Sophie Karmasin: "Zurufe sind viel leichter"

Ein Zimmer mit Aussicht hat Familienministerin Karmasin – auf Wien und ein Bild ihrer Freundin Nina Levett mit Text im oberen rechten Eck: „Just a child can bring you the real love.“
Wie es der einstigen Politik-Beobachterin in der Polit-Realität ergeht.

Es gibt Regierende, denen liegt Wien zu Füßen. Im 12.Stock eines Bürogebäudes im dritten Bezirk, dort, wo einst die Finanzminister Molterer, Pröll und Fekter logierten, residiert jetzt Sophie Karmasin. Seit acht Monaten ist sie Familienministerin; Polit-Alltag ist eingekehrt.

Soeben ist ein ORF-Team abgezogen, eine ATV-Truppe wartet bereits im Foyer. Karmasins Kommentar zu einer WIFO-Studie wollen sie haben. Kommentiert hat sie schon vor der Zeit als Ressortchefin – Studien, die sie als Meinungs- und Motivforscherin machte. Im vergangenen Wahlkampf hatte ihr das einen Fixplatz in der "ZiB2" eingebracht. Karmasin analysierte die TV-Auftritte der Spitzenkandidaten an der Seite des Politologen Peter Filzmaier.

Seitenwechsel

Sie selbst musste ein Stelldichein im Studio absagen. Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger, die sich auf einen erneuten rot-schwarzen Pakt verständigt hatten, wären zu bewerten gewesen. Das ging nicht; Spindelegger hatte die bisherige Unternehmerin für die ÖVP-Regierungsmannschaft nominiert.

Schonfrist habe sie nicht gehabt, sagt Karmasin: "Anders als in der Privatwirtschaft gibt einem niemand die Zeit, sich einzuarbeiten. Jeder glaubt, man ist schon drin in der Materie, kann jede Frage sofort beantworten."

Sophie Karmasin: "Zurufe sind viel leichter"
Sophie Karmasin, Bundesministerin für Familien und Jugend
Den Seitenwechsel spürte sie auch anderweitig. Ihre Firmenanteile gab Karmasin wegen der Ministerschaft – wie vorgeschrieben – ab, an ihren Gemahl. Womit nichts gegen weitere öffentliche Aufträge (auch von Ministerien) für den Betrieb spreche. Nach oppositioneller und medialer Kritik tat Karmasin kund, es werde "keine öffentlichen Aufträge an meinen Mann" geben. Mittlerweile ist die Firma verkauft.

Noch heute erbost sie die Sache: "Da wird beklagt, dass keine Praktiker in der Politik sind, sondern nur Parteisoldaten. Dann kommt jemand, der dafür auch noch eine erfolgreiche Firma über Bord wirft – und der wird so behandelt." Auch ÖVPler haben das Nicht-Parteimitglied Karmasin schon verärgert, etwa Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter mit dem Begehren, Homosexuellen das Adoptionsrecht zu geben. "Ich bin die zuständige Ministerin", sagte sie damals. "Jeder soll in seinem Bereich arbeiten", sagt sie nun. Die Analyse von Rupprechters Töchtern, die ÖVP sei gesellschaftspolitisch "verzopft, reaktionär, stockkonservativ", goutiert Karmasin ebenfalls nicht, auch wenn sie mit ihm "sehr gut" zusammenarbeite: "Ich bin der beste Gegenbeweis – als moderner, liberaler Mensch mit zwei Kindern und berufstätig. ÖVP-Chef Spindelegger hat das gewusst, als er mich geholt hat."

Abgesehen davon: "Ich würde nicht Aussagen meiner Kinder in einem Interview wiedergeben. Das ist Privatsphäre. Man sollte nicht Sprachrohr sein, sondern – wenn schon – das selbst sagen." Kommen ihre beiden Buben, 11 und 13, mit Mamas Polit-Job klar? Auf ihre Art nähmen sie ihn wahr, sagt Karmasin: angepasst. "Früher haben sie mich etwa gefragt, ob ich schon untersucht habe, ob der neue Käse, den wir essen, auch anderen Leuten schmeckt. Heute hoffen sie, dass nicht in der Zeitung steht, dass mir eine Speise misslungen ist."

Mehr läuft freilich bei den Koalitionären schief; sie sind im Image-Tief. Wozu würde sie, als ehemalige Polit-Beobachterin, den rot-schwarzen Spitzen raten? Weder könne noch wolle sie – ob ihrer neuen Rolle – etwas empfehlen. In der habe sie nämlich erkannt: "Zurufe von der Reservebank sind viel leichter, als auf dem Spielfeld zu sein – und dort ein Tor schießen zu müssen. Dort muss man etwas bewegen, nicht nur gescheit reden."

Wie geht sie damit um, dass sich in der Politik vieles so langsam bewegt? "Es ist gewöhnungsbedürftig. Als Unternehmerin war ich gewohnt, rasch Entscheidungen zu treffen, die auch rasch umgesetzt wurden."

Denkpause

So lange manches in der Politik dauere, eines komme zu kurz, sagt Karmasin: Muße, um nachzudenken. "Ein Minister wird zugetaktet mit Terminen. Deshalb habe ich mir ausbedungen, mich einen halben Tag in der Woche davon freizuhalten – damit ich recherchieren, Studien lesen und zur Ruhe kommen kann." Im Ministerbüro habe das überrascht: "Weil es so etwas noch nicht gegeben hat." Karmasin legt das auch den Kollegen nahe: "Jeder Minister sollte sich wöchentlich ein paar solche Stunden gönnen, um den Fokus auf das Wesentliche nicht zu verlieren."

Wo liegt ihr beruflicher Fokus? Möchte sie als Politikerin in Pension gehen? "Ich war aus ganzem Herzen Unternehmerin. Meine Überlegungen gehen dahin, eine solche auch wieder zu sein."

Neun Milliarden Euro fließen in Österreich jährlich in die Familienförderung, aber das Geld wird nicht optimal eingesetzt. Das ergibt eine Studie des WIFO, über die der KURIER bereits berichtet hat.

Familienministerin Sophie Karmasin greift den Expertenrat auf und will künftig mehr auf Sachleistungen setzen – also mehr Kinderbetreuungsplätze finanzieren. Nur scheinbar widersprüchlich ist, dass Karmasin gleichzeitig die Steuerförderung für Mehrkindfamilien ausbauen will. Letztlich schwebt ihr ein 50:50-Mix aus Geld- und Sachleistungen vor.

Im Europavergleich zählt Österreich mit einer Geburtenrate von 1,44 Kindern pro Frau zu den Schlusslichtern. Zwar gehen drei Prozent der Wirtschaftsleistung an Familien, bisher allerdings zu rund 80 Prozent als reine Geldleistungen. Wesentlich bessere Geburtenraten weisen Frankreich (2) und Dänemark (1,73 Kinder pro Frau) auf – beides Länder, in denen stärker auf Sachleistungen gesetzt wird.

Dänemark etwa gibt vier Mal so viel für Kinderbetreuungseinrichtungen aus, Frankreich drei Mal so viel.

SPÖ für guten Mix

Für den Koalitionspartner SPÖ sprach sich auch Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek für einen "guten Mix" aus Sachleistungen und Geldleistungen (höhere Familienbeihilfe) aus. Familien durch zusätzliche Steuererleichterungen wie Freibeträge zu entlasten, hält sie nicht für sinnvoll. Österreich habe bereits jetzt einen "Dschungel an steuerlichen Begünstigungen, von denen zwei Drittel gar nicht abgeholt werden", sagt Heinisch-Hosek.

Das sehen auch die Grünen so. Sozialsprecherin Judith Schwentner pochtauf einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem ersten Geburtstag des Kindes.

Den Fokus auf Sachleistungen finden die Neos gut. Beate Meinl-Reisinger sieht aber auch die Länder und Bürgermeister gefordert, denn es sei schwierig, Betreuungsplätze zu schaffen, die eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie erlauben.

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