgliedsländern gerechte Quoten aushandeln.

Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass nur mehr Europa Probleme bei uns löst, jedenfalls eher als schlichte Rufe nach Rezepten von gestern.

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