Haben Wirtschaftsforscher versagt?

Haben Wirtschaftsforscher versagt?
Experten üben Selbstkritik und kündigen Konsequenzen an.

Josef Pröll, damals noch Finanzminister, staunte nicht schlecht, als er in seiner Postmappe den Brief eines führenden Wirtschaftsforschers vorfand. Es handelte sich um eine Intervention, die Förderungen für das entsprechende Wirtschaftsforschungsinstitut nicht zu kürzen. „Dieselben Leute, die mir jeden Tag über die Zeitung ausrichten, wo ich sparen soll, schreiben mir, dass ich sie verschonen soll“, kommentierte Pröll mit bitterem Lachen.

Haben Wirtschaftsforscher versagt?
Interview mit Dr. Ulrich Schuh, wissenschaftlicher Vorstand von EcoAustria, am 14.08.2013 in Wien.
Der Vorfall illustriert das verzwickte Verhältnis sehr gut: Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO und das Institut für Höhere Studien IHS hängen am öffentlichen Fördertopf. Sie sollten im Dienste der Steuerzahler agieren, am Gelddrücker sitzt jedoch das Finanzministerium. Und so kam es, dass die Experten die Budgettrickserei der Regierung vor der Wahl nicht deutlich machten.

„WIFO und IHS sind so etwas wie offizielle Verlautbarungsstellen. Dort fehlt die Bereitschaft, sich kritisch mit dem Zahlenwerk der Regierung auseinanderzusetzen, was dann die verunglückte Vorgangsweise der Regierung ermöglichte“, sagt Ulrich Schuh, Chef des regierungsunabhängigen Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria. Sein Institut sei von der Industriellenvereinigung extra gegründet worden, „um dem absolutistischen Treiben in diesem Land etwas Einhalt zu gebieten“. Das WIFO müsse ja sogar seine Wirtschaftsprognosen vor der Veröffentlichung dem Finanzministerium vorlegen und erklären, sagt Schuh.

Haben Wirtschaftsforscher versagt?
Margit Schratzenstaller,Wifo
Letzteres dementiert WIFO-BudgetexpertinMargit Schratzenstallerund rückt auch sonst zur Ehrenrettung des WIFO aus. Das WIFO habe mehrfach auf „Risken und Gefahren“ für die Staatsfinanzen hingewiesen. Aber wahrscheinlich wäre es besser gewesen, diese Warnungen mit Zahlen zu belegen und nicht nur verbal zu umschreiben, meint Schratzen-staller selbstkritisch. Sie will aus dem peinlichen Vorfall jedenfalls Lehren ziehen: Künftig will sie die alljährliche Finanzvorschau einer „institutionalisierten Analyse unterziehen“, sprich: die Finanzvorschau des Ministeriums fundiert, öffentlich und schriftlich bewerten. Darüber hinaus fordert sie, dass im jährlichen Strategiebericht des Finanzministeriums „Risiken und Gefahrenszenarien explizit angeführt und dargelegt werden.“

Es war die Finanzvorschau im Frühjahr dieses Jahres, an der sich die Trickserei der Regierung dingfest machen ließ: Schuh und Schratzenstaller machten im Zuge des Kassa-sturzes publik, dass die Regierung veraltete Zahlen verwendet hatte, um den Weg zum Nulldefizit 2016 als geebnet erscheinen zu lassen.

Haben Wirtschaftsforscher versagt?
Der KURIER kann mit Zahlen belegen, wie hier vor der Wahl geschummelt wurde: Im Jänner 2013 hat das WIFO die mittelfristige Wachstumsprognose für die Jahre 2014, 2015 und 2016 auf durchschnittlich 1,87 Prozent gesenkt. Anstatt die Finanzvorschau an diese aktuelle Prognose anzupassen, beließ es die Regierung bei der alten: Im Jänner 2012 hatte das WIFO für die betreffenden Jahre noch 2,1 Prozent Wachstum vorhergesagt (siehe Tabelle).

Die Selbst-Verteidigung von Finanzministerin und Regierungsspitze, das WIFO habe erst jetzt, im Oktober nach der Wahl, die Konjunkturprognose drastisch nach unten korrigiert, ist erneut unrichtig. „An unserer Mittelfrist-Prognose hat sich von Jänner bis Oktober nicht viel geändert“, sagt Schratzen-staller. Auch Ulrich Schuh bestätigt: „Die Mittelfristprognose, die das WIFO im Oktober vorlegte, liegt bei 1,8 Prozent.“ Die Regierung hält die aktuellen Prognosen bis dato unter Verschluss.

Eine kühne Mischung aus Methodenstreit und Polit-Akrobatik führte dazu, dass dem verblüfften Steuerzahler letztlich ein Zahlensalat von 18, 24, 31 oder 40 Milliarden Fehlbetrag aufgetischt wurde.

Die wahre Dramatik dahinter deutet als erster Politiker Kanzler Werner Faymann im KURIER-Interview an. Österreich braucht wegen seiner vermutlich dramatisch ansteigenden Schuldenquote raschest ein Nulldefizit. Das ist auch der Grund, warum uns die EU ein Nulldefizit bereits 2015 ans Herz legt.

Schulden steigen

Die Schuldenquote könnte deutlich über 80 Prozent hinaufschnalzen, wenn 2014 ÖBB-, BIG- und vor allem Hypo-Haftungen in die Staatsschulden fallen. Vor zwei Jahren, als die Deutschen wegen ihrer Bad Bank auch auf 80 Prozent Schuldenquote hochschnellten, wäre Österreich nicht so aufgefallen. Doch während unsere Regierung das Hypo-Problem immer noch verschleppt und vertuscht, bauen die Deutschen die Schulden bereits ab (2012: 78 %). Folge: Österreich steht nun allein in der Auslage. Das könnte sich negativ auf die Zinsen für die Staatsschulden auswirken.

Wir zahlen jetzt, bei historisch niedrigem Zinsniveau, rund acht Milliarden jährlich. Schuh: „Wenn da ein Risikoaufschlag drauf kommt, wird’s ungemütlich.“ Österreich kann der Gefahr begegnen, indem es beweist, dass das Budget in Ordnung ist und aus diesem Titel keine neuen Schulden dazu kommen. Schuh: „Mit dem Wirtschaftswachstum wächst man aus der Schuldenquote relativ rasch heraus. Aber dazu braucht man jedenfalls ein Nulldefizit.“

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