"Es geht immer nur ums Sparen"

Peter McDonald (li.) vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger und Artur Wechselberger von der Ärztekammer
Krankenkassenboss kontert Kritik des Ärztechefs im KURIER-Gespräch: "Haben höchste Ärztedichte".

KURIER: Überfüllte Ambulanzen, lange Wartezeiten in den Ordinationen – in der Bevölkerung wachsen die Sorgen, ob das Gesundheitssystem noch so gut ist, wie wir immer dachten. Teilen Sie das Gefühl?

Wechselberger: Natürlich ist es schlechter geworden. Wir bemühen immer das Schlagwort vom "besten Gesundheitssystem der Welt". Doch wir erfüllen die Kriterien nicht mehr. Wir haben zwar nach wie vor einen offenen Zugang, aber wir verschlafen die Überalterung der Gesellschaft, die Multimorbidität. Das System selbst ist aber immer gleich geblieben. Wenn wir weiter nichts tun, wird es tendenziell schlechter.

McDonald: Wir investieren jedes Jahr 35 Milliarden Euro in das Gesundheitswesen und haben eine hohe Zufriedenheit bei der Bevölkerung. Ich spüre aber auch den Wunsch einer Weiterentwicklung. Ich sehe mich als Vertreter der Sozialversicherung als Motor für Veränderung. Und wir appellieren an die Ärztekammer, sich an der Entwicklung aktiv zu beteiligen, weil wir das vorhandene Geld effizienter einsetzen müssen. Für mich gibt es da Parallelen mit dem Bildungsbereich, wo auch wenig Veränderung möglich war, was mit den Interessenvertretern zusammenhängt. Die Ärztekammer war nicht gerade ein Hort der Veränderung.

Wechselberger:Das ist nicht wahr. Die Ärztekammer versucht seit Jahren, das System voran zu treiben. Nur wurde uns ein Korsett umgeschnürt, das sehr eng ist. Und wir stellen fest, dass die Beweglichkeit in manchen Dingen weder von den Sozialversicherungen noch von der Politik gegeben ist. Es geht immer nur ums Sparen.

McDonald:Das kann ich nicht so stehen lassen. Wir arbeiten seit Jahrzehnten daran, die hohe Qualität im System zu gewährleisten. Jedes Medikament, das bewilligt wird, ist sofort verfügbar und wird von uns bezahlt. Früher starben acht von zehn Kindern mit der Diagnose Blutkrebs, heute überleben acht von zehn. Diesen Fortschritt zu finanzieren, das machen wir möglich, das ist unsere Aufgabe. Natürlich finde ich es auch bedenklich, dass sich seit 50 Jahren kaum etwas geändert hat, was die Aufgaben und Vertragssituation der Ärzte betrifft. Umso mehr freut es mich, dass wir mit der Ärztekammer einen Dialog starten, wie wir das System entwickeln können.

Also geht es um mehr Effizienz?

McDonald:Ja. Wir müssen schauen, dass jeder Patient das richtige Medikament bekommt – und den Fokus mehr auf das Gespräch der Patienten mit den Ärzten setzen.

Wechselberger:Selbst bei einem Fußpilz muss ich den Patienten zum Hautarzt schicken, damit er ein Kassenrezept bekommen kann. Das ist nur ein kleines Beispiel der Ineffizienz von vielen. Von der Chefarztpflicht bis zur Bürokratie ganz zu schweigen.

McDonald:Ich will hier nicht lamentieren, mir geht es darum, Lösungen finden zu können. Wir haben eine besonders hohe Dichte bei Krankenhausbetten. Und wir haben die höchste Ärztedichte weltweit, neben Griechenland. Aber die Ärzte sind nicht so versorgungswirksam, wie wir uns das wünschen würden. Wir haben schon gute gemeinsame Projekte, etwa die neue Primärversorgung in Wien. Oder ein Pilotprojekt für eine telefonische Erstberatung. Und einen Bürokratieabbau durch elektronische Bewilligungsservices der Gesundheitsdienstleister.

Bei der Vorsorge gab es zuletzt grobe Unstimmigkeiten, etwa beim Brustkrebs-Screening.

Wechselberger:Das war eine Reform auf dem Reißbrett, die nicht funktionieren konnte. Wir hatten eine gute Versorgung, die besonders durch die Beratung und Bewerbung durch Haus- und Frauenärzte getragen war. Nun wird allen Frauen alle zwei Jahre ein Brief geschickt, damit sie sich untersuchen lassen. Das ist unpersönlich und wird natürlich nicht angenommen.

McDonald: Nach Startschwierigkeiten haben wir das Programm – welches übrigens gemeinsam mit der Ärztekammer vereinbart wurde – angepasst; das läuft jetzt sehr gut. Das Problem war aber, dass wir in der Vergangenheit eben lange nicht so gut waren, wie wir geglaubt haben, weil wir viele Frauen, die nicht regelmäßig zum Frauenarzt gegangen sind, gar nicht erreicht haben. Das ist aber neben der erreichten Qualitätsverbesserung das Hauptziel des Programms. Das wird nun besser werden.

Turnusstellen bleiben frei, manche Kassenverträge finden keine Abnehmer – steuern wir nicht auf einen Ärztemangel zu?

Wechselberger:Wir spüren ihn schon. Das ist eine Entwicklung, wie wir sie seit sechs, sieben Jahren prognostiziert haben.

McDonald:Vor acht Jahren war seitens der Kammer noch von einer Ärzteschwemme die Rede.

Wechselberger: Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Die Versorgung chronisch kranker, älterer Menschen, rückläufige Absolventenzahlen und ins Ausland abwandernde Ärzte stellen uns vor ernste Probleme.

McDonald:Ich verwahre mich gegen das Wort Ärztemangel. Wir haben eine der höchsten Ärztedichten der Welt. Wir kommen also auch mit weniger Ärzten aus – sofern wir die Versorgungswirksamkeit erhöhen können. Reden wir doch konstruktiv darüber, wie wir den Ärztebedarf der Zukunft bedecken können ....

Was kann man von Ihrem neu begonnenen Dialog erwarten?

McDonald:Bei aller Systemkritik sollen die Menschen die Sicherheit haben, dass das, was medizinisch notwendig ist, auch in Zukunft an Leistung erbracht und bezahlt wird. Da arbeiten wir gemeinsam daran, das auch in Zukunft sicherstellen zu können.

Wechselberger: Okay, aber da muss sich die Sozialversicherung noch kräftig bewegen.

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