"Angst ist der Treibstoff des Rechtspopulismus"

"Was uns 70 Jahre nach der Shoah immer noch fehlt, ist eine Kultur des Mitgefühls. In diesem emotionalen Vakuum kann sich die Unkultur des Hasses breit machen": Maximilian Gottschlich
Kommunikationswissenschaftler Maximilian Gottschlich über die Strache-FPÖ und die sozialen Medien.

KURIER: Herr Professor, die Strache-FPÖ sprengt bei Wahlen alles bisher Dagewesene. Wie ist das zu erklären?

Maximilian Gottschlich: Wir befinden uns in einer Situation, die man mit Fug und Recht als Zeitenwende bezeichnen kann. Dieser Epochenwandel bildet den eigentlichen Hintergrund für die Erfolge der rechtspopulistischen Parteien. Strache profitiert weniger vom Versagen der Altparteien, als viel mehr von dieser rechtspopulistischen Welle, die ganz Europa erfasst hat. Mit den Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten ist Europa endgültig in den Weltkonflikten angekommen. Beides, der Epochenwandel und die Konfrontation mit den Brandherden der Weltpolitik, sind Quellen von Unsicherheit und Angst. Und die Angst der Menschen ist der Treibstoff für den Rechtspopulismus.

Bestehen die Ängste zu Recht oder sind sie irrational?

Maximilian Gottschlich: Es gibt gute Gründe für Ängste, und es gibt die inszenierte Angst. Der Rechtspopulismus ist erfolgreich dabei, Angst zu inszenieren. Rechtspopulisten sind daher nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Nichts braucht Europa weniger als ein Klima des Hasses, der Angst und der kulturellen Diskriminierung, die wieder neuen Hass hervorbringt. Die Rechten geben zwar vor, Europa und das christliche Abendland retten zu wollen, aber in Wirklichkeit schwächen sie Europa, weil sie mit Angst und Hass operieren. Wer für die hunderttausenden Menschen, die aus der Repression fliehen, nichts anderes als Repression bereithält, der verliert diese Menschen und arbeitet letztlich dem radikalen Islam in die Hände. Gerade Europa muss für diese Menschen der erkennbare Gegenentwurf sein zu allem, was sie zur Flucht gezwungen hat.

Was folgt daraus?

Maximilian Gottschlich: Das christliche Europa muss alles tun, um diese entwurzelten Muslime zu integrieren und die Voraussetzung zu schaffen, dass ein europäischer Islam entsteht, der die einzige mögliche Antwort auf den radikalen Islamismus ist. Die Alternative wäre die islamistische, radikale Parallelgesellschaft, die auf einen Kulturkampf zusteuert. Durch seine Politik der Abschottung und Ausgrenzung bewirkt der Rechtspopulismus gerade das, wovor er warnt.

Wie viel Fremdenfeindlichkeit mischt sich denn unter die verständlichen Ängste vor einer unsicheren Zukunft?

Maximilian Gottschlich: Die Angst vor dem Fremden ist eine menschliche Grundkomponente. Sie ist eine eher diffuse Angst. Konkreter ist die Angst vor dem radikalen Islam, der in den vergangenen Jahren eine Blutspur durch Europa gezogen hat. Das hat in Europa zu wachsender Fremdenfeindlichkeit geführt. Diese Angst hat also einen realen Kern. Denn der Islam hat ein Gewaltpotenzial, das von manchen ausgelebt wird. Die Fremdenfeindlichkeit besteht darin, dass man dieses Merkmal einer Gruppe allen Moslems zuschreibt.

Warum radikalisieren sich auch gut situierte Leute, die keine Job-Angst haben müssen?

Maximilian Gottschlich: Die Angst vor dem Verlust des erworbenen Wohlstands ist unabhängig vom Einkommen. Es ist der Neid. Die Flüchtlinge werden als "nutzlos" angesehen, als eine Gruppe, die nichts zum gesellschaftlichen Wohlstand beiträgt. Im Gegenteil: Sie bekommen etwas, wofür sie nichts geleistet haben. Viele haben Angst, dass ihnen etwas genommen wird, sie haben Angst vor dem Mangel. Davon sind aber nicht nur die Muslime betroffen.Denn der Hass speist sich nicht nur aus der irrationalen Furcht vor dem Mangel, sondern auch aus der Enttäuschung, nicht all das haben zu können, was man sich wünscht. Für all das, was man im Leben nicht erreicht hat, sucht man einen Sündenbock. Und das ist seit Alters her "der Jude". Der Antisemitismus kommt aus derselben Quelle des Begehrens wie der Neid gegenüber Flüchtlingen. Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise ist der Treibsatz dafür.

Lange hat man geglaubt: Wenn die alten Nazis gestorben sind, und die Bildungsoffensive der 70er-Jahre greift, wird der Hass abnehmen. Warum funktioniert das nicht?

Maximilian Gottschlich: Fremdenhass und Antisemitismus sind immun gegen rationale Argumente. Sie sind tief verwurzelte Emotionen. Was uns immer noch, 70 Jahre nach der Schoah, fehlt, ist eine Kultur des Mitgefühls. Man hat sich nach dem Krieg auf den materiellen Wiederaufbau beschränkt, der psychische Wiederaufbau aber unterblieb. In diesem emotionalen Vakuum kann sich die Unkultur des Hasses breitmachen. Wir haben es heute mit einem sich vereisenden sozialen Klima zu tun. Statt mit Mitgefühl für Opfer reagieren wir mit kollektivem Egoismus.

Welche Rolle spielt Facebook, wo Strache sehr präsent ist ?

Maximilian Gottschlich: Soziale Medien sind keine Medien des rationalen Diskurses, es sind Affektmedien, die der Artikulation und der Mobilisierung von Gefühlen dienen. Sie sind Mittel der Affektabfuhr. Man könnte sagen, dass darin auch ein therapeutisches Potenzial für die "Hass-Gesellschaft" liegt. Rechtspopulisten wie Strache spielen auf dieser Klaviatur der negativen Gefühle.

Wenn Politiker direkt über die sozialen Medien kommunizieren, welche Rolle bleibt den traditionellen Medien?

Maximilian Gottschlich: Politische Kommunikation soll gerade in Wahlkampfzeiten auch zur rationalen Urteilsbildung verhelfen. Im ständigen Meinungsgewitter der sozialen Medien wird das jedoch erschwert. Denn in sozialen Medien geht es primär um Dauerpräsenz, Affekte und Mobilisierung. Der politische Raum wird nicht durch den Diskurs der Argumente gebildet, sondern durch Flashmob und Shitstorm. Die Anonymität im Netz tut ihr Übriges dazu: Der Respekt für den anderen und die Verantwortung für die eigenen Worte gehen verloren. Sowohl Respekt als auch Verantwortung sind aber wesentliche Kriterien für gelingende Kommunikation. Ohne Zweifel eröffnen die digitalen Medien neue Möglichkeiten politischer Partizipation, der Preis dafür aber ist die Banalisierung des öffentlichen Diskurses. Daraus ergibt sich für die traditionellen Medien eine zentrale Aufgabe: Sie müssen mehr denn je den Menschen helfen, in der Informationsflut zu überleben, indem sie zur Sinnfindung beitragen.

Buchtipp:Maximilian Gottschlich. "Unerlöste Schatten. Die Christen und der neue Antisemitismus." Verlag Wien: Ferdinand Schöningh, 227 Seiten, 19.90 €

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