Glattauer: "Streikdrohung ist eine Frechheit"

Niki Glattauer unterrichtet an einer Wiener Hauptschule, schreibt Bestseller. Er kritisiert die Taktik der Lehrer-Gewerkschaft scharf.
Für den Lehrer & Autor ist das Lehrer-Dienstrecht ist nur "ein erster Schritt in die richtige Richtung".

KURIER: Herr Glattauer, am 5. Dezember wird es die ersten Kampfmaßnahmen der AHS- und BHS-Lehrer gegen das neue Lehrerdienstrecht geben. Verstehen Sie als Schulinsider den Unmut der Lehrer?

Niki Glattauer: Ich bin der Überzeugung, dass diese Kampfmaßnahmen falsch sind und ich unterstütze sie auch nicht. Das neue Lehrerdienstrecht ist zwar kein hundertprozentiger gelungener Wurf – aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Und nun mit Streik zu drohen, finde ich einfach nur grotesk. Außerdem gilt das neue Lehrerdienstrecht nur für junge Lehrer ab 2019. Und ich sage ganz klar, wenn ich als Lehrer nicht bereit bin 24 Stunden zu unterrichten, dann darf ich heute kein Lehrer mehr werden.

Welche Schulnote würden Sie dem Lehrerdienstrecht geben?

Es verdient die Note „Gut“, aber in einigen Punkten auch die Note „Nicht genügend“. Gut ist das höhere Anfangsgehalt – gerade für die Pflichtschullehrer. Und man darf nicht vergessen, der überwiegende Teil der Lehrer unterrichtet in Pflichtschulen und sind keine AHS-Lehrer, über die ständig diskutiert wird. Es ist völlig richtig, die Pflichtschullehrer und die AHS-Lehrer auf ein Niveau zu stellen. Detto ist es völlig richtig, dass die Lehrer länger an den Schulen anwesend sein müssen. Aber fatal ist, dass dies wiederum über ein Erbsenzählermodell passiert. Die Regierung hätte die Chance nutzen müssen, endlich mit dem Modell der Lehrverpflichtung zu brechen, um ein Arbeitszeitmodell zu kreieren.

Wie soll so ein Arbeitszeitmodell konzipiert sein?

Wie in allen anderen Berufen auch, sollte es eine 40-Stunden-Woche geben, wo schulautonom geregelt wird, wie viel einzelne Lehrer über die Kernarbeitszeit hinaus unterrichten müssen. Aber die Lehrer gehören 40 Stunden an die Schule – und das wurde wieder versäumt.

Sie unterrichten an einer „Restschule“ in Wien. Wie ist die Stimmung an Ihrer Schule? Sind Ihre Kollegen kampfbereit?

In den Medien heißt es immer wieder, dass auch die Pflichtschul-Gewerkschafter kampfbereit wären. Aber ich kenne aus meinem Bereich nicht einen einzigen Kollegen, der streiken will. An meiner Hauptschule haben wir vereinbart, dass kein Schüler etwas von den Kampfmaßnahmen merken wird. Ich halte diese Maßnahmen und Drohungen für eine Frechheit.

Warum?

Weil es eine Frechheit ist, die Kinder und die Eltern in Geiselhaft zu nehmen, für einen Streik, der nicht gerechtfertigt ist. Die Gewerkschaft tritt damit nur ins Fettnäpfchen, denn durch ihr Verhalten wird das Feindbild Lehrer erst so richtig gezüchtet. Die Gewerkschaft erzeugt den Eindruck, dass wir nur 20 bis 24 Stunden arbeiten und nicht einmal damit sind wir zufrieden. Also wie unklug kann eine Gewerkschaft sein? Das ist mir rätselhaft. Man hätte in den Verhandlungen auf die Regierung zugehen müssen, statt permanent zu blockieren.

Steckt hinter der Streikforderung wieder einmal die Überheblichkeit der AHS-Lehrer?

Überheblichkeit ist es keine. Aber es ist der nicht gerechtfertigte Versuch, die bisherigen Vorteile zu bewahren. Mit dem Argument nur 17 Stunden unterrichten zu müssen, weil man so viele Hefte zu verbessern hat wirft man die Frage auf, wie man an den Lehrerjob herangeht: Bin ich ein Lehrer, der in erster Linie nur zensuriert, zensiert und korrigiert? Will ich nur mit Heften arbeiten? Oder bin ich ein Lehrer, der mit Kindern arbeiten will? Und eines muss man auch sagen, das System AHS mit seiner zum größten Teil veralteten Pädagogik funktioniert nur deshalb, weil unsere Eltern funktionieren. Das heißt nicht, dass alle AHS-Lehrer so arbeiten. Aber viele AHS-Lehrer unterrichten nach dem Prinzip: „Wir sind keine Förderklasse. Wir orientieren uns an den Besten und wer nicht hier bleiben will, kann ja in die Hauptschule gehen.“ Das ist das Grundübel unseres Systems, denn damit muss sich kein AHS-Lehrer um seine Schüler kümmern.

Wie schaffen Sie es, dass in Ihrem Fall weniger als ein Drittel Ihrer Arbeitszeit für die Korrektur von Aufgaben und Schularbeiten draufgeht?

Ich kann mein Unterrichtsmodell nicht pauschalieren, aber ich gebe kleine und kurze Hausaufgaben. Dann halte ich sogenannte Zwei-Phasen-Schularbeiten ab, wo die Kindern einander verbessern oder sich selbst verbessern. Außerdem halte ich eine Schularbeit nicht entscheidend für die Zeugnisnote. Aber viele Lehrer der alten Schule glauben, vier Schularbeiten im Jahr machen die Zeugnisnote aus.

Ein Kritikpunkt lautet, dass es zuerst eine Schulreform hätte geben sollen und dann erst ein neues Lehrerdienstrecht

Natürlich wäre es klüger, zuerst die große Schulreform zu machen. Aber die große Schulreform passiert nicht. Ministerin Claudia Schmied hat in Interviews mehrmals betont: „Ich mache das Machbare“. Zuerst die Lehrerausbildung reformieren, dann das Dienstrecht. Und wenn man beides einigermaßen in die richtige Richtung biegt, dann bleibt gar nichts anderes übrig, als eine Schulreform durchzuführen. Mit dieser Strategie ist das Pferd natürlich von hinten aufgezäumt, aber es ist wenigstens aufgezäumt.

Landeshauptmann Wilfried Haslauer, der für die ÖVP das Schulkapitel im Koalitionspakt verhandelt, will Aufnahmetests für Gymnasien wieder einführen. Was halten Sie davon?

Das ist ein völliger Blödsinn. Wir hätten nicht nur eine Einzementierung der Zwei-Klassen-Gesellschaft, sondern sie würde noch stärker auseinanderdriften.

Verdienen die Lehrer mit dem neuen Dienstrecht genug?

Natürlich wäre es schön mit einem höheren Gehalt einzusteigen und die Kurve würde weiter steigen. Aber diesen Traum spielt es nicht. Wir müssen der Realität ins Auge sehen. Ich finde, die Lehrer verdienen einigermaßen entsprechend. Wenn ich es mit anderen Berufen vergleiche, dann verdienen wir zwar nicht besser, aber auch nicht schlechter. Deswegen finde ich, man kann die flache Gehaltskurve akzeptieren.

Spätberufener Lehrer

In seinem früheren Leben war Niki Glattauer (55) Journalist. Vor 13 Jahren kam dann die Wende in seinem Leben – Glattauer entschied sich, spätberufener Lehrer in einer Hauptschule zu werden. Nun unterrichtet er an einer sogenannten „Restschule“ in Wien. In den Klassen ist der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund sehr hoch. Weil er die Schule als Insider kennt, schreckt Glattauer vor kritischen Aussagen über das Schulsystem, die Gewerkschaft und seine Lehrerkollegen nicht zurück. Sein Credo: „Der Wert eines Kindes soll sich nicht nach seinen Schulnoten richten.“

Besteller-Autor

Glattauer: "Streikdrohung ist eine Frechheit"

Seine Erfahrungen und Erlebnisse im Schulalltag verpackt Glattauer seit einigen Jahren auch in erfolgreichen Büchern. Sein neuestes Buch zum Thema Schule „Mitteilungsheft: Leider hat Lukas ...“ (erschienen im Kremayr & Scheriau-Verlag um 22 Euro) rangiert seit Schulanfang in den Bestseller-Listen. Für dieses Buch wechselte Glattauer erstmals die Perspektive und erzählt aus der Warte eines Vaters (Glattauer hat zwei Kinder), wie er den Schulalltag erlebt. Und was nervt den Vater da am meisten? „Natürlich die Lehrer.“

Kommentare