Ex-Scientologe: "Man ist nicht Herr seiner Sinne“

Ex-Scientologe: "Man ist nicht Herr seiner Sinne“
Wilfried Handl, Ex-Österreich-Boss von Scientology, über die Organisation, und warum er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie hat.

Scientology Wilfried Handl, ehemaliger Österreich-Chef von Scientology, über das Aushängeschild Tom Cruise und die „perfide Manipulation", der man bei der Bewegung ausgesetzt ist – als Opfer und als Täter.

Seit der Trennung der Hollywood-Stars Tom Cruise und Katie Holmes und des sich abzeichnenden Rosenkrieges um das Vermögen und Tochter Suri ist Scientology wieder in aller Munde. Der Schauspieler ist das Aushängeschild der Gemeinschaft, der ihr Image aufpolieren soll.

Wilfried Handl tut das Gegenteil: Der frühere Österreich-Chef von Scientology ist einer der höchstrangigen Aussteiger, der das je öffentlich gemacht hat. Er warnt in Vorträgen, Büchern und im Internet vor der Gruppierung. Dem KURIER erzählt er, warum.

Ex-Scientologe: "Man ist nicht Herr seiner Sinne“

KURIER: Sie sind nach 28 Jahren bei Scientology ausgestiegen – warum?
Wilfried Handl: Das war vor zehn Jahren. Ich wurde krank, bekam Krebs. Innerhalb von Scientology war ich aber ein „Clear“ ...

Ein was?
Ein Geklärter, der laut Scientology-Gründer Ron Hubbard nicht einmal Schnupfen bekommt. Und ich hatte plötzlich eine Lebenserwartung von ein paar Tagen. Das war ein Widerspruch, an dem konnte ich nicht vorbei. Ich musste mein Leben ändern, und weil Scientology das Dominierende in meinem Leben war, stieg ich aus.

Wie geht das, man kündigt, geht nicht mehr hin?
Ähnlich. Ich traf mich mit dem Leiter des Scientology-Geheimdienstes ...

Es gibt einen Geheimdienst?
Ja klar. Wir trafen uns sehr amikal beim Sushi-Essen, und ich sagte ihm, ich steige aus. Und das war’s.

Keine Überredungsversuche, keine Verfolgung?
Bis Mitte der 90er-Jahre war’s schon so, dass man 500-mal am Tag angerufen worden ist, plötzlich drei Scientologen vor der Tür standen. Dann wurde die Strategie geändert: Jeder kann gehen, wenn er möchte, soferne er das leise macht und das investierte Geld als Deppensteuer abschreibt.

Warum sind Sie eigentlich eingetreten?
Ich war 20 und habe gesucht. Ich wuchs im katholischen Internat auf – nicht missbraucht, die haben in der B-Klasse zugeschlagen, ich war in der A-Klasse –, aber das fiel weg. Aber jeder hatte irgendwo seinen Guru. Ich hatte eine Freundin, die war bei Scientology, Chick Corea (Anm. Jazz-Legende) war auch dabei, ich war Jazz-Fan, also schaute ich mir das an, traf auf eine Gruppe von Künstlern wie Gottfried Helnwein. Die hatten scheinbar die Antworten für die Fragen, die man als 20-Jähriger hat.

Und was war das Faszinierende?
Man möchte glauben, was die schildern – dass sie für alles eine Antwort haben. Und sie verstehen es, mit besonders freundlich wirkenden Menschen geschickt zu manipulieren.

Sie bieten eine Lebensphilosophie.
Sie sagen, sie haben die Brücke zur völligen Freiheit und geben Häppchen.


Was für Häppchen?
Sie lehren Kommunikation. Oder sie machen Persönlichkeitstests, wo sie deine Mankos aufzeigen. Wenn sie deinen Schwachpunkt gefunden haben, legen sie ihre Hand in diese Wunde und bieten an, dieses Problem zu lösen. Das Perfide daran ist: Nach einiger Zeit greift diese Manipulation derart, dass man nicht mehr Herr seiner Sinne ist.

Sie haben einmal gesagt, Sie waren „Parteisoldat in einem faschistischen System“ – was ist das Faschistische daran?
Es gibt die Guten, und es gibt die Bösen. Scientology hat das klar definiert. Es gibt 80 Prozent Gute auf der Welt, von denen die meisten noch nicht dabei sind, was ihr einziger Fehler ist. Und es gibt 20 Prozent Böse, darunter zwei Prozent „total Böse“. Die Scientologen sind darauf eingeschworen, die 20 Prozent zu meiden und sich den 80 Prozent zuzuwenden.

Was ist das Ziel von Scientology?
Die Weltmacht. In George Orwells „1984“ findet man eigentlich alles, worauf die auch hinauswollen. Neusprech, Neudenk, Wahrheitsministerium – das gibt’s dort alles, inklusive einer eigenen Gerichtsbarkeit.

Sie waren eine Zeit lang Österreich-Chef von Scientology. Was haben Sie gemacht?
Scientology ist ein Franchise-Unternehmen. Wie der Geschäftsführer einer McDonalds-Filiale schaut, dass viele Fleischlaberln über die Theke gehen, schaut man als Direktor von Scientology, dass man viele neue Leute rekrutiert.

Geld ist da ein Thema?
Geld-Abnehmen, ja. Die Brücke zur völligen Freiheit besteht aus vielen Stufen. Das sind Kurse oder das „Auditing“, das ist so eine Art ganz schlechte Psychoanalyse. Diese Stufen muss man sich kaufen – der 12,5-Stunden-Auditing-Block zum Beispiel kostet 3000 Euro. Die Stufen zu durchwandern, von „Clear“ bis zum achten „Titan“ ist die Pflicht jedes Scientologen – das kostet.

Und da sagt einem der Kopf nie „Halt“?
Leider nicht. Man darf den Gruppendruck nicht unterschätzen. Auch Nazis wussten mitunter um das Unrecht ihres Tuns, und ich hatte auch hie und da meine hellen Momente –, aber man hat sein Leben nach Scientology ausgerichtet, bekommt eine Bestätigung durch die Gruppe und ist froh, den Zweifel nicht mehr zu haben. Denn sonst verliert man sein ganzes Umfeld, das bei einem Ausstieg keinen Kontakt mehr zu einem haben darf.

Ex-Scientologe: "Man ist nicht Herr seiner Sinne“

Die wenigsten Menschen wissen viel über Scientology, außer dass Tom Cruise dabei ist. Ist das, was in der Yellow-Press rapportiert wird, glaubwürdig? Etwa dass Katie Holmes sich scheiden lässt, weil die sechsjährige Tochter in ein extremes Scientology-Camp geschickt werden sollte?
Dass Suri in ein Boot-Camp geschickt werden sollte oder Kinder als Kadetten bezeichnet werden, ist Blödsinn. Es gibt einen paramilitärischen Arm, die Sea Org, aber dort dürfen nur Kinder von Sea-Org-Mitgliedern hin. Aber Katie Holmes hätte von Anfang an auffallen können, was da läuft. Sie wurde von Scientology gecastet und überwacht ...

Was heißt gecastet?
Sie wurde ausgewählt, und Tom Cruise hat sie sich dann aufgezwickt. Und irgendwann merkt sie, dass sein Scientology-Leben nicht ihres ist. Zumal Kinder zwischen sechs und acht für die Indoktrinierung interessant werden. Die sind „Thetane in kleinen Körpern“, deren einzige Aufgabe es ist, schnell erwachsen und so behandelt zu werden.

Beispiel?
Wenn ein Zweijähriger von der Schaukel fällt, hebt man ihn auf und tröstet ihn. Ein Scientologe macht das nicht. Er lässt ihn ausweinen, damit nicht Mutter oder Vater auch in dieses „Trauma“ verwickelt werden. Und wenn das Kind fertig ist, ist eh alles gut.

Haben Sie Ihre Kinder auch so erzogen?
Leider. Wir haben sie zwar als Kinder nicht zu Kursen geschickt, aber wir haben die Vorgaben überwiegend gelebt. Heute hab’ ich keinen Kontakt mehr zu ihnen oder meiner Ex-Frau, die ja keinen mit mir, dem nach Scientology-Doktrin „Bösen“ haben darf.

Tom Cruise, John Travolta sind Aushängeschilder von Scientology – lassen die Stars sich kaufen oder sind sie tatsächlich überzeugt?
Ron Hubbard hat das Projekt Celebrity gegründet: Prominente gewinnen oder dazu zu bringen, dass sie sich positiv über Scientology äußern. Weil: Wenn ein Promi etwas sagt, kann man damit rechnen, dass Millionen das gleich übernehmen. Tom Cruise ist ihr Hauptwerbeträger. Bei mir war’s eben Chick Corea. Darum ist auch der Scheidungsprozess Cruise/Holmes für die so unangenehm.

Wie viele Österreicher sind Ihres Wissens nach bei Scientology?
Aktiv 300 bis 600, sonst schätze ich bis 1500. In Österreich wird Scientology vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie versuchen gerade, in Wien eine Art Flagshipstore ihrer Organisation zu gründen.

Sie machen Aufklärungsarbeit über Scientology und Sekten, haben eine Homepage, halten Vorträge – wie finanziert sich das?
Ich mache das ehrenamtlich und habe ja viel Zeit. Ich sehe es mit meiner Vergangenheit als eine Art Wiedergutmachung –, weil man ist zu 50 Prozent Opfer, wenn man bei Scientology ist, aber zu 50 Prozent auch Täter. Das tut denen weh, weil sie wegen meiner Tätigkeit in Deutschland und Österreich keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen – jetzt werde ich gerade geklagt, weil ich geleakte eMails von Scientology auf meinem Blog veröffentlicht habe. So soll ich, alleine über die Anwaltskosten, eliminiert werden.

Den Krebs haben Sie besiegt?
Keine Ahnung. Ich habe aufgehört, bestimmte Beschwerden zu hinterfragen. Und wenn ich mal sterbe, merke ich es.

Zur Person: Der Aussteiger

Wilfried Handl wurde 1954 geboren, besuchte ein katholisches Internat und ist gelernter Industriekaufmann. 1974 kam er mit Scientology in Kontakt und schloss sich an. 1979 wurde er Leiter der Scientology-Sektion Österreich. Später abgelöst, geriet er in Verruf und wurde wieder rehabilitiert. 2002 erkrankte er an Krebs und stieg aus. Handl schrieb ein Buch über seine Erlebnisse („Wahn und Wirklichkeit"), betreibt einen Blog ( www.blog-gegen-scientology.wilfriedhandl.com sowie www.wilfriedhandl.com) und warnt in Vorträgen, u. a. in Schulen, vor den Gefahren der Bewegung.

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