Flüchtlinge sollen nicht für Terror büßen

Eva Glawischnig kandidiert am Wochenenden auf dem Bundeskongress der Grünen erneut als Parteichefin
Eva Glawischnig warnt vor Erstarken der Rechtsparteien, die Europa ins Wanken bringen könnten.

Heute und morgen halten die Grünen in Villach einen Bundeskongress ab. Am Samstag steht das politische Referat von Parteichefin Eva Glawischnig im Mittelpunkt. Am Sonntag werden die grünen Spitzengremien neu gewählt. Glawischnig kandidiert für eine weitere Periode als Parteichefin – bis 2018.

Ursprünglich wollten sich die Grünen mit ihren zentralen Projekten Klimaschutz und Bildung auseinandersetzen, aber der Terror hat alles geändert. Glawischnig widmet ihr Referat den Terroranschlägen und den Folgen. "Die Grünen sind gegen die anlasslose Massenüberwachung. Die bisherigen Ermittlungsergebnisse zeigen, alle Täter waren amtsbekannt und sind in irgendwelchen Netzen gehangen. Dennoch wurde die Gefahr nicht erkannt. Je größer der Heuhaufen an angesammelten Daten, desto weniger zielgerichtet wird damit gearbeitet", sagt Glawischnig.

Prävention

Die Grünen-Chefin tritt für Prävention ein: "Man muss in den Gefängnissen ansetzen. Sie sind offenbar der Hotspot der Radikalisierung." Außerdem sei gegen "Verhetzer und Rekrutierer" von Terroristen "hart durchzugreifen".

Glawischnig fordert über Sicherheitsmaßnahmen hinaus soziale Prävention ein. "Es geht nicht, dass ganze Stadtteile wie Molenbeek in Brüssel sich selbst überlassen bleiben, mit arbeitslosen und perspektivlosen Jugendlichen. Hinschauen ist angesagt."

Besonders wichtig ist Glawischnig die Botschaft: "Die Angst vor Terroranschlägen darf sich nicht gegen Flüchtlinge richten. Die Flüchtlinge laufen vor dem davon, was in Paris passiert ist. Dort, wo sie herkommen, passiert das jeden Tag." Die Attentäter von Paris seien europäische Staatsbürger gewesen, bei allen legitimen Sicherheitsbestrebungen "muss Europa für Flüchtlinge offen bleiben", sagt Glawischnig. "Ich frage mich: Was wird über diese Tage in Europa einmal in den Geschichtsbüchern stehen? Dass die Rechtsparteien erstarkten, weil sie die Flüchtlinge politisch brutal instrumentalisierten? Rechtsparteien, die gegen das europäische Projekt, gegen eine Sozial- und Umwelt-Union, sind? Dagegen müssen die Grünen kämpfen."

"FPÖ-Gruselpädagogik"

Um die Bildungsreform umzusetzen, braucht die Regierung die Grünen, weil Zweidrittelgesetze zu ändern sind. Glawischnig ist dafür, generell die Zweidrittelhürde für Schulorganisationsgesetze zu streichen, auch zum Preis, dass die Grünen dann künftig für solche Vorhaben nicht mehr gebraucht werden. Ihre Begründung: "Erstens, es soll die Blockade gelöst werden. Zweitens ist es möglich, dass künftig die FPÖ ein Drittel der Abgeordneten stellt. Die FPÖ ist auf dem Gebiet der Bildungspolitik wirklich nicht satisfaktionsfähig. Sie vertritt eine Gruselpädagogik mit Strafen und gegen Mehrsprachigkeit und viel Heimatkunde."

Wichtig ist für die Grünen auch, dass es Bundesländern verfassungsmäßig erlaubt wird, selbst zu entscheiden, ob sie zur Gänze eine Modellregion für die Gesamtschule werden. Bei den Kindergärten soll der Bund mehr Einfluss bekommen. Die Pädagogik in den verpflichtenden Kindergartenjahren und die Ausbildung der Kindergartenpädagogen solle Bundessache sein.

Gefragt, ob sie einen Plan B habe, falls Alexander Van der Bellen nicht als Bundespräsident kandidieren will, antwortet Glawischnig: "Ich bin sehr zuversichtlich, dass er antritt." Bekannt geben werde er seine Entscheidung wahrscheinlich "nicht mehr in diesem Jahr".

In Oberösterreicher schafften sie ein zartes Plus, in Wien wurde vor einer Woche die Neu-Auflage von Rot-Grün besiegelt – soweit kann die Öko-Partei zufrieden sein.
Tatsache aber ist, dass die Grünen mancherorts weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Die größten Herausforderungen sind derzeit folgende:


Steiermark

In der grün-weißen Mark schwächeln die Ökos. Am deutlichsten zeigt dies das Beispiel Graz: Bis 2012 waren die Grünen hier in einer Koalition und stellten mit Lisa Rücker die Vizebürgermeisterin; 2013 schaffte man bei der Nationalratswahl das Kunststück, alle anderen Parteien abzuhängen. Von diesen 21,7 Prozent sind die Grünen weit entfernt, bei der Landtagswahl gelangen in Graz zuletzt nur 11,2 Prozent. „Die Steiermark ist ein hartes Pflaster. Das liegt auch daran, dass hier die KPÖ eine fast sozialarbeiterische Politik betreibt“, sagt Rücker.

Wien

Der Auftakt von Rot-Grün war, gelinde gesagt, ausnehmend holprig. Und es steht zu befürchten, dass die Wiener Ökos binnen kürzester Zeit in veritable Konflikte mit der SPÖ schlittern. Bereits bei der Präsentation des Koalitionspaktes stritt Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou offen mit SPÖ-Boss Michael Häupl; kurz darauf lancierten die Grünen die Existenz einer Neben-Absprache zum Koalitionspakt – die SPÖ dementierte. „Professionelle grüne Regierungskommunikation sieht anders aus“, sagt ein Partei-Stratege im Bund.

Inhalte

„Ökologie und politische Sauberkeit sind die Kern-Anliegen der Grünen“, sagt Politik-Forscher Christoph Hofinger (Sora-Institut). „Das Problem ist: Die Zeit der Öko-Ansagen ist vorbei.“ Laut Hofinger müssen sich die Grünen im „Krisen-Thema“ stärker positionieren. Und sie müssten ihre Inhalte leichter begreifbar machen. Hofinger bringt ein Beispiel: „Die FPÖ hatte einst den Kinderscheck. Der war schnell erklärt.“ Die Grünen hätte zwar ausgeklügelte Positionen, aber kaum ein Anliegen sei in wenigen Sätzen darstellbar. „Ihnen fehlen die Leuchtturm-Projekte.“
Christian Böhmer

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