Ein Jahr Karenz "zu lang" in Dänemark

In Dänemark sind viele Kinder schon ab einem Jahr in einer Tagesbetreuungsstätte: Ministerin Karmasin machte sich ein Bild davon
Weil Familie und Beruf gut vereinbar sind, bekommen Frauen mehr Kinder als in Österreich.

Die kleine Freya macht es sich gerade auf einer Matratze neben dem Fenster gemütlich, als Besucher aus Österreich in ihre Kindergruppe kommen. Die Eineinhalbjährige starrt die Gäste an – so, als würde sie sich fragen: "Was wollen die denn da?" Lange scheinen sie die Geschehnisse aber nicht zu beeindrucken. Das blonde Mädchen schnappt sich ein Buch und tapst zu seiner Betreuerin, die es in den Arm nimmt. Die beiden wirken sehr vertraut.

Dass Kinder in Freyas Alter im Kindergarten sind, ist in Dänemark, einem der kinderfreundlichsten Länder weltweit, Usus. Eltern können nur ein Jahr bezahlt daheim bleiben. Daher kommen die meisten Buben und Mädchen mit zwölf Monaten in eine Tagesstätte. 93 Prozent aller Ein- bis Zweijährigen sind in Dänemark in Fremdbetreuung (Österreich: 19,5 Prozent).

Stößt sich niemand daran? "In Deutschland hatte ich immer das Gefühl, ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich meinen Sohn mit sieben Monaten in eine Krippe gegeben habe. In Dänemark ist das nicht der Fall", erzählt Agnes Kulesch, die in der Handelsabteilung der österreichischen Botschaft in Kopenhagen arbeitet.

Ein Jahr daheim ist lang

Uni-Professorin Marlene Wind kann das bestätigen. "Ein Jahr daheim in Karenz ist für uns lang. Bei uns ist es Konsens in der Gesellschaft, dass man sein Kind in eine Kindertagesstätte geben soll. Sie lernen dort sehr viel. Wenn sie nicht hingehen, bleiben sie zurück." Die Mutter zweier Buben (11 und 12 Jahre) war nur jeweils sechs Monate nach den Geburten zu Hause. Die übrigen sechs Monate übernahm ihr Mann.

Wie schaffen es die Eltern, ihre Sprösslinge bis spätestens 17 Uhr, wenn die meisten "Day Cares" schließen, abzuholen? Schließlich arbeiten die Däninnen durchwegs Vollzeit. "Es gibt Flexibilität und Verständnis für Familien", sagt Marlene Wind. Anwältin Alexandra Huber ergänzt: "Es geht nicht darum, wie lange man am Schreibtisch sitzt. So lange du deine Leistung erbringst, fragt niemand, wo du das machst." Der Sohn der geschiedenen Juristin lebt abwechselnd bei Mutter und Vater. Wenn der Neunjährige beim Papa ist, arbeitet die gebürtige Grazerin länger. Ist er bei ihr, geht sie früher aus dem Büro. Das tut auch Manu Saaren, der dänische Minister für Kinder, Gleichstellung und Integration. Der 47-Jährige schilderte Österreichs Familienministerin Sophie Karmasin bei einem Treffen in Kopenhagen, dass er oft um 17 Uhr das Ministerium verlasse, um das Abendessen zu kochen.

"In Dänemark kann man lernen, was es heißt, familienfreundlicher zu werden", meint auch Österreichs Botschafter in Kopenhagen, Ernst-Peter Brezovszky.

Das schlägt sich in einer hohen Geburtenrate nieder. In Dänemark liegt sie bei 1,8 Kindern pro Frau (Österreich 1,4).

Da mag mitspielen, dass es für die Betreuung ausreichend Personal gibt. Im Schnitt sei in Dänemark eine Pädagogin für vier unter Zweijährige bzw. für zehn Drei- bis Sechsjährige zuständig, berichten Experten. Der Betreuungsschlüssel hat freilich seinen Preis. Eltern müssen für die Kleinen (0 bis 2 Jahre) rund 400 Euro pro Monat hinblättern, für die Größeren (3 bis 6 Jahre) rund 220 Euro. Wer wenig verdient, zahlt aber weniger oder gar nichts.

Keine Radikallösungen

Die hohen Kinderbetreuungskosten missfallen Karmasin. Was sie hingegen nachahmenswert findet, ist "die Flexibilität. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat einen hohen Stellenwert in Dänemark. Und die Väter bringen sich mehr ein." Das sollte in Österreich ebenfalls der Fall sein (siehe Interview). Sollten Kinder schon mit einem Jahr in Krippen kommen? Da wiegelt die Ministerin ab: "Man kann keine Radikallösungen anstreben." Zumindest ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für alle Zweijährigen ist für die Ressortchefin aber "langfristig gut vorstellbar".

KURIER: Frau Minister, die Däninnen gehen ein Jahr nach der Geburt wieder arbeiten. Streben Sie das für Österreich auch an?

Sophie Karmasin: Das muss jeder selbst entscheiden. Aber jede Studie belegt, ein früherer Wiedereinstieg bringt bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und ist besser für die Pension. Im Falle einer Scheidung stellt es eine bessere Absicherung dar. Zudem gibt es weniger Kinderarmut, wenn beide Elternteile arbeiten.

In Dänemark gibt es ein Recht auf einen Betreuungsplatz ab 6 Monaten. Sollte es das bei uns zumindest ab 2 Jahren geben?

Langfristig kann ich mir das gut vorstellen. Daher muss sich Österreich darauf einstellen, dass wir ab zwei Jahren flächendeckend nach Bedarf Kinderbetreuung zur Verfügung stellen. Derzeit gibt es für 46 Prozent der Zweijährigen Plätze, in Dänemark sind es mehr als 90 Prozent.

Das Kindergeld soll reformiert werden. Wie lange soll man künftig daheim bleiben können?

Es spricht vieles für eine Angleichung der Karenz an die Kindergeld-Bezugsdauer, um zu vermeiden, dass man länger Betreuungsgeld bezieht, als man arbeitsrechtlich geschützt ist. Das ist aber offen zu diskutieren. (Kindergeld kann eine Person derzeit zweieinhalb Jahre beziehen, Kündigungsschutz fällt nach zwei Jahren).

Sie wollen einen Partnerschaftsbonus einführen. Was soll das sein?

Wenn sich die Eltern die Karenzzeit 50 zu 50 aufteilen, soll es einen Bonus geben. Dadurch soll die Väterbeteiligung erhöht werden, und die Familien sollen dafür finanziell belohnt werden. Wie hoch der Bonus sein soll, ist noch mit dem Koalitionspartner zu diskutieren.

In Dänemark gibt es mehr Betreuer in Kindergärten. Sollte man einen Schlüssel vorgeben?

Wir bieten ab jetzt Zuschüsse zu den Personalkosten, wenn der Betreuungsschlüssel 1:4 bzw 1:10 erfüllt wird (ein Betreuer für vier unter Dreijährige; bzw. einer für zehn unter Sechsjährige).

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