Wie sich die ÖVP neu erfinden will

Wir sorgen für Bewegung: Mit dem alten Slogan eines Ölkonzerns will Mitterlehner die ÖVP neu aufstellen
Die Volkspartei probiert wieder eine Reform und sammelt vor allem Ideen von Nicht-Mitgliedern.

Mal stand er mit ausladenden Gesten am gläsernen Rednerpult; dann wieder saß er am Podium und tändelte mit den Zuhörern. Und bei allem, was Reinhold Mitterlehner am Donnerstag tat, war ihm irgendwie anzusehen: Was hier gerade passierte, das passt ihm gut ins Konzept. Sehr gut sogar.In einer schicken Wiener Lounge hat der neue ÖVP-Chef gestern den – noch von Michael Spindelegger initiierten – "Evolution"-Prozess angestoßen.

Die Partei will ihr bald 20 Jahre altes Programm erneuern, sich inhaltlich anders, breiter aufstellen. Streng genommen konnte der Partei nichts Besseres als der letztwöchige Rücktritt Michael Spindeleggers passieren. Denn damit begann die "Evolution" mit einer personellen Erneuerung im Regierungsteam – auch wenn das so nie geplant war. Bis 30. November sollen vor allem Nicht-Parteimitglieder via Homepage über Programm und Struktur diskutieren.

Später verhandeln die Funktionäre und gießen, rechtzeitig zum 70. Geburtstag der Christlich-sozialen am 17. April 2015, die Ergebnisse in ein Programm. "Wir sorgen für Bewegung" haben die PR-Strategen als Motto des Reform-Prozesses erdacht – ein Slogan, mit dem weiland ein Mineralölkonzern geworben hat. Neo-Vizekanzler Mitterlehner griff den Leitsatz auf, um einen Pflock bei der Familienpolitik einzuschlagen. Da das "Leitbild Vater, Mutter und Kind mit Ehe" nur auf 20, 30 Prozent der Österreicher zutreffe, müsse die ÖVP auf Lebensentwürfe wie Patchwork-Familien reagieren. "Wir müssen uns hier bewegen."

Kontroversielle Ideen

Wo sich die ÖVP sonst noch bewegen könnte, beschrieben Gast-Referenten der Schwester-Parteien: So riet Beatrice Wertli, Generalsekretärin der Schweizer CVP, die ÖVP dürfe sich "nicht als Interessen- sondern als Sinnesgemeinschaft" verstehen. Und sie erzählte, wie die CVP Genf mit Migranten-Sektionen Zuwanderer an sich bindet. Dorothee Bär, parlamentarische CSU-Staatssekretärin im Kabinett Merkel III, beschrieb das Erfolgsmodell der 40-prozentigen CSU-Frauenquote: "Anfangs hieß es: ,Wir finden keine Frauen für die Funktionen‘. Als wir die Quote hatten, war der Andrang so groß, dass es sogar Kampfabstimmungen gab.

"Als Philipp Achammer, 29-jähriger Parteichef der Südtiroler Volkspartei, vorschlägt, die Amtszeit bis hinunter zum Gemeinderat auf drei Funktionsperioden zu beschränken, geht ein Raunen durch den Raum. Laut Achammer ging 2010 dadurch die Hälfte aller SVP-Bürgermeister verloren. "Sie durften nicht wieder antreten." Im Gegenzug seien junge Talente zum Zug gekommen. "Das macht neue Türen auf, da fand Wettbewerb statt", so Achammer.Der demonstrativ gut gelaunte Neo-Obmann Mitterlehner nutzt den Vorschlag für einen selbstironischen Anflug: "In der ÖVP hat ein Parteiobmann durchschnittlich 4,3 Jahre. Die Idee muss daher eine andere sein: Wir brauchen eine Amtszeitgarantie."

Neue Perspektiven

Wie sich die ÖVP neu erfinden will
Heidi Glück, Michael Schmitz, Interview, Thurn, Karriere
Beobachter des gestrigen Auftakts, fühlten sich an ein Reform-Vorhaben von 2007 erinnert. Damals führte Agrarminister Josef Pröll die "Perspektiven-Gruppen". Und diese empfahlen der ÖVP inhaltlich durchaus Kontroversielles, etwa die Eingetragene Partnerschaft für Schwule. "Wir haben damals gemerkt, dass sich die Bürger sehr wohl für Politik interessieren – vorausgesetzt, man verzichtet auf hohle Sprechblasen und setzt die Dinge um", sagt Daniel Kapp, damals Prölls engster Mitarbeiter.

Genau hier sieht auch Heidi Glück, Sprecherin des früheren Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel das Problem: "Die Bürger sind für solche Debatten sicher zu haben", sagt die Politik-Beraterin. Allerdings dürfe die ÖVP nicht die Fehler der Perspektiven-Gruppen wiederholen. "Damals wurden viele Vorschläge schubladisiert." Wolle die ÖVP in die Offensive, so müsse sie glaubwürdig vermitteln, dass sie die Ergebnisse von "Evolution" umsetzt. "Andernfalls", sagt Glück, "verspielt sie ihre Glaubwürdigkeit."

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