Raidl tadelt Rupprechter: "Applaushascherei"

Gewerbeordnung, Föderalismus, Förderungen, Kammern: Bei all den Dingen sei die ÖVP verzopft, sagt Raidl.
Die ÖVP sei nicht mit "Randthemen" zu modernisieren, sagt der Präsident der Nationalbank.

Seine Töchter hielten die ÖVP für "verzopft, reaktionär, stockkonservativ", sagte Andrä Rupprechter dem KURIER. Und so fordert der Lebensminister von seiner Partei, sich zu öffnen. Gesellschaftspolitisch vor allem.

Claus Raidl, dem Präsidenten der Nationalbank und wirtschaftspolitischen Ezzesgeber der Schwarzen, missfällt Rupprechters Begehren: "Er und auch andere in der ÖVP verstehen Modernismus falsch. Sie nehmen Themen, bei denen wir nicht Trendsetter, sondern Nachläufer sind – etwa beim Adoptionsrecht für Schwule und Lesben oder der Homo-Ehe. Ich befürworte das, aber wir sind als Partei da doch nicht glaubwürdig ", befindet Raidl im KURIER-Gespräch.

Auch der Zölibat, den Rupprecher weg haben will, sei "kein Problem der ÖVP, sondern der Bürokratie im Vatikan". Dass "eine Kirche neben einem Minarett und einer Synagoge stehen sollte" (Rupprechter), ist für Raidl ein ebensolches "Randthema. Gewisse Leute glauben, sie sind liberal und auf der Höhe der Zeit, wenn sie so etwas verlangen. Das ist Applaushascherei bei Gruppen, die uns ohnehin nicht wählen."

Wolle die ÖVP modern sein, müsse sie "dort Schritte setzen, wo sie glaubwürdig und daheim ist. Bei der Liberalisierung der Gewerbeordnung hat sie bisher versagt. Da ist sie gefordert. Die Hälfte der gebundenen Gewerbe ist zu streichen", urteilt Raidl. Der ÖVP-dominierten Lehrergewerkschaft habe ÖVP-Chef Michael Spindelegger zu sagen: "Schluss mit den Interessenspielen! Es geht nicht um Überstunden, sondern um die Ausbildung der Kinder." Und: Die Wirtschaftsförderung sei zu reduzieren ("die ist mit fünf Prozent des BIP doppelt so hoch wie in der EU"), detto die Agrarförderung: "Bei all diesen Dingen sind wir verzopft. Da kann man Reformeifer zeigen."

Von Krake befreien

Wer nicht mehr verzopft sein wolle, sollte Österreich "auch von der Krake der Kammern befreien. Das Kammer-Unwesen muss ein Ende haben. Weg mit der Zwangsmitgliedschaft, her mit Freiwilligkeit."

Der Einzige, "der einen Wechsel in meinem Sinn gemacht hat", sei ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka: "Er möchte bei der Familienförderung weg von Geld- hin zu Sachleistungen, also mehr Kinderbetreuungsplätzen."

Auch in Sachen Föderalismus könnte sich die ÖVP profilieren – "indem sie sich dafür stark macht, den Bundesrat ersatzlos zu streichen".

Generell seien der Konzepte genug geschrieben, meint Raidl: "Es muss endlich etwas umgesetzt werden." Beide Regierungsparteien sollten sich "von der Angst befreien, dass sie irgendwelche Gruppen beleidigen und verärgern, weil diese Reformen spüren". Der einstige deutsche SPD-Kanzler Gerhard Schröder habe mit der Agenda 2010 die Basis für den Wirtschaftsaufschwung geschaffen: "Wir brauchen in Österreich ebenfalls Regierungschefs, die sagen: Auch wenn wir kurzfristig Stimmen verlieren – es ist gut für das Land. Das wäre Leadership."

Reformen dürften aber nicht nur zulasten von ÖVP- oder SPÖ-Klientel gehen: "Es muss gleichermaßen schmerzen." Punkto Steuerreform heißt das für Raidl: "Die SPÖ wird der Ausgabenkürzung zustimmen müssen, die ÖVP einer höheren Kapitalertragssteuer (von 25 auf 30 Prozent auch für Wertpapierdividenden, wie einst von Raidl angeregt) und einer höheren Grundsteuer. Das wird der Kompromiss sein, auf den sich SPÖ und ÖVP im Herbst verständigen."

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