Ex-Politiker: Arbeit und Wohnung gegen Sex

Ein Betriebsrat und Ex-Politiker soll einem jungen Mann Job und Wohnung verschafft haben. Für eine Gegenleistung.

Neue, schwerwiegende Vorwürfe gegen einen ehemaligen SPÖ-Gemeinderat aus Wien. Ein weiteres mutmaßliches Missbrauchsopfer des 1991 verstorbenen FSG-Gewerkschafters und Politikers hat sich beim KURIER gemeldet.

Wie berichtet, erhob ein ehemaliger Zögling eines Wiener Lehrlingsheimes massive Anschuldigungen gegen den Ex-Politiker. Dieser soll in seiner Funktion als Gewerkschaftsbetreuer den Jugendlichen in den 1970er-Jahren mehrmals zu sexuellen Handlungen gezwungen haben.

Wenige Tage nach dem KURIER-Bericht (der Name des Politikers war nicht veröffentlicht worden, Anm.) meldete sich Franz T., 45, in der Redaktion. Er habe den ehemaligen Politiker erkannt. Auch er sei von ihm zu sexuellen Handlungen genötigt worden. „Ich habe den Artikel gelesen, da ist mir sofort wieder der P. eingefallen. Ich hab da schon alles vergessen, verdrängt gehabt.“

Missbrauch

Doch die Erinnerung an den Funktionär, der in den 1980er-Jahren auch Zentralbetriebsrat eines internationalen Konzerns mit Sitz in Wien war, keimte in T. wieder auf. Franz T. hatte kein leichtes Leben. Von klein auf bei Pflegeeltern in Niederösterreich untergebracht, berichtete er von sexuellem Missbrauch durch seinen Ziehvater und einen Lehrer.

Er riss aus, fuhr mit dem Zug nach Wien. Vom Regen in die Traufe. „Ich hab mich viel am Westbahnhof aufgehalten. Ich hatte keine Wohnung und hab in einer Notschlafstelle übernachtet.“ Der Politiker P. sei „immer mit der Westbahn gekommen“. „Auf einmal ist er auf mich zugegangen und hat sich vorgestellt. Und er hat gesagt, dass ich ihm schon aufgefallen bin.“ Der damals 19-jährige Franz T. wurde von dem Gewerkschafter auf einen Kaffee eingeladen. „Er war eigentlich so ein ganz netter Mensch.“

Man kam ins Gespräch. T. war arbeits- und obdachlos. „Er hat gemeint, er könne mir helfen. Das war natürlich ein Vorwand für die Gegenleistung.“ Der Politiker P. habe ihm versprochen, „mich von der Straße wegzubringen“. Mit seinen Beziehungen könne er dem jungen Mann Job und Wohnung verschaffen. Doch zuvor war Gegenleistung gefragt.

Ein bekanntes Stundenhotel in Wien. Politiker P. nimmt sich mit dem 19-Jährigen ein Zimmer. Es sei zu Geschlechtsverkehr gekommen. „Er hat nicht gerne den aktiven Part gespielt“, sagt T. Oft seien sie in dem Hotel gewesen. „Nach ein paar Monaten ist er auf einmal mit einer Wohnung dagestanden“, sagt Franz T. „Das war ein Loch, ohne Klo, ohne Wasser mit einem Kasten und einem Bett.“ Ab sofort brauchte es kein Stundenhotel mehr.

Job im Konzern

Im Februar 1986 ist auch das zweite Versprechen, das sich der spätere Politiker offenbar durch sexuelle Handlungen bezahlen ließ, in Erfüllung gegangen. „Er war ja Zentralbetriebsrat.“

P. habe ihm einen Job bei dem erwähnten internationalen Konzern verschafft. „Als Hilfsarbeiter.“ Schon nach einer Woche habe er allerdings das Handtuch geschmissen, sagt Franz T. „Das war mir zu viel. Ich habe es nicht mehr ausgehalten, dass er dauernd zu mir in die Wohnung gekommen ist.“ Der Gewerkschafter habe ob des Vertrauensbruchs, der Kündigung getobt. „Das war das letzte mal, dass ich ihn gesehen habe.“ Vermutlich am 3. März 1986.

Franz T. weiß nicht, ob es anderen jungen Männern ähnlich ergangen ist, ob P. auch weiteren Personen, die ihm sexuell zu Diensten waren, Jobs verschafft hat. „Aber ich glaube nicht, dass ich der einzige war.“

Weder dem Unternehmen noch der Gewerkschaft oder der SPÖ gibt Franz T. die Schuld an seinen schrecklichen Erlebnissen. „Ich bin halt ausgenutzt worden. Eine Entschädigung? Nein, Geld nehme ich keines.“

Reaktion: Aufregung im Konzern des Ex-Betriebsrates

Wie reagiert man in dem Konzern, der heute noch ein Werk in Wien hat auf die Anschuldigungen? Hochgradig nervös. Mehr als eine Woche dauert es, ehe der versprochene Rückruf aus der Zentrale eintrifft. Zuvor haben sich hochrangige Mitarbeiter des Unternehmens – ganz inoffiziell – bei Kollegen aus der KURIER-Redaktion erkundigt, was wir denn zu schreiben gedenken.

Nach mehrmaliger Urgenz dann doch der versprochene Rückruf. „Wir sind intern der Sache nachgegangen“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. „Der Generaldirektor hat sich eingeschaltet.“ Die Geschichte werde „sehr ernst genommen“. Die Vorwürfe, dass ein Betriebsrat Arbeitsplätze gegen sexuelle Dienste vergeben hätte, seien im Unternehmen nicht bekannt gewesen. „Ein Ausnutzen des Obrigkeitsverhältnisses ist niemandem bekannt und auch in keinem Akt verzeichnet“, erklärt die Sprecherin. „Wir wissen allerdings, dass es in einem kleinen Kreis bekannt war, dass der Betriebsrat homosexuell oder bisexuell gewesen ist.“

Der Konzern betont, dass die sexuelle Orientierung damals wie heute „selbstverständlich“ kein Kriterium bei der Auswahl von Mitarbeitern sei.

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