Kreisky dreht sich im Grab um

Bruno Kreisky am 01.05.1972
Es gab schon weit erfreulichere Feiern zum "Tag der Arbeit", als es die heutige sein wird.

Es gab in der Zweiten Republik nur einen 1. Mai, der noch düsterer war als es der heutige ist. Wesentlich düsterer, muss man sagen: Es war der 1. Mai 1981, an dem der Wiener Verkehrsstadtrat Heinz Nittel auf dem Weg zu den Mai-Kundgebungen ermordet wurde.

Sonst war der "Tag der Arbeit" meist ein Jubeltag für die "Roten", an denen sie ihre Erfolge im Interesse der Arbeiterschaft feiern konnten. Von Jubel und guter Laune wird an diesem 1. Mai 2016 wohl keine Rede sein. Zu feiern gibt es nach den desaströsen Präsidentschaftswahlen der Vorwoche rein gar nichts.

Kreisky dreht sich im Grab um

Kanzler Kreisky

Ein Blick zurück zu den Feiern des 1. Mai in den 1970er-Jahren. Kreisky war Kanzler, 100.000 Menschen und weit mehr jubelten ihrem charismatischen Parteichef auf der Tribüne vor dem Wiener Rathaus zu. Kein Wunder, die SPÖ hatte einen Wahlsieg nach dem anderen eingefahren, die Arbeiterbewegung fischte auch im Becken der anderen Parteien. Das rote Wien war damals noch in Ordnung.Man hatte auch viel erreicht, vor allem, wenn man an den ersten "Tag der Arbeit" in Wien zurückdachte. An den 1. Mai 1890. Die Stadt war wie ausgestorben, weil Adel und Bürgertum aufs Land geflüchtet waren oder sich in ihren Häusern verbarrikadiert hatten und den Schmuck im Keller versteckten. Denn sie hatten Angst vor dem "Pöbel", der da aufmarschierte, um Mindestlohn und soziale Sicherheit zu fordern.Die Angst hatte einen handfesten Grund, war der 1. Mai doch davor schon in den USA begangen worden, wo einzelne radikale Gewerkschafter bewaffnet durch die Straßen von New York und Philadelphia zogen und Passanten bei Schießereien ums Leben kamen. Am 1. Mai 1886 explodierte in Chicago während einer Massenkundgebung eine Bombe, die 17 Tote und 100 Verletzte forderte.

Unbegründete Sorgen

Doch die Sorgen des durch derlei Meldungen aufgescheuchten Bürgertums erwiesen sich als unbegründet, denn in Wien und in den anderen Städten Österreichs verlief alles ganz ruhig.Tausende Arbeiter zogen an diesem 1. Mai 1890 in den Prater und machten alle Befürchtungen, sie wären "Rebellen, Anarchisten und vaterlandslose Gesellen", zunichte. Die vom Parteiführer Victor Adler organisierten sozialdemokratischen Kundgebungen waren friedlich, die Forderungen gerechtfertigt: Arbeiter erhielten damals für 10 bis 14 Stunden Tagesarbeit immer noch Löhne, die kaum ihre Familien ernährten. Sie verlangten die Einführung des Acht-Stunden-Tages, gesetzlich geregelte Mindestlöhne, Pensionsanspruch, Unfall- und Krankenschutz sowie freie, demokratische Wahlen.War dieser erste 1.-Mai-Aufmarsch vorerst als einmalige Demonstration gedacht, so wurde der "Tag der Arbeit" bald zur Institution. Und nach Verkündung der Ersten Republik zum Staatsfeiertag. Man fand sogar, als die Mai-Feiern 1933 von Kanzler Dollfuß untersagt wurden, eine österreichische Lösung: Arbeiter zogen mit der Parole "Demonstrationen kann man uns verbieten, Spaziergänge sind erlaubt" durch die Straßen.

Die Nazis und der 1. Mai

In der Nazizeit wurde der 1. Mai als "Tag der deutschen Arbeit" zur Verherrlichung des Regimes missbraucht. Umso größer war der Wunsch in den letzten Kriegstagen, die Mai-Feiern wieder nach alter Tradition begehen zu können. Während am 1. Mai 1945 – einen Tag nach Hitlers Tod – im Westen Österreichs noch gekämpft wurde, fanden im Osten bereits die ersten Kundgebungen statt. In Wien marschierte man, da die Ringstraße in Schutt und Asche lag, durch die Außenbezirke. Und die Transparente mit der Aufschrift "Für Friede, Völkerverständigung und Gerechtigkeit" waren aktueller denn je.Nach Jahren der Blüte in der Kreisky-Zeit wurde der "Tag der Arbeit" 1981 zum blutigen Tag: Wiens Verkehrsstadtrat Heinz Nittel hatte eben den vor seinem Haus wartenden Dienstwagen bestiegen, um zur Mai-Kundgebung am Rathausplatz zu fahren, als drei gezielte Schüsse auf ihn abgegeben wurden. Er war sofort tot. Zwei Mitglieder der Terrororganisation Abu Nidal wurden verhaftet.Viele der sozialen Forderungen früherer Mai-Feiern sind erfüllt, die Sozialdemokratie sieht den 1. Mai daher nicht mehr als "Kampftag", sondern als Feiertag. Verständlich, ist doch der einstige "Klassenfeind" – bei aller Gegensätzlichkeit – längst ein Mitkämpfer geworden: Heute wird der "Tag der Arbeit" von fast jeder Partei in Österreich begangen.

Leise Proteste

1.-Mai-Proteste gegen die eigene Partei waren in der SPÖ früher, wenn überhaupt, eher kurios: Der spätere Finanzminister Ferdinand Lacina erinnert sich, wie er und andere mit Transparenten gegen die Große Koalition über den Ring zogen, und 1968 protestierten rund 200 Studenten unter der Führung von Silvio Lehmann und Peter Kowalski gegen ein Platzkonzert, das nach dem Aufmarsch am 1. Mai gegeben wurde. Später marschierte ein einzelner Genosse mutterseelenallein über die Ringstraße und hielt dem damaligen Parteichef ein Transparent mit der Aufschrift "Ich bin der Gusenbauer-Fan-Club" unter die winkende Hand. Am heutigen 1. Mai dürfte der Ungehorsam wohl etwas schärfer ausfallen.

Sechs der bisher acht Bundespräsidenten wurden von der SPÖ nominiert. Der als siebenter dafür vorgesehene Rudolf Hundstorfer erhielt eine Woche vor dem 1. Mai 11,3 Prozent der Stimmen.

Die Altvorderen von Victor Adler bis Bruno Kreisky drehen sich wohl in ihren Gräbern um.

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