Einschnitte bei der Sozialhilfe

Einschnitte bei der Sozialhilfe
Die ÖVP will den Zugang für Flüchtlinge erschweren, weil die Kosten explodieren würden. Bislang macht sie nicht einmal ein Prozent der Sozialkosten aus.

Österreich ist zu attraktiv, unser Sozialsystem macht es arbeitsunwilligen In- wie Ausländern zu einfach, zu Geld zu kommen: Das ist die Grundhaltung, mit der die ÖVP angesichts der nach Österreich drängenden Flüchtlinge nun bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) zu Verschärfungen drängt.
Am Dienstag wiederholte ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka seine Kritik an Sozialminister Alois Stöger. Reformen seien dringend geboten, der SPÖ-Ressortchef aber leider ein mehrfacher Arbeitsverweigerer.
Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist die bedarfsorientierte Mindestsicherung? Und wer erhält sie?
Die BMS ist die Nachfolgerin der Sozialhilfe. Ziel ist, dass Bedürftige in allen Bundesländern auf einen Mindeststandard kommen. Für Einzelpersonen sind das derzeit 837 €, für Paare 1256 €, und pro Kind gibt es zusätzlich 150 €. Das ist jeweils der Maximalbetrag, wobei mit Ausnahme Kärntens alle Länder freiwillig höhere Zuschläge für Kinder auszahlen.
Für viele Bezieher ist die Mindestsicherung nicht das alleinige Einkommen, sondern nur ein Zuschlag zum geringen Lohn (z.B. Teilzeitbeschäftigte). Wer arbeitet, erhält nicht die volle Höhe. Im Durchschnitt gab es 2013 rund 320 Euro pro Monat.

Wie hat sich die Mindestsicherung in den vergangenen Jahren entwickelt?
Die Zahl der Bezieher ist seit Einführung auf 256.000 gestiegen – ein Plus von rund 45 Prozent (siehe Grafik). „Die Zunahme spiegelt auch den Anstieg der Arbeitslosigkeit wider“, sagt Caritas-Experte Alexander Machatschke zum KURIER. Wer wenig verdiene und dann den Job verliere, sei bei längerer Arbeitslosigkeit schnell ein Fall für die Mindestsicherung. Die staatlichen Kosten stiegen ebenfalls sukzessive: 2014 wurden 673 Millionen Euro für die BMS ausgegeben.

Könnten die Ausgaben für die Mindestsicherung das Sozialbudget überfordern?
Davon ist vorerst nicht auszugehen. 673 Millionen Euro sind absolut gesehen ein hoher Betrag. Gemessen an den gesamten Sozialausgaben, zu denen auch die Pensionen und die Gesundheitsversorgung gezählt werden, macht die Mindestsicherung aber nur 0,7 Prozent aus.

Welche Auswirkungen hat der Flüchtlingsstrom auf die Mindestsicherung?
Das Arbeitsmarktservice rechnet damit, dass 2016 rund 30.000 zusätzliche Asylberechtigte auf Jobsuche gehen. Der Großteil wird zumindest für einige Zeit Mindestsicherung beziehen. Ergo ist davon auszugehen, dass nicht nur die Zahl der Mindestsicherungsbezieher sprunghaft ansteigen wird. Noch steiler dürfte der Anstieg bei der Gesamtsumme der Auszahlungen sein: Denn während der durchschnittliche Bezieher pro Monat 320 Euro erhält – oft als „Aufdeckelung“ zum geringen Einkommen –, dürfte das Gros der Neu-Einsteiger die volle Höhe kassieren.

Sind die Sozialleistungen in Österreich ein zentraler Grund für Menschen aus Ländern wie Afghanistan oder Syrien, hierher zu flüchten?
Laut ÖVP ja. Die Sozialleistungen seien beispielsweise schon für bulgarische Staatsbürger angesichts des dortigen Durchschnittsverdienstes von 416 Euro im Monat ein Anreiz, arbeitslos in Österreich zu leben, argumentiert ÖVP-Mann Lopatka. Dem widersprechen etwa die Hilfsorganisationen. „Der Pull-Effekt, also dass attraktive Sozial-Systeme Menschen nach Österreich ziehen, klingt plausibel, ist aber nicht belegbar. Die meisten Menschen, die Krieg oder wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen entkommen, wollen unbedingt arbeiten“, sagt Caritas-Experte Machatschke. Das bestätigen auch Studien der OECD: Für Flüchtlinge zählt am meisten, wo sie mit einem fairen Asylverfahren rechnen können und wo sie (familiären) Anschluss haben. Das ist auch der Grund, warum im Sommer die Asylanträge in Österreich und Deutschland, die für ihre hohe Rechtssicherheit bekannt sind, rapide anstiegen, während sie in Frankreich trotz einer sozialen Mindestsicherung de facto unverändert blieben. Umgekehrt wollen viele Flüchtlinge nach Großbritannien – obwohl sie dort keine Sozialhilfe erwarten dürfen. Der Grund: Sie haben dort familiären Anschluss.

Wie würden sich der von der ÖVP geforderte Deckel und die Verschärfungen auswirken?
Rund zehn Prozent aller Haushalte wären betroffen. Da man 1500 Euro nur erreicht, wenn man Kinder hat, wären ausnahmslos Familien mit Kindern betroffen. Zusätzlich will die ÖVP Arbeitsfähigen, aber Arbeitsunwilligen sowie „Integrationsunwilligen“ (keine Bereitschaft, Kurse zu besuchen, etc.) die Sozialhilfe kürzen.

Wie gehen andere EU-Staaten mit den Sozialleistungen für Flüchtlinge um?
In Dänemark, das die Volkspartei als Vorbild definiert, werden die Sozialhilfeleistungen für alle halbiert, die in den vergangenen acht Jahren mindestens sieben Jahre nicht im Land waren. Diese Regel gilt für Dänen wie Ausländer, trifft aber vor allem Flüchtlinge – weil sie neu im Land sind.

SPÖ und ÖVP diskutieren, die BMS in die Verantwortung des Bundes zu übergeben? Warum und wozu?
Zum einen würde das eine Vereinheitlichung der Beträge bringen – bis dato gibt es ja nur einen Mindeststandard, den die Länder jedoch überbieten dürfen – und dies auch tun. Vor allem aber würde die Verwaltung vereinfacht, wenn nur noch eine Stelle – das Sozialministerium – zuständig wäre und nicht, wie jetzt, neun Landesstellen.

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