Als die Freiheit kam "wurden wir wieder Menschen"

Hein Fischer hielt beim "Fest der Freude" eine Rede.
In einem Staatsakt gedachte die Regierung der Kapitulation der Nazis am 8. Mai 1945. Am Abend ging das "Fest der Freude" über die Bühne.

Er überlebte vier Vernichtungslager der Nazis, am 11. April 1945 wurde Marko Feingold von amerikanischen Truppen aus dem KZ Buchenwald befreit. Der Ende Mai 102-Jährige war am Freitag Festredner beim Staatsakt der Bundesregierung aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung vom Terror der Nazis und der Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa. Am 8. Mai 1945 kapitulierte die Wehrmacht bedingungslos.

Im Kongresssaal des Bundeskanzleramtes war es absolut still als Feingold, der amtierende Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg, seine Erinnerungen schilderte. "Es waren qualvolle Jahre, in denen man morgens nicht gewusst habe, ob man am Abend noch lebt." Dann kam die Befreiung, es war "keine Selbstbefreiung", betont Feingold. "Nun konnten wir uns frei bewegen. Wir waren nicht mehr Nummern oder Juden, sondern wir waren wieder Menschen." Wirklich frei fühlte er sich aber erst 1948, als der Staat Israel gegründet wurde. Die Festgäste würdigten durch anhaltenden Applaus die Aussagen Feingolds (im Bild mit Heinz Fischer).

Als die Freiheit kam "wurden wir wieder Menschen"
Festakt anlässlich der Befreiung vom Nationalsozialismus

Europa als Antwort

Bundeskanzler Werner Faymann zeigte sich in seiner Ansprache dankbar gegenüber den Zeitzeugen, die unermüdlich in zahlreichen Diskussionen erklären, wie Faschismus, Rassismus und Antisemitismus zu verhindern seien und "Demokratie die beste Staatsform" (Feingold) sei. "Wir verneigen uns heute vor all jenen, die Österreich befreit haben und vor allen Österreichern, die vom Nationalsozialismus verfolgt wurden." Faymann hob besonders die "unvorstellbaren Opfer der jüdischen Bevölkerung" hervor.

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hinterfragte in seiner Rede, warum der 8. Mai jahrzehntelang als Tag der Niederlage gegolten habe und zitierte als Antwort den ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: "Sich wahrheitsgemäß zu erinnern, tut oft weh." Die "beste Antwort auf die Schreckensherrschaft und den Zweiten Weltkrieg war in Europa sicher die Gründung der EU", sagte der Vizekanzler. Die Geburtsstunde der EU ist der 9. Mai 1950.

Neue Gedenkkultur

Am Rande des Festaktes verlangte Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, in einer Presseaussendung eine rasche "Neuausrichtung der Gedenkkultur" am Heldenplatz. Das Äußere Burgtor sollt nicht mehr der Ort sein, an dem "Ewiggestrige die Niederlage des Nationalsozialismus bedauern".

Als Höhepunkt des „Festes der Freude“ sprach Bundespräsident Heinz Fischer Freitagabend zu den mehr als 15.000 Tausend Teilnehmern am Heldenplatz. Fischer mahnte in seiner Rede, „der Geschichte ins Auge zu sehen. Der 8. Mai 1945, der Tag der Kapitulation Großdeutschlands, ist eine Zäsur: Vorher gab es Massenmord und Diktatur, nachher den Aufbau der Demokratie“.

Eindringlich waren auch die Reden von Bundeskanzler Werner Faymann („am 8. Mai wurde der Grundstein für Europa gelegt“) und von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner („der 8. Mai ist ein Mahnmal gegen Radikalismus, Hetze und Gewalt“). Unter die Haut gingen die Worte der Zeitzeugin Helga Emperger: „Der 8. Mai 1945 war für mich der prächtigste Sonnenaufgang nach einer siebenjährigen qualvollen Finsternis.“ Auch für sie ist die einzige Garantie gegen Nationalismus und Rassismus „der Einsatz für die Demokratie“.

Eröffnet wurde das Fest mit Videobotschaften der diplomatischen Vertreter der Befreiungsnationen, dem Präsidenten des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes, Rudolf Edlinger, und dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch. Das „Fest der Freude“ fand heuer zum dritten Mal statt und wurde vom Mauthausen Komitee organisiert. Den Festcharakter unterstrich ein Gratis-Konzert der Wiener Symphoniker.

Paris, Berlin, London, Kiew, Danzig, Prag, Aschdod, Washington – in vielen Städten wurde gestern, Freitag, des Kriegsendes vor 70 Jahren gedacht. Frankreich erinnerte am Triumphbogen in Paris an den Sieg über Nazi-Deutschland. Präsident François Hollande legte einen Kranz am Grab des Unbekannten Soldaten nieder. Zuvor hatte er das Denkmal von Charles de Gaulle besucht. „Der Sieg am 8. Mai war kein Sieg einer Nation über eine andere. Es war der Sieg eines Ideals über eine totalitäre Ideologie“, sagte Hollande. Auch heute müsse Intoleranz bekämpft werden. „Die Geschichte ist nicht Nostalgie, sie ist eine Lehre für die Zukunft.“ Anlässlich des Jahrestages war US-Außenminister John Kerry nach Paris gereist – während in Washington Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg eine Parade flogen.

Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck erinnerte an die gefallenen sowjetischen Soldaten. Er legte auf dem russischen Soldatenfriedhof in Lebus einen Kranz nieder. Dabei würdigte er die Verdienste der Roten Armee. Zuvor hatte Gauck an einer Gedenkstunde im Bundestag in Berlin teilgenommen.

Polens Präsident Bronislaw Komorowski erinnerte bei der Gedenkfeier auf der Westerplatte in Danzig (Gdansk) – dem Ort, an dem die ersten Schüsse des Zweiten Weltkriegs fielen – an das Schicksal der Staaten Ostmitteleuropas nach 1945: „Nicht allen hat das Ende des Krieges die Freiheit gegeben.“ In Kiew wurde demonstrativ erstmals am 8. Mai, dem europäischen Gedenktag, und nicht wie im post-sowjetischen Raum üblich am 9. Mai dem Kriegsende gedacht.

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