Fritzl-Gutachterin: "Jeder kann Täter werden"

Fritzl-Gutachterin: "Jeder kann Täter werden"
Heidi Kastner findet es menschlich, böse zu sein. Das Verbrechen kommt oft ganz harmlos daher.

Sie hat den Inzestvater Josef Fritzl analysiert, die Eissalon-Besitzerin und mutmaßliche Doppelmörderin Estebaliz C. untersucht, Gutachten über Amokläufer und ihre Kinder mordenden Väter erstellt. Aber jetzt hat Heidi Kastner "schon so genug von dem Bösen, das zu einer großen schwarzen Wolke gemacht wird". Die Gerichtspsychiaterin will zeigen, "dass auch aus scheinbar harmlosen Leuten Täter werden können".

Also aus uns allen?

"Unter gewissen Bedingungen schon. Es ist Teil des Menschlichen, dass man nicht immer nett ist." Oder wie es die EAV schon besungen hat: "Das Böse ist immer und überall."

In ihrem neuen Buch "Schuldhaft" beschreibt die 1962 geborene Chefärztin der Wagner-Jauregg-Nervenklinik Linz alltägliche Lebensverläufe, die plötzlich und unvorhergesehen einen Knick bekommen.

Wie zum Beispiel bei der Frau aus gutem Haus, die ein Kind für die Rettung ihrer Ehe hält. "... alle redeten nur mehr über das Kind: Schon jetzt wurde dessen künftige Position in der Firma besprochen, der Ausbau der Firma geplant, Kindermädchen wurden zu Vorstellungsgesprächen geladen, die Anschaffung eines kleinen Privatzoos überlegt ..." (Buchauszug) .

Die Fehlgeburt in der 25. Schwangerschaftswoche schreibt sich die Frau als Versagen zu, verschweigt sie, nimmt stumm die Strampelhöschen und Babywippen in Empfang, niemand fragt nach, niemandem fällt etwas auf. Am Tag des errechneten Geburtstermins fährt sie ziellos umher, läutet an einer Haustür, bittet um ein Glas Wasser, sieht drinnen einen Säugling, ergreift einen Nudelwalker, schlägt damit auf die Kindesmutter ein, der es in letzter Sekunde gelingt, die Polizei zu alarmieren.

"Es gibt eine generelle Unachtsamkeit", beklagt Kastner und fordert dazu auf, die Menschen um uns herum wahrzunehmen, anzusprechen: "Sag, hast du was?"

Und in sie hineinzuschauen? Diese Kunst wird den Gerichtspsychiatern gerne zugesprochen, von denen man erwartet, dass sie exakte Prognosen über das künftige Verhalten eines Täters erstellen können: Wird er sich wohlverhalten oder rückfällig werden?

Wahrsagerin

Kastner vergleicht das mit Sportwetten oder Wetter-Vorhersagen: "Uns ist nicht bewusst, dass wir ständig Prognosen treffen. Etwa wenn man aus dem Haus geht: Nehme ich den Schirm mit oder nicht?" Aber sichere Prognosen gibt es weder dort noch da. "Ich verkaufe mich nicht als Wahrsagerin. Wir können nur aufgrund von Wahrscheinlichkeiten Prognosen abgeben."

Ob sie sich bei der Einschätzung, dass man einen Täter aus der Haft entlassen könne, schon einmal geirrt hat? "Mag sein. Wenn ich sage, der wird zu 70 Prozent nicht rückfällig, habe ich mich dann geirrt, wenn die 30 Prozent eintreffen?"

Mord, sagt Kastner, hat eine niedrige Rückfallquote, so um die ein Prozent. "Aber ich kenne einige Leute, die schon zwei Leute umgebracht haben."

Die Psychiaterin will mit ihrem Buch auch unterhalten. Sie schildert kuriose Ticks von Leuten, die irgendwann ins Kriminelle kippen.

"Manche Fälle sind einfach nur traurig", sagt sie: "Die meisten. Aber es gibt auch welche mit gewisser Situationskomik, mit Skurrilitäten. Es ist nichts Schlimmes, das auch einmal darzustellen."

Buch: Ein sehr spätes Geständnis

War er es oder war er es nicht? Manche Strafverteidiger wollen das von ihren Mandanten gar nicht wissen. Auch Heidi Kastner verlangte von Herrn N., den sie zu begutachten hatte, kein Geständnis oder dergleichen. Herr N. saß 24 Jahre wegen eines Mordes, den er stets leugnete. Als er entlassen wurde, verriet er der Psychiaterin den Aufbewahrungsort der Leiche, die nie gefunden worden war.

Die prominente Gerichtsgutachterin präsentiert in ihrem Buch zehn "Täter und ihre Innenwelten", um zu zeigen, wie Menschen zu Verbrechern werden. "Die furchtbarsten Handlungen können scheinbar aus dem Nichts entstehen und von Menschen begangen werden, die sich von uns bis dahin nicht wesentlich unterschieden."

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