"Unsere Gegner sind Nationalisten, die Europa zerstören"

Bundeskanzler Werner Faymann
Der neue Vizekanzler Reinhold Mitterlehner kann kurzfristig für seine ÖVP Boden gutmachen. Bundeskanzler Werner Faymann sieht das noch gelassen und gibt den vermittelnden Außenpolitiker.

Es sieht ein wenig so aus, als würden Kanzler und Außenminister darum buhlen, im Ukraine-Konflikt vermitteln zu dürfen. Beide bestreiten das. Aber trotz neuerlicher Waffenruhe wird es ohnehin noch viele Gespräche für einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine brauchen. Bundeskanzler Faymann wird schon bald nach Kiew reisen.

KURIER: Herr Bundeskanzler, haben Sie nach Ihrem Telefonat mit Präsident Putin am Donnerstag einen klareren Eindruck, welche Ziele er in der Ukraine verfolgt?

"Unsere Gegner sind Nationalisten, die Europa zerstören"
Bundeskanzler Werner Faymann im Interview im Bundeskanzleramt. Wien, 08.05.2014
Werner Faymann:Wenn man in jemanden hineinschauen könnte, wären Verhandlungen einfacher. Man könnte besser unterscheiden zwischen Worten und innerer Einstellung. Aber im Vergleich zum letzten Gespräch in Wien habe ich das Gefühl, dass er positiver zum Friedensprozess eingestellt ist. Er hat mir gesagt, er habe einiges zur Grenzsicherung unternommen.

Ist der Frieden nähergerückt?

Bei so einem Prozess gibt es Fortschritte, aber man muss sich auch auf Rückschläge einstellen. Es wäre blauäugig zu glauben, dass in einem Monat alles vorbei ist.

Laut Medienberichten hat er dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko gedroht, er könne in wenigen Stunden mit Truppen in europäischen Hauptstädten sein. Trauen Sie Putin das zu?

Da muss er völlig anders geredet haben als mit mir. Er war höflich und hat von sich aus Wien grundsätzlich als guten Verhandlungsort genannt.

Er hat aber nicht gesagt, dass er einen Friedensgipfel in Wien will, wie eine Gratiszeitung geschrieben hat?

Nein. Richtig ist, dass Wien ein geeigneter Ort wäre, wenn es Friedensgespräche gibt.

Hat Putin zugegeben, dass russische Soldaten in der Ukraine stehen?

Nein, er hat gesagt, es sei nicht ganz einfach, Grenzen zu kontrollieren, er will aber die Grenzkontrollen verstärken. Ich glaube, dass die EU mit ihrer Sprachregelung "keine Soldaten in einem fremden Land" schon eine gewisse Wirkung erzielt hat. Das Schlimme ist aber, dass durch den Krieg der ganze Wirtschaftsraum verunsichert ist. Es gibt die humanitären Katastrophen, die schrecklich sind, und die ganze Region ist verunsichert worden. Und das kostet jetzt bei unserem ohnehin geringem Wirtschaftswachstum noch einmal wirtschaftliche Möglichkeiten.

Gerade deshalb wirft Ihnen die FPÖ vor, dass die wirtschaftlichen Sanktionen falsch sind, weil sie uns schaden.

Naja, die FPÖ hat ja eine rein russische Position. Wir sind aber weder Russland noch der NATO verpflichtet, sondern unserer Wertehaltung. Wenn jemand über unsere Grenzen Panzer rollen lässt, würden wir uns wehren, aber auch auf Solidarität bauen. Österreich hat die Freiheit und Unabhängigkeit eines Landes zu verteidigen. Das sind wir unseren Müttern und Vätern schuldig, die die Unabhängigkeit Österreichs erreicht haben.

Die russische Wirtschaft spürt die Sanktionen, aber beeindrucken sie auch Präsident Putin?

In meinem Gespräch mit Putin waren Sanktionen kein Thema. Aber ich halte generell die Sanktionsliste für überschätzt, weil ja nur vier Prozent der Österreichischen Exportgüter nach Russland betroffen sind. Wir müssen uns als europäische Union politisch dagegen wehren, dass die Souveränität eines Landes missachtet wird. Das ist unsere Verpflichtung, wenn man sich in den Spiegel schaut. Gerade wir sind in der Tradition Bruno Kreiskys verpflichtet, dafür zu sorgen, dass auch andere in Freiheit leben können.

Auch der Unternehmer Haselsteiner sagt, dass die Sanktionen richtig, weil alternativlos sind, er wirft aber in einem Interview im heutigen KURIER der NATO vor, dass sie 1994 den Russen versprochen habe, in Osteuropa keine Waffen zu stationieren, es dann aber doch gemacht habe.

Auch Österreich hat eine Reihe von Kritikpunkten an der NATO. Wir waren auch immer gegen Waffenlieferungen in Länder, wo später Diktatoren diese Waffen bekommen haben. Wir wollen nicht Mitglied der NATO werden.

Aber die Amerikaner mischen sich in der Ukraine ein.

Ich bin gegen jede militärische Einmischung in dem Konflikt, halte auch nichts von Manövern in der Region. Aber die Europäische Union muss sich auch ohne NATO und Amerikaner dagegen wehren, dass russische Panzer in die Ukraine rollen.

Sie treffen bald den ukrainischen Präsidenten Poroschenko. Werden Sie ihm die Hilfe von österreichischen Juristen für die Erstellung einer neuen föderalen Verfassung anbieten?

Wir können jede Expertise anbieten, gerade auch unsere gute Erfahrung mit der Neutralität. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass Poroschenko in diese Richtung nachdenkt. Ich glaube, dass die Ukraine bisher eher auf den Schutz der NATO hofft. Ich werde versuchen, Poroschenko davon zu überzeugen, dass auch die Neutralität Schutz bieten kann.

Kurz zu Schottland: Haben Sie sich über das knappe Nein zur Unabhängigkeit gefreut?

Ich habe immer gesagt, das entscheiden die Schotten ganz alleine.

Aber jetzt, wo die Unabhängigkeit abgelehnt wurde, könnten Sie sich darüber freuen.

Der Zusammenhalt war doch stärker als das Trennende. Und das unterstütze ich in der Politik.

Sind Sie deshalb außenpolitisch so aktiv, weil es zu Hause wenig zu holen gibt? Der neue Finanzminister Schelling meint etwa, dass die Steuerreform erst 2016 in Kraft tritt.

Vereinbart ist, dass wir im März 2015 einen gemeinsamen Vorschlag für die Steuersenkung fertig haben werden. Die soll im Juni im Parlament diskutiert werden, und ich will, dass sie dann sofort in Kraft tritt.

Kann es auch sein, dass ein Teil davon erst 2016 in Kraft tritt?

Ja, natürlich. Aber der Start für die Steuerreform muss im Jahr 2015 sein.

Der ÖGB will eine Gegenfinanzierung in der Höhe von zwei Milliarden durch Vermögenssteuern. Realistisch?

Schauen wir uns die Schweiz an, dort gibt es vermögensbezogene Steuern. Mit dem Schweizer Modell hätten wir mehr als zwei Milliarden vermögensbezogene Steuern.

Aber in manchen Kantonen liegt dort die Einkommenssteuer bei 15 Prozent. Versprechen Sie das auch?

Nein, das verspreche ich nicht. Aber die Richtung stimmt, dass man die Arbeit entlastet. Wir können es doch nicht belohnen, wenn man Vermögen arbeiten lässt, und bestrafen, wenn Menschen arbeiten. Diskussionen über die Perlenkette der Großmutter sind kindisch. In der Schweiz hat niemand Angst um seine Perlenkette. Auch das CDU-geführte Deutschland hat Erbschafts- und Vermögenssteuern.

Ja, aber mit Ausnahmen für die Betriebe.

Natürlich, ja bitte, das ist ja auch notwendig. Alles,was unternehmerischen Geist und Arbeit unterstützt, ist mehr wert, als nur mit Geld zu spekulieren. In Deutschland regieren ja auch keine revolutionären Umstürzler, das ist eine Frage der Gerechtigkeit.

Die Steuerreform wird ein Thema bei der Regierungsklausur Ende September. Was sind die anderen?

Bildung und die Frage, wo man sinnvoll sparen kann. Das klingt so selbstverständlich, jeder will, dass sinnvoll gespart wird.

Ja, aber nicht bei mir.

(lacht) Ja, genau, und das erschwert die Diskussion. Immer, wenn jemand etwas nicht bekommt, beginnt sofort der Aufschrei. Dann heißt es sparen ja, aber nicht bei mir. Aber genau da haben wir eine Menge gemeinsam mit dem Rechnungshof vor.

Der neue ÖVP-Chef Mitterlehner hat in allen Umfragen einen furiosen Start und nach dem OGM-Vertrauensindex liegen die ÖVP-Minister generell besser als die SPÖ-Minister. Macht Ihnen das Sorge?

Nein, im Gegenteil, mich hat besorgt, als es hieß, die ganze Regierung würde nicht funktionieren, weil es Schwierigkeiten mit der ÖVP gab. Ich freue mich, wenn es aufwärts geht. Einmal sind die stärker, einmal die anderen. Das Team muss gewinnen, als Regierungschef bin ich verantwortlich.

Das heißt, Sie und die ÖVP spielen im selben Team. Aber wer ist der Gegner?

Eine Wirtschaftskrise, die viele Menschen dazu veranlasst, auf die ganze Politik zu schimpfen. So kann eine Stimmung für rechte Parteien entstehen, die mit glatten Lügen arbeiten, die Mauern um Länder bauen wollen, und behaupten, Isolation sei eine Lösung. Das ist eine Lüge. Unsere Gegner sind Nationalisten, die eine Zerstörung des gemeinsamen Europas vorhaben.

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