Blinde als Richter: Pilotprojekt

Blinde als Richter: Pilotprojekt
In Deutschland gibt es bereits 70 nichtsehende Richter in allen Sparten.

Österreich hat die UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert und sich verpflichtet, entsprechende Gesetze zu schaffen, die Behinderten die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft und damit auch am Berufsleben ermöglichen. So weit die Theorie: Dass es in der Praxis alles andere als barrierefreien Zugang zum Arbeitsmarkt gibt, zeigte eine Enquete am Freitag zum Thema "Diversity - Menschen mit Behinderungen in Rechtsberufen", die in Zusammenarbeit zwischen den Vertretungen aller Rechtsberufe und dem Forschungsinstitut für Rechtsentwicklung der Universität Wien veranstaltet wurde.

Ein viel diskutiertes Kernproblem: Das Justizministerium erachtet es bisher als nicht möglich, blinde und sehbehinderte Juristen als Richter zuzulassen. Die Begründung: Sie seien nicht geeignet, weil "Beweise unmittelbar - mit allen Sinnen - aufzunehmen sind", wie es Walter H. Rechberger vom Forschungsinstitut für Rechtsentwicklung in seinem Statement formulierte. Vor allem auf Lokalaugenscheine zielt dieses Argument ab. Der Zugang zu klassischen juristischen Berufen sei damit "nicht oder nur sehr schwer möglich". Rechberger konstatierte, dass man hier im universitären Bereich schon weiter und nannte andere Prüfungsvariationen, aber auch bauliche Maßnahmen am Juridicum für Barrierefreiheit als Beispiele.

Vorbild Deutschland

In anderen Ländern denkt man schon anders. Der Generalstaatsanwalt von Paris, Francois Falletti, ist blind. In Deutschland gibt es bereits 70 nichtsehende Richter in allen Sparten. Eine von ihnen ist Petra Bungart, die am Amtsgericht Duisburg tätig ist. "Die Bedenken kann ich richtig gut nachvollziehen, weil sie von Sehenden ausgesprochen werden." Ihre Wahrnehmung sei aber anders: Sie taste, schreite Entfernungen ab, lasse sich beschreiben und müsse außerdem ohnehin verbalisieren, was sie gesehen habe.

Bungart betonte, dass sie mehr Lokalaugenscheine durchführe als viele ihrer Kollegen und dass die Verhandlungsparteien immer dabei seien. "Ich hatte eine Mietsache, es ging um Schimmel an der Wand. Ich bin hingegangen und ließ mir von den Parteien beschreiben, wie der Fleck aussieht, welche Größe und welche Farbe hat er. Mein Referent ist ohnehin dabei." Dazu kommen Hilfsmittel wie entsprechende Braille-Computer, aber auch eine persönliche Assistenz.

Alexander Niederwimmer, blinder Polizeijurist der Landespolizeidirektion Oberösterreich, ergänzte: "Man ist ja nicht alleine dort. Es geht darum, entsprechende Informationen zu sammeln. Kommissionierungen dauern natürlich länger, aber sie sind auch genauer. Die Kriminalbeamten sagen oft, darauf haben wir gar nicht geachtet, wenn ich entsprechende Fragen stelle."

Die Vertreter der Gerichtsbarkeit sind dafür, Behinderten den Zugang zu ihren Berufen zu ermöglichen. Gerhard Jarosch, Präsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte: "Wir haben noch einen anderen Zugang." Wegen des gleichen Anforderungsprofils gebe es auch keine blinden Staatsanwälte in Österreich. "Ich glaube, wir sollten alle Barrieren wegräumen", sagte Jarosch. Zusätzliche Anschaffungen für Sehbehinderte seien "Peanuts".

Ähnlich Werner Zinkl, Präsident der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter: Es gebe das Prinzip der Unmittelbarkeit als Ausschließungsgrund. "Aber wie man sieht, geht das." Er kritisierte, dass es im Richterstand derzeit auch keine Möglichkeit gibt, der Arbeit teilausgelastet nachzugehen.

Pilotprojekt

Hoffnung macht ein Pilotprojekt, das im Nationalrat als Entschließungsantrag realisiert wurde. Im Bereich des Bundesverwaltungsgerichts wird bei einem Richter ein Arbeitsplatz für eine blinde oder sehbehinderte Person eingerichtet. Harald Perl, Präsident des Bundesverwaltungsgerichts: "Wir haben viele theoretische Grundlagen, aber die praktische Erfahrung fehlt." Es gehe darum, in der Praxis zu erfahren, welche Herausforderungen es gebe und was gebraucht werde.

Signale für ein Umdenken im Justizministerium sendete Georg Kathrein, Sektionschef der Zivilrechtssektion im Ressort, aus. "Beharrende Kräfte gibt es bei uns, ja natürlich. Ich glaube, man sollte sich auf das Abenteuer einlassen."

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