"Briten müssen sich entscheiden"

Ein Experte in Sachen EU: Agrarminister Rupprechter feiert im Juli sein 20-jähriges Jubiläum beim Agrar-Rat der EU.
VP-Rupprechter: Juncker wird Kommissionschef – auch gegen den Willen der Briten.

Kommende Woche soll in Brüssel eine Entscheidung über den künftigen Kommissionspräsidenten fallen. Im KURIER-Gespräch erklärt Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter, der als ehemaliger EU-Spitzendiplomat seit zwanzig Jahren in der EU-Politik fest verwurzelt ist, wie es weitergehen soll.

KURIER: Die europäische Volkspartei hat mit Jean-Claude Juncker die EU-Wahl gewonnen, doch Juncker scheint alles andere als fix als nächster EU-Kommissionspräsident. Sind wir belogen worden, gab es gar keine Spitzenkandidaten?

Andrä Rupprechter: Nein. Es gab sehr wohl Spitzenkandidaten. Dazu haben sich die Parteichefs der Konservativen und Sozialdemokraten bekannt. Kommissionspräsident wird, wer die Wahl gewinnt. Ich gehe also auch davon aus, dass Juncker nächste Woche nominiert wird.

Der britische Premier sieht das anders, er sagt, Juncker habe nirgends kandidiert, daher sei er auch kein Spitzenkandidat.

Ja, aber Herr Cameron ist von den britischen Konservativen, die im EU-Parlament eine sehr untergeordnete Rolle spielen und eine kleine, unbedeutende Fraktion gegründet haben.

Bisher haben die Staats- und Regierungschefs immer einstimmig den Kommissionspräsidenten nominiert. Soll das einer erstmals auch gegen den Willen eines Landes werden?

Selbstverständlich. Das sind die neuen Regeln des Vertrags von Lissabon. Wenn notwendig, wird man das mit Mehrheit beschließen. Das ist ein zutiefst demokratischer Vorgang.

Dann ist aber zu befürchten, dass die Briten woanders viel Widerstand leisten werden.

Das muss aber auf der Grundlage der demokratischen Spielregeln erfolgen. Aber die Briten müssen sich letztendlich auch entscheiden, ob sie Teil der Europäischen Union sind – oder nicht.

Sind sie das nicht?

Sie sind derzeit jedenfalls Mitglied. Aber ich erinnere an dieser Stelle an Winston Churchill, der in seiner Rede in Zürich 1946 gesagt hat: Es braucht die Vereinigten Staaten von Europa, aber der Commonwealth, die Briten, werden da nicht dabei sein.

Ist es denn wahrscheinlich, dass sich die Briten von der EU abspalten?

Ich halte das für wenig wahrscheinlich. Aber das muss in London entschieden werden.

Warum ist der britische Widerstand gegen Juncker so groß?

Ich denke, dass sie in ihm eine Person sehen, die für ein starkes, integratives Europa steht. Jene Kräfte, die weniger integrativ sind, die Europa nur als loses Wirtschaftsgebilde sehen wollen, lehnen einen starken, integrativen Kommissionspräsidenten ab. Aber aus meiner Sicht braucht Europa einen starken Präsidenten. Gerade die kleinen Mitgliedsstaaten brauchen das, weil dieser für ein starkes Europa steht, und um als gewichtiger, globaler Spieler wahr genommen zu werden. Mit Juncker, als auch mit dem Sozialdemokraten Martin Schulz haben wir nun eine starke Doppelspitze, die das auch wahrnehmen kann.

Auch Schulz soll eingebunden werden?

Auf jeden Fall. Die pro-europäischen Kräfte sind bei der Wahl durch die Doppelspitze gestärkt worden, und das muss auch in der nächsten Kommission klar zum Ausdruck gebracht werden.

Für den Bürger bleibt ein unwürdiges Schauspiel um Posten und neuer EU-Frust, sollte Juncker nicht zum Zug kommen.

Wenn das eindeutige Ergebnis der Wahl zum Europaparlament nicht umgesetzt wird, dann ist das zutiefst enttäuschend und nicht zu akzeptieren.

In Österreich hat Othmar Karas für die ÖVP die Wahl gewonnen, dennoch scheint er derzeit am Abstellgleis.

Das sehe ich überhaupt nicht so. Wie ich höre, wird Karas immer öfter als möglichen Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten genannt. Ich bin überzeugt davon, dass er jedenfalls eine wichtige Funktion und eine starke Stimme im Parlament einnehmen wird.

Könnte man diese starke Stimme nicht auch in der Kommission brauchen?

Jetzt ist einmal der Präsident der Kommission am Zug. Er muss mit den Regierungen verhandeln und sein Team zusammen stellen. Es ist nicht sinnvoll, sich von vornherein auf eine Person festzulegen, weil es zuerst notwendig ist, ein starkes Dossier für Österreich zu bekommen. Und es steht die Forderung am Tapet, dass Österreich einen Vizepräsidenten der Kommission stellen soll. Ich gehe davon aus, dass wir beides, einen Vizepräsidenten und ein starkes Dossier, bekommen werden.

Schließen Sie aus, dass Sie im Herbst als neuer Kommissar angelobt werden?

Ja, das schließe ich aus.

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