Eltern wollen Macht der Lehrer beschränken

Eltern wollen Macht der Lehrer beschränken
In der Ganztagsschul-Debatte herrscht Klassenkampf wegen der Mitsprache. Die ÖVP stellt sich hinter die Gewerkschaft.

Der oberste Lehrervertreter ist empört. „Das ist ein Affront gegen die Schulpartnerschaft“, befindet Christgewerkschafter Paul Kimberger im KURIER-Gespräch. „Das ist ein Skandal“, echauffiert sich der Sprecher der AHS-Direktoren, Wilhelm Zillner. Was regt die Herren so auf? Dass SPÖ-Bildungsministerin Claudia Schmied und ÖVP-Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer den Lehrern Einfluss entziehen wollen – bei der Entscheidung, ob es ein verschränktes Ganztagsangebot (Unterricht, Lern- und Freizeit sind über den Tag verteilt) an ihrer Schule geben soll. Da Lehrer aus Eigeninteressen mitunter blockieren, sollten die Eltern das letzte Wort haben, befand Mödlhammer im KURIER.

Drohung

Mehr hat er nicht gebraucht. „Populistisch“ sei das, sagt Kimberger. „Die Schul­partnerschaft hat sich über Jahrzehnte bewährt. Man darf davon nicht abgehen.“ Direktoren-Sprecher Zillner droht mit Widerstand seiner Zunft: „Wie auch immer die Lehrer dazu stehen, bei einer solchen Vorgangsweise werden sie dagegen sein.“

Die ÖVP-Spitze stellt sich hinter Kimberger & Co, damit gegen Parteifreund Mödlhammer. Michael Spindelegger will, dass die Lehrer in Sachen Ganztagsschule auch künftig mitreden. Ein Veto von ihnen sei „eine theoretische Frage. In der Praxis stellt sich die gar nicht“ , sagte er im ORF-Radio. Fortan sollte aber im Schulgemeinschaftsausschuss, in dem neben Pädagogen und Eltern auch Schüler sitzen, geurteilt werden.
ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon verteidigt die Lehrer ebenfalls: „Ich halte nichts von Schuldzuweisungen. Ein verschränktes Ganztagsangebot scheitert an unterschiedlichen Gruppen. Es gibt auch Gemeinden, die das nicht wollen.“

Beifall

Schmied und Mödlhammer wird für ihr Begehren aber auch applaudiert – von den Elternvertretern. Christian Morawek (Pflichtschulen) und Theodor Saverschel (höhere Schulen) wollen, dass Lehrer ein „echtes“ Ganztagsangebot nicht mehr verhindern können; Nachmittagsbetreuung, die die ÖVP bevorzugt, reicht beiden nicht.

Was antwortet Mödlhammer seinen Kritikern? „Ich bleibe bei meiner Forderung, dass die Eltern das letzte Wort haben. Sie sind die Hauptbetroffenen. Wo sollen sie die Kinder denn hinschicken? Ich verstehe die Aufregung der Gewerkschaft nicht. Was ist da populistisch?“ Kimberger solle „nicht Feindbilder aufbauen. Ich habe ja dazu gesagt, dass den Lehrern das abgegolten werden soll. Ich erwarte Gesprächsbereitschaft, nicht Konfrontation.“ Für den Streitfall hat Mödlhammer eine Lösung: „Die Bürgermeister sollen entscheiden. Sie sind die Schulerhalter, die Zahler. Und sie würden auf Seite der Eltern sein.“

Auch Schmied bleibt dabei: Die Eltern seien die wichtigsten Entscheidungsträger, sollten daher ein Machtwort haben. Alsbald will sie mit dem Koalitionspartner „die Rolle der Lehrer thematisieren“. In größerer Runde wird über den Ganztagsschulausbauplan debattiert; da sind Länder, Gemeinde- und Städtebund dabei. Nach einem Zwist sind Rot und Schwarz überein gekommen, mehr Geld für Ganztagsplätze zu geben, als geplant war. Nicht 80 Millionen, sondern 160 Millionen sollen es jährlich sein; nicht nur bis 2014, sondern bis 2018. Jetzt wird erhoben, wo wie viele Plätze vonnöten sind – und wie man diese finanziert.

Der KURIER beantwortet Fragen rund um das Streitthema.

Wie viele Ganztagsplätze gibt es derzeit?
Laut Bildungsministerium sind es rund 119.000 Ganztagsplätze an Pflichtschulen und AHS-Unterstufen. Das heißt: 17,5 Prozent aller 6- bis 14-Jährigen besuchen entweder eine Ganztagsschule (Unterricht und Freizeit sind auf den ganzen Tag verteilt) oder eine Schule mit Nachmittagsbetreuung (Unterricht am Vormittag, Freizeitbetreuung am Nachmittag). Die meisten Ganztagsplätze gibt es in Wien (47.200), die wenigsten in Kärnten (4800). Zählt man die rund 50.000 Hortplätze (außerschulische Nachmittagsbetreuung) dazu, werden knapp 25 Prozent aller 6- bis 14-Jährigen ganztätig an Schulen betreut. Ganztagsbetreuung heißt, dass die Kinder bis mindestens 16 Uhr beaufsichtigt werden.

Wie hoch ist der Bedarf an Ganztagsplätzen?
Laut Umfragen wünscht sich mehr als die Hälfte aller Eltern einen Ganztagsbetreuungsplatz für die Kinder, heißt es im Bildungsministerium. Demnach würde der Bedarf bei rund 350.000 Plätzen liegen.

Wie viele Plätze werden in den kommenden Jahren fix dazukommen?
Die Regierung hat beschlossen, bis 2014 jährlich 80 Millionen Euro in den Ausbau der Ganztagsbetreuung zu investieren, um
auf 160.000 Plätze zu kommen.

Worüber wird noch verhandelt?
Die SPÖ will die Finanzierung verlängern und erhöhen – bis 2018 sollen jährlich 160 Millionen Euro fließen, um letztlich auf 200.000 Plätze zu kommen. Nimmt man die Hortplätze dazu, hätten dann 37 Prozent aller 6- bis 14-Jährigen einen Betreuungsplatz. Die ÖVP ist mittlerweile bereit, mehr Ganztagsplätze zu schaffen – unter einer Bedingung. Bildungsministerin Claudia Schmied müsse zuvor mit den Ländern einen detaillierten Ausbauplan verhandeln. Das will sie tun. Nach wie vor ungeklärt ist, wie die zusätzlichen Plätze finanziert werden sollen. Die SPÖ möchte Einnahmen aus einer Erbschaftssteuer dafür verwenden, die ÖVP Mittel aus Privatisierungen.

Eltern wollen Macht der Lehrer beschränken

Wie viel müssen Eltern für die ganztägige Betreuung ihrer Kinder zahlen?
Das entscheidet der Schulerhalter (bei Pflichtschulen die Gemeinden, bei Gymnasien der Bund), daher differieren die Kosten. In Wien zahlen Mütter und Väter etwa für den Ganztagsschulplatz im Schnitt 98 Euro im Monat. Dazu kommen zwischen 3,10 und 4,90 Euro pro Tag für das Essen. Die Kosten werden sozial gestaffelt. Eltern mit sehr geringem Einkommen zahlen nichts.

Wer entscheidet darüber, wo eine Ganztagsschule entsteht?
Eltern haben unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz für ihr Kind: Wenn zehn AHS-Schüler einen Platz brauchen (und sich dafür anmelden), muss es Nachmittagsbetreuung geben. Bei den Pflichtschulen legen die Bundesländer die Limits fest. Ab 15 Kinder sind aber jedenfalls Plätze zur Verfügung zu stellen. Einen Rechtsanspruch auf einen echten Ganztagsschulplatz gibt es nur, wenn zwei Drittel aller Eltern und aller Lehrer der betroffenen Klasse dafür sind.

Was ist der Unterschied zwischen einer Ganztagsschule und der Gesamtschule?
In einer Ganztagsschule werden Unterricht und Freizeit über den gesamten Tag verteilt. Es besteht für den ganzen Tag Anwesenheitspflicht. Gesamtschule heißt, dass es nur einen Schultyp für alle 10- bis 14-Jährigen gibt. Die Schüler sollen aber individuell gefördert werden. Derzeit gibt es drei Schulformen: Die Hauptschule, die „Neue Mittelschule“ und die AHS-Unterstufe. Die SPÖ ist für die Gesamtschule, die ÖVP dagegen.

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