Familien: Kurz adaptiert sein Wahlprogramm

Sebastian Kurz bei der Präsentation des ersten Teils seines Programms
Sebastian Kurz reagiert auf Expertenkritik: Laut einer Modellrechnung würden Geringverdiener von den ÖVP-Steuerplänen kaum profitieren. Ein Großteil der Alleinerzieherinnen gar nicht.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz will den im Wahlprogramm angekündigten 1.500 Euro-Steuerbonus für Familien auch gering verdienenden Alleinerzieherinnen zukommen lassen - und zwar über den Umweg der Väter. "90 Prozent der Alleinerzieherinnen haben Kinder, die einen Vater haben, der bekannt ist", sagte Kurz am Mittwoch: "Wenn der den Steuerbonus bekommt, muss er ihn weitergeben."

Diese verpflichtende Weitergabe des Steuerbonus vom geschiedenen Vater an die Mutter steht zwar nicht im Wahlprogramm der ÖVP, aber: "Das ist unsere Überlegung", versicherte Kurz. Dass Alleinerziehende in seinem Modell schlecht aussteigen würden, will sich Kurz ohnehin nicht nachsagen lassen: "Es gibt keine wahlwerbende Partei, die ein Modell hat, wo sie besser aussteigen würden."

Expertenkritik

Die Innsbrucker Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW) hatte zuvor darauf hingewiesen, dass die meisten Alleinerzieherinnen den Steuerbonus nicht in Anspruch nehmen könnten, weil sie wegen ihres geringen Einkommens keine Lohnsteuer zahlen. Auch den derzeit schon bestehenden Absetzbetrag von bis zu 2.300 Euro für Kinderbetreuungskosten können Eltern nur dann ausschöpfen, wenn sie über ein entsprechend hohes Einkommen verfügen. Laut ÖVP-Programm soll der neue Steuerbonus ohne weitere Bedingungen für jedes unter 18-jährige Kind ausgezahlt werden und die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten ersetzen.

"Familienfreundlich ist der Vorschlag nur bedingt", urteilte GAW-Experte Florian Wakolbinger in einem der APA vorliegenden Papier. Lob gab es dagegen für die vorgeschlagene Abschaffung der "Kalten Progression (mehr dazu weiter unten).

Kritik von SPÖ, Grünen und NEOS

Kritik an den Steuerplänen der ÖVP kommt von den SPÖ-Frauen. Frauenministerin Pamela Rendi-Wagner kritisierte am Mittwoch die "hastige Kurskorrektur" von ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz beim Kinderbonus für Alleinerzieherinnen. "Konzepte zur Unterstützung von Alleinerzieherinnen fehlen im ÖVP Wahlprogramm völlig, offensichtlich wurden sie von der ÖVP einfach vergessen", so Rendi-Wanger.

Die Ministerin lobte in einer Aussendung hingegen den Vorschlag der SPÖ für eine "Unterhaltsgarantie" für Alleinerziehende, die nur geringe oder gar keine Unterhaltszahlungen erhalten. "Kinder sollen nicht darunter leiden, dass ihre Eltern ein geringes Einkommen haben", so die SP-Politikerin.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler reagierte per Aussendung auf die Ergänzung des Kurz-Programms. Die Idee, dass Väter den Steuerbonus an ihre geschiedenen Frauen weitergeben sollen, sei "an Realitätsferne und Praxisuntauglichkeit kaum zu überbieten". Frauen würden "von der Kooperation ihrer Ex-Männer abhängig gemacht werden," sagt Niedermühlbichler.

"Dass Kurz nun beim ÖVP-Frauenprogramm nachbessern muss, zeigt, wie wenig dieses von Anfang an durchdacht war", kritisiert NEOS-Frauensprecherin Claudia Gamon: "Der Steuerbonus - inklusive Extraregel für Alleinerzieherinnen - zementiert das konservative Frauen- und Familienbild ein, in dem Frauen allein für die Kindererziehung zuständig und finanziell vollkommen vom Partner abhängig sind."

Auch die Grünen kritisieren die Steuerpläne der ÖVP und fordern, dass finanzielle Unterstützung dort landen soll, wo sie gebraucht wird. "Die existenziellen Probleme von Alleinerziehenden dürften an Herrn Kurz bisher vorübergegangen sein", monierte Familiensprecherin Judith Schwentner am Mittwoch in einer Aussendung.

Menschenwürdige Sozialpolitik sehe anders aus und finanzielle Unterstützung für Familien müsse dort landen, wo sie gebraucht wird, fordern die Grünen. Sie lehnen nicht nur den Vorschlag eines Familienbonus ab, sondern auch den derzeit bestehenden Absetzbetrag für Kinderbetreuungskosten, denn Gering-Verdiener, die am dringendsten Unterstützung bräuchten, würden davon nicht profitieren.

Auswirkungen nachgerechnet

GAW-Experte Wakolbinger hat die Auswirkungen von Kurz' Steuervorschlägen auf die unterschiedlichen Einkommensgruppen durchgerechnet. Sein Ergebnis: Paare mit Kindern hätten im Durchschnitt zwar 108 Euro pro Monat mehr zur Verfügung. Gerade Alleinerzieherinnen könnten aber nur mit durchschnittlich 56 Euro profitieren. Zum Vergleich: Singles ohne Kinder würden von den VP-Plänen mit 48 Euro fast gleich stark profitieren.

Der Grund dafür: Den Steuerbonus von bis zu 1.500 Euro pro Kind kann nur nutzen, wer schon jetzt die entsprechende Summe an Lohnsteuer zahlt. Eine Alleinerzieherin mit zwei Kindern müsste (laut Brutto/Netto-Rechner des Finanzministeriums) also 2.300 Euro brutto verdienen, um den Bonus voll ausschöpfen zu können. "Wer weniger Steuern zahlt, würde auch weniger profitieren, denn die Steuer kann durch den Kinderbonus höchstens auf null reduziert werden", erklärt Wakolbinger.

Seinen Angaben zufolge verdienen nur 62.000 von insgesamt 150.000 Alleinerzieherinnen so viel, dass sie von ihrem Verdienst Lohnsteuer zahlen müssen. Davon wiederum nur die Hälfte (33.000) bezahle so viel, dass sie vom Steuerbonus in voller Höhe profitieren könne. Um auch Geringverdiener entlasten zu können, plädiert Wakolbinger daher für die Zusammenführung von Einkommensteuer und Sozialversicherung - letztere wird nämlich auch bei niedrigen Einkommen fällig.

Kurz hat die Pläne zuletzt in der "ZiB 2" am Dienstagabend verteidigt: Sein Programm solle eben diejenigen entlasten, die Steuern zahlen. "Und wer 1.500 Euro brutto im Monat verdient, der zahlt eben auch relativ wenig Steuern und dadurch profitiert er von einer Einkommenssteuerentlastung wenig", so der VP-Chef.

Kalte Progression

Positiv bewertet Wakolbinger den Vorschlag, die "Kalte Progression" abzuschaffen und die Steuertarife jährlich an die Inflation anzupassen. Gemeinsam mit dem Kinderbonus und der ebenfalls vorgeschlagenen Senkung der unteren drei Steuertarife hätte ein österreichischer Durchschnittshaushalt laut Wakolbingers Berechnung um etwa 90 Euro monatlich mehr zur Verfügung. Dabei gilt: je höher das Haushaltseinkommen, desto höher das Plus. Während die untersten zehn Prozent von der Steuersenkung nichts hätten, würden die obersten zehn Prozent 161 Euro monatlich gewinnen.

Nicht einberechnet hat Wakolbinger - mangels Daten - übrigens den von der ÖVP geplanten Wegfall des jetzigen Steuerbonus für Kinderbetreuung von bis zu 2.300 Euro. Für Gutverdiener, die diesen Betrag voll ausschöpfen können, könnte der geplante 1.500 Euro Steuerbonus in einzelnen Jahren ein Verlustgeschäft bedeuten. Allerdings könnte der von der ÖVP geplante Steuerbonus ohne Bedingungen bis zum 18. Lebensjahr des Kindes geltend gemacht werden, während die derzeitige Regelung nur tatsächlich bezahlte Kinderbetreuungskosten berücksichtigt.

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