Eine Reise in die Erinnerung

Eine Reise in die Erinnerung
Bundespräsident Fischer empfing 80 Gäste des Jewish Welcome Service.

Jackie Young wurde im Dezember 1941 in Wien geboren, als er neun Monate alt war, kam er in das Konzentrationslager Theresienstadt. Seinen Vater hat er nie gekannt, seine Mutter wurde von den Nazis im Konzentrationslager ermordet. Nach der Befreiung Theresienstadts durch die Sowjetarmee wurde Jackie Young von einem jüdischen Ehepaar in London adoptiert.

Diese Woche reiste er mit seiner Frau aus dem Vereinigten Königreich nach Wien. Er gehört einer Gruppe von Holocaust-Überlebenden an, die auf Einladung des Jewish Welcome Service Vienna derzeit in Österreich sind.

Einige sind zum ersten Mal hier, andere kommen mit Kindern und Enkelkindern öfter nach Wien. „Die Musik hier ist wunderbar, wir waren bei einer Probe der Wiener Philharmoniker“, sagt eine Dame aus Israel. Drei Mitglieder der Philharmoniker mussten 1938 flüchten, einer wurde in Auschwitz hingerichtet.

Am Freitag empfing Bundespräsident Heinz Fischer die Gruppe mit 80 Teilnehmern aus Israel, den USA, Großbritannien, Peru und Australien in der Hofburg. Auf goldenen Stühlen saßen sie, zückten die Handys für ein Foto und hörten Fischer gespannt zu, als er ihnen auf Englisch über die Wahl und die bevorstehende Regierungsbildung berichtete. „Der Ausgang der Verhandlungen ist offen, aber es spricht vieles für eine Große Koalition.“

„Er konnte verzeihen“

Nach der Rede erzählt Hedy Argent von einem Kaffeehaus-Besuch, bei dem Wiener fürchterlich über die alte Regierung schimpften. „Ständig hörte ich, dass jemand kommen solle, der es besser macht. Diesen Satz habe ich vor 75 Jahren auch schon gehört.“

Frau Argent lebt in London, sechs Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges musste ihre Familie vor den Nazis flüchten. Ihr Vater, Max Otto Schnabl, war Rechtsanwalt in Schwechat. „Ich durfte nicht mehr in die Schule, mein Vater nicht mehr in seine Kanzlei. Er war aber sehr großzügig, und er konnte verzeihen.“ Auf die Frage, was sie empfindet, antwortet sie: „Die Leute von damals möchte ich nicht treffen. Es gab aber auch gute Menschen. Man kann immer gut sein.“ Sie redet gerne mit Schülern über Ursachen, Gräuel und Folgen des Faschismus. Auch in Wien war sie in einer Klasse. „Nie wieder! – das ist keine Worthülse.“

David Glesinger, ehemaliger Kicker und Fußballtrainer bei Maccabi Tel Aviv, ist ganz aufgekratzt. Seit mehr als 500 Jahren lebte seine Familie in Österreich. Er wurde Ende 1937 in Villach geboren, kurz davor bekam sein Vater als Anwalt Berufsverbot.

Die Glesingers mussten Österreich verlassen. Über Wien – die Gestapo war hinter der Familie her – ging es nach Holland, von dort nach Israel. „Mein Vater fand nie mehr in seinen Beruf zurück, er war Lastenträger und Nachtwächter und ließ sich immer mit Herr Doktor ansprechen. Das ist typisch österreichisch. Meine Mutter arbeitete auswärts, ich war als Kind jede Nacht alleine.“

„Sehr verletzt“

Vater Marzel Glesinger litt bis zu seinem Tod 1976 unter der Vertreibung. „Er war sehr verletzt, er fühlte sich immer als österreichischer Patriot. Für meine Eltern war Österreich alles.“ Als 1951 ein Brief kam, er möge doch zurückkehren, sagte er: „Meine Füße werden österreichischen Boden niemals betreten.“ Daran erinnert sich David Glesinger noch heute.

Er selbst ist gespalten. „Meine Wurzeln sind hier, mein Leben in Israel. Ich bin glücklich mit meiner Frau und den drei Kindern.“ Dass es eine Entschuldigung Österreichs für die Taten von damals gab, schätzt der diplomierte Reiseführer. „Ich habe schon einigen österreichischen Politikern Tel Aviv gezeigt.“

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