Erdogans Kurs gefährdet Integration der Austro-Türken

Recep Tayyip Erdogan während seiner Rede am 19. 6. 2014, in Wien-Donaustadt.
Massivität und Professionalität, mit der Erdogan-affine Vereine in Österreich Stimmung machen, schaffen Verunsicherung. Was bedeuten die jüngsten Entwicklungen für die Demokratie und das Zusammenleben? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Da gibt es die Fahnen-schwingenden Erdogan-Fans, die skandierend durch Wien ziehen; die kurdischen Aktivisten, die mit Gewalt versucht haben, ins ORF-Zentrum am Küniglberg zu gelangen; und während in von türkischen Vereinen betreuten Moscheen mittlerweile nicht nur religiös, sondern längst auch politisch gepredigt wird (der KURIER berichtete), wollen Aktivisten der Erdogan-affinen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) bei den nächsten Nationalratswahl sogar mit einer eigenen Liste antreten. Es ist diese Gemengelage, angesichts derer sich Bürger die Frage stellen: Gerät hier etwas ins Rutschen? Gefährden inner-türkische Konflikte und Erdogans offensive Außenpolitik die öffentliche Ordnung in Österreich? Und muss man sich längerfristig sogar um die Demokratie Sorgen machen? Der KURIER beantwortet die drängendsten Fragen zum Thema:

Erdogans Kurs gefährdet Integration der Austro-Türken

Wie gefährlich sind die Demonstrationen bzw. Konflikte, die hierzulande zwischen Türken und Kurden ausgetragen werden?

Aus Sicht der Behörden sind die zuletzt aufgetretenen Ausschreitungen bzw. Sachbeschädigungen nicht mehr als lokale Ereignisse. So wurden der versuchte "Sturm" auf das ORF-Zentrum am Küniglberg oder auch ein Vorfall am Wiener Stephansplatz von der Polizei nicht kommuniziert. Sie waren einfach so unspektakulär, dass sie Polizei-intern als "nicht relevant" eingestuft wurden.

Warum versuchen AKP-nahe Organisationen wie die UETD Stimmung für den türkischen Staatspräsidenten zu machen?

"Es wiederholt sich nur ein Phänomen, das bereits in den 90er-Jahren zu beobachten war", sagt Türkei-Kenner und Soziologe Kenan Güngör. "Ankara versucht, mit handwerklich professionell gemachten Kampagnen kurdische bzw. kritische Stimmen im Ausland mundtot zu machen." Das Ziel liege auf der Hand: "Die türkischstämmige Community soll für die eigene Sache gewonnen werden, Ankara will auch im Ausland Kontrolle und Deutungshoheit über den politischen Diskurs behalten." Je polarisierter die Konflikte in der Türkei seien, desto klarer spiegle sich das in den Communitys im Ausland wider. Güngör: "Soziologisch sind das Phänomene, die wir beispielsweise beim Konflikt zwischen serbischen und kroatischen Vereinen beobachten können. Das darf einen nicht überraschen."

Erdogans Kurs gefährdet Integration der Austro-Türken

Gefährdet diese über Vereine gemachte Außenpolitik der Türkei Österreichs Demokratie und das politische System?

Nein, zumindest nicht kurzfristig. Das politische Gefüge ist durch die Agitationen Ankaras nicht in ernsthafter Gefahr, so weit sind sich Verfassungsschutz und Analysten einig. Das bedeutet aber nicht, dass die Vorgänge der jüngeren Vergangenheit ohne Folgen bleiben. "Die größte Gefahr sehe ich darin, dass die Integration der in Österreich lebenden, türkischstämmigen Menschen hintertrieben wird", sagt Berivan Aslan. Die Grüne Parlamentarierin ist ob ihres kurdischen Hintergrundes erklärtes Feindbild rechtsnationaler Türken. Mit Forderungen wie der Wiedereinführung der Todesstrafe bringe der türkische Präsident sein Land auf einen heiklen Kurs. Aslan: "Wenn sich Erdogan weiter vom Westen und dessen Werten abwendet, kommen die hier lebenden Erdogan-Sympathisanten in einen Interessenskonflikt. Allfällige Parallelgesellschaften werden eher gefördert als aufgelöst." Das sieht auch Soziologe Güngör so: "Wird der Widerspruch zwischen der türkischen Heimat und der Wahlheimat Österreich zu groß, werden diese Menschen im Konflikt aufgerieben. Und das ist dann sehr wohl ein Problem für die Gesellschaft."

Erdogans Kurs gefährdet Integration der Austro-Türken
ABD0131_20160716 - WIEN - ÖSTERREICH: Demonstration anl. des Putschversuchs des Militärs in der Türkei am Samstag, 16. Juli 2016, auf de, Heldenplatz in Wien. - FOTO: APA/HERBERT P. OCZERET

Könnte eine islamistische Partei bei Nationalrats- oder Landtagswahlen überhaupt antreten – selbst wenn sie extreme Positionen wie eine islamistische Verfassung vertritt?

"Ja. Mit Ausnahme des Verbotsgesetzes gibt es beim Wahlvorschlag inhaltlich keine Prüfung", sagt Robert Stein, Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium. Neo-nazistische Inhalte sind demnach verboten. Doch sind die formalen Kriterien erfüllt (Kandidaten der Liste sind wahlberechtigt, Unterstützungserklärungen sind vorhanden, etc.) , darf die Partei bei der Wahl antreten – selbst dann, wenn sie Demokratie-feindliche Inhalte in ihr Programm schreibt.

Wie wahrscheinlich ist das Antreten einer nationalistisch-türkischen Liste?

Das Antreten gilt de facto als sicher. Bereits bei der Wiener Landtagswahl kandidierte der Simmeringer Turgay Taşkiran mit der Liste "Gemeinsam für Wien", die insbesondere türkischstämmige Menschen ansprechen wollte. Der Einzug in den Landtag gelang zwar nicht, allerdings schaffte man den Sprung in drei Bezirksparlamente. 2018 will Taşkiran bei der Nationalratswahl starten. Aufgrund seines politischen Hintergrundes – Taşkiran war Präsident der erwähnten UETD – wird die Kampagne finanziell und organisatorisch wohl deutlich besser ausgestattet sein als manch andere neu gegründete Partei.

Wie stehen die Chancen, dass eine nationalistisch-türkische Partei tatsächlich ins Parlament einzieht?

"Ausnehmend gering", sagt Thomas Schmidinger. Der Politikwissenschaftler und Islam-Kenner verweist darauf, dass es "mehrfach Versuche in diese Richtung gab, allerdings sind alle gescheitert". Dass eine türkisch-nationalistische oder -islamistische Partei künftig politisch eine stärkere Rolle spielen könnte, glaubt Schmidinger aus mehreren Gründen nicht: "Viele der Türken, die in Österreich leben, sind gar nicht wahlberechtigt bzw. sie nehmen an Wahlen grundsätzlich nicht teil. Das wesentlichste Argument ist aber: Die Gruppe der Menschen mit türkischem Kultur- bzw. Migrationshintergrund ist ausnehmend heterogen." Es gäbe nicht eine, sondern viele Strömungen. "Allein deshalb ist es unwahrscheinlich, dass eine Partei genug Stimmen unter ihrem Dach vereint, um die Vier- Prozent-Hürde zu schaffen."

Die Armenien-Resolution brachte für Remzi Aru das Fass zum Überlaufen. Als der Bundestag die Massaker an den Armeniern als Genozid einstufte, war für den IT-Unternehmer klar: Eine Türken-Partei muss her. "Keine deutsche Partei ist mehr für einen Menschen mit türkischen Wurzeln wählbar", sagte der 49-Jährige bei der Gründung seiner "Allianz Deutscher Demokraten". Zwar sehe er sich als Sprachrohr für alle Migranten, aus seiner Verehrung für Recep Tayyip Erdogan macht er aber kein Hehl: In Deutschland würden Türken von der "Lügenpresse" zu "Sündenböcken" gemacht, das will er ändern.

Geheimdienst macht Druck

Die Rhetorik Arus, der türkischstämmige Abgeordnete anderer Parteien gerne mal "Terrormoppel" oder "Haustürken" nennt, ist dem Opfergestus der AfD nicht unähnlich. Die ADD, quasi eine Alternative für Türken, ist aber lange nicht die einzige Gruppe, die für Erdogan Lobbyarbeit betreibt. Mustergültig im Sinne Ankaras macht das auch Mustafa Yeneroglu, ein AKP-Abgeordneter, der in Deutschland aufwuchs und Stammgast im TV ist; er nennt Erdogan gern einen "lupenreinen Demokraten". Auch Fatih Zingal, Vorsitzender der Union Europäisch-Türkischer Demokraten – der Europa-Ableger der AKP – spricht bei Anne Will und Co. von Erdogans "grunddemokratischer" Politik. Die UETD hat dessen Auftritte hierzulande vorbereitet, auch die Kölner Großdemo hat sie organisiert.

Weniger öffentlichkeitswirksam agiert DITIB, der größte Islamverband des Landes. Er übt seinen Einfluss über Moscheen und Schulen aus: Gut 900 Gotteshäuser werden von Imamen aus der Türkei geleitet; sie werden vom Religionsamt Diyanet entsandt und bezahlt. In einigen Bundesländern ist DITIB für den Religionsunterricht zuständig; eine Praxis, die seit dem verhinderten Putsch überdacht wird. Wie wichtig Moscheen und Schulen in diesem politischen Spiel sind, zeigt auch das Vorgehen des türkischen Geheimdienstes. Dieser hat den deutschen Bundesnachrichtendienst laut Informationen des Spiegel aufgefordert, Dokumente über Anhänger und Einrichtungen des Islam-Predigers Fetullah Gülen zu übergeben und enge Mitarbeiter Güllens auszuliefern. Güller, der hinter dem Putschversuch stehen soll, ist ja über Schulen und Moschen aktiv.Weniger erfolgreich war bisher das "Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit", die erste Türken-Partei Deutschlands. Die Gruppe, die ebenso wie die AAD recht intransparente Verbindungen zur AKP hat, konnte seit 2010 keinen nennenswerten Wahlerfolg verbuchen. Remzi Arus Bündnis will nicht so ein Nischendasein fristen, sagt er – bei den Wahlen 2017 peilt er zehn Prozent an.

Realistisch ist das freilich nicht, selbst wenn viele der 1,4 Millionen wahlberechtigten Deutschtürken die Migrantenpartei wählen.

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