Schelling: "Ich weiß auch nicht, warum uns der Mut fehlt"

"Ich bin nicht der Universalminister der Republik"
Der Finanzminister über die italienischen Bankenkrise und die Trägheit der Politik bei Reformen.

KURIER: Herr Schelling, vor Kurzem wurde die beunruhigende Nachricht öffentlich, dass die italienischen Banken auf faulen Krediten in der Höhe von 360 Milliarden Euro sitzen. Wie groß schätzen Sie die Explosionskraft der italienischen Bankenkrise für das europäische Finanzsystem ein?

Hans Jörg Schelling: Die Situation ist unangenehm, aber nicht dramatisch. Die Lösung hängt nur mehr davon ab, inwiefern die Kommission einer Lösung zustimmt. Die geplante Bad Bank, die nun von den Italienern errichtet wird, hat zwar ein sehr großes Volumen, allerdings muss man wissen, dass einen großen Teil des Gesamtvolumens die älteste Bank der Welt, die Monte dei Paschi aus Siena, trägt. Sie sitzt allein auf 24 Milliarden an faulen Krediten. Ich pflege ja zu sagen, wir haben keine Bankenkrise, sondern eine Profitablitätskrise. Die Banken verdienen zu wenig Geld, und sind deswegen nicht schockresistent. Das hat man erkannt und deswegen gehen sämtliche Maßnahmen, die in den letzten Jahren gesetzt wurden, in Richtung Kapitalverbesserung der Banken.

Italiens Premier Mateo Renzi möchte den Banken mit Steuergeld unter die Arme greifen. Das neue Bail-in-Gesetz sieht das nicht vor. Wer wird sich hier durchsetzen: Italien oder Brüssel?

Vor wenigen Tagen gab es ein interessantes Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Kleinanleger hatten gegen die Bankenrettung der slowenischen Regierung im Jahr 2013 geklagt. Die Slowenen haben prinzipiell richtig gehandelt. Doch das Urteil lässt den Mitgliedsländern Spielräume bei der Rettung maroder Banken. Grundsätzlich können Anteilseigner und nachrangige Gläubiger zur Sanierung von Geldhäusern herangezogen werden, urteilte der EuGH. Allerdings sei es für die EU-Staaten nicht verpflichtend, die Inhaber nachrangiger Schuldtitel an den Verlusten zu beteiligen, und den Banken mit Steuergeldern unter die Arme zu greifen. Die Kommission kann diese sogenannte "State Aid" verweigern. Auf italienische Ebene versucht man nun eine Lösung zu finden, die in diese Richtung geht. Wenn man in Italien ein Bail-in durchziehen würde, wären die Sparer und die Kleinanleger betroffen. Denn die meisten italienischen Anleihen werden von Kleinanlegern und nicht wie etwa in Österreich von institutionellen Anlegern gehalten. Das ist das Hintergrundproblem der italienischen Regierung.

Wie lange werden die Verhandlungen mit Brüssel dauern?

Es gibt derzeit intensive Gespräche mit der EU-Kommission. Die Kommission vertritt die Meinung man muss eine Lösung finden, aber sie wisse noch nicht, welche. Ich gehe davon aus, dass in 14 Tagen eine Lösung ausgearbeitet ist, die das Problem noch nicht löst, aber zumindest einfrieren wird. Dann kommt die Abwicklung der Banken und wie man aus Deutschland weiß, ist das ein extrem langwieriger Prozess.

Das heißt, zur Sanierung der italienischen Banken werden doch wieder Steuergelder verwendet werden?

Ich glaube nicht, dass es zwingend so kommen muss. Man kann auch andere Lösungen finden. Möglicherweise können vorübergehend Garantien gewährt werden. Aber ich gehe nicht davon aus, dass direkt Steuergelder fließen werden. Das wäre erst notwendig, wenn die Haftungen zum Auszahlen wären. Tatsächlich ist es aber so, dass die faulen Kredite jetzt in einer Bad Bank geparkt werden, die Bank abgewickelt wird. Erst am Ende sieht man, wie hoch der Ertrag der Assets ist.

Eine Stabilitätskrise ist nicht in Sicht, auch wenn die faulen Kredite 30-mal höher als in Griechenland sind?

Eine Stabilitätskrise wird nicht ausgelöst, weil die italienischen Banken mittlerweile wieder profitabel sind. Bei Finanzminister-Treffen vergangene Woche waren die italienischen Banken kein großes Thema, weil man glaubt, es in den Griff zu bekommen. Was jetzt zügig vorangehen muss, ist die Rekapitalisierung der Banken, damit sie sich strategische Partner suchen können.

Sind Sie überzeugt, dass die neue Bail-in-Regelung wenige Monate nachdem sie eingeführt wurde, nicht gleich wieder aufgeweicht wird?

Mir ist sehr wichtig, dass das nicht passiert. Es kann nicht sein, wenn die Regel zum ersten Mal angewendet wird, sie auch gleich wieder nicht angewendet wird. Dass man die Regel aber in verschiedenen Varianten anwenden kann, ist logisch. Was bei den italienischen Banken hinzukommt ist, dass man noch gar nicht die genaue Summe der faulen Kredite kennt. Da schwirren Zahlen herum, die zwischen 150 und 360 Milliarden Euro liegen. Offenbar gibt es hier verschiedene Stufen von Not leidenden Krediten. Hier ist die Frage, welche sind verwertbar und welche sind nicht verwertbar.

Gehen wir nach Österreich. Die neue Regierung möchte einen spürbaren Ruck erzeugen. In der Industrie ist 4.0 in aller Munde. Warum hinkt die Politik bei diesen Entwicklungen hinten nach?

Da muss man zwei Bereiche unterscheiden. Einerseits was der Staat Österreich selbst im Bereich 4.0 unternimmt, sei es beispielsweise e-government. Da sind wir ziemlich gut unterwegs. Traditionell ist aber ein Problem, dass die Wirtschaft der Politik meist voraus ist. Weil die Politik zu wenig in die Zukunft investiert und sie zu viel an der Vergangenheit orientiert ist. Wir geben auch viel zu viel Geld für die Vergangenheit aus, wie etwa in veraltete Systeme. Das mag mitspielen, dass hier eine Diskrepanz herrscht. Wenn man jedoch in die österreichische Betriebe schaut, dann sind die noch lange nicht bei 4.0 angelangt. Selbst bei den sehr erfolgreichen Betrieben läuft noch lange nicht alles vollautomatisch. Aber wir wissen alle, dass das kommen wird und die Politik ist hier gefordert, Maßnahmen zu setzen. Wir werden auch einiges im Bereich Forschung in Gang bringen. Auch das Start-up-Paket ist dabei ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Die Trägheit der Politik ist ja nicht nur beim Thema Industrie 4.0 zu orten. Warum dauert es etwa neun Jahre – also bis 2025 – damit wir eine Ganztagsschulquote von 40 Prozent erreichen?

Ich bin nicht der Universalminister der Republik und will mich auch nicht in andere Ressorts einmischen. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich, auch aus meiner Sicht, könnte es schneller gehen. Aber das ist in vielen Bereichen so. Wir haben am 29. Februar ein Pensionspaket verabschiedet. Hier geht es um Innovationen im Bereich der Invaliditätspensionen, etc. Wir haben bis heute keine einzige Gesetzesvorlage dazu. Da ist noch nichts da. Das macht mir Sorgen und so könnte man in der Privatwirtschaft auch nicht agieren. Genauso läuft es bei der Umstellung des Frauenpensions-Antrittsalters – das frühestens ab 2024 angedacht ist. Also, die Schnellsten sind wir nicht. Ich weiß auch nicht, warum der Mut fehlt. Als ich mit einem sehr vorsichtigen Schritt versucht habe, das Thema Frauenpensionsalter nochmals in die Gänge zu bringen, gab es nur große Aufregung und Widerstand.

War die Motivation in die Politik zu gehen, bei Ihnen nicht auch, mehr Elan in die Regierung zu bringen?

Das Finanzministerium ist beim Abarbeiten des Regierungsprogramms voll im Plan. Egal, ob es um die Abwicklung der HETA oder Bankenabgabe geht. Ich habe das Problem nicht, selbst wenn mir manches immer wieder zu langsam geht. Geduld muss man auch lernen.

Mussten Sie auch Kompromissfähigkeit lernen?

Mein Eindruck ist, es gibt immer wieder Menschen inner- und außerhalb der Politik, die nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind. Mit dieser Einstellung bringt man Reformen nicht in die Gänge. Die Regierung hat etwa bei der Steuerreform bewiesen, dass sie Lösungen präsentiert, obwohl man zu Beginn weit auseinander lag. Wir haben ein Ziel definiert und punktgenau geliefert, indem wir das Gemeinsame vor das Trennende gestellt haben.

Einmal mehr soll die Gewerbeordnung, die an manchen Stellen 150 Jahre alt ist, reformiert werden. Es wäre nicht die erste Regierung, die daran scheitert. Warum klappt es dieses Mal?

Das gemeinsame Interesse, hier etwas zu bewegen, ist da. Ich war überrascht, dass das Ganze gar nicht so sehr bei der Wirtschaftskammer hängt, sondern die Skepsis bei den Gewerkschaften größer ist. Wenn man die Gründe hinterfragt, stellt sich heraus, dass die Zuordnung zu den Kollektivverträgen und Fachorganisationen das Problem sind. Weil es ungefähr 93 Fachorganisationen und über 700 Kollektivverträge gibt. Aber de facto ist das kein Problem, deswegen bin ich optimistisch, dass wir hier eine Reform zustande bekommen. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, am Tisch zu verhandeln und das Ergebnis erst am Ende zu präsentieren. Mit öffentlichen Diskussionen über einzelne Punkte wird man nicht vorankommen. Es gibt immer irgendwen, der das oder das nicht gut findet und dann stockt plötzlich die große Lösung. Ich bin dafür, dass wir es wie bei der Steuerreform halten: Projektdefinition, klarer Zeitplan, Arbeiten am Verhandlungstisch und dann Präsentation des Gesamtprojekts.

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