Direkte Demokratie: Kurz im Streitgespräch gegen Mayer

Direkte Demokratie: Kurz im Streitgespräch gegen Mayer
Sebastian Kurz contra Heinz Mayer: Wie viel direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild braucht – und verträgt – Österreich?

Soll über erfolgreiche Volksbegehren automatisch abgestimmt werden? Der KURIER bat Staatssekretär Sebastian Kurz, den Erfinder dieser Idee und Verfassungsrechtler Heinz Mayer, der das grundsätzlich ablehnt, zum Streitgespräch.

KURIER: Herr Professor Mayer, dem Bundespräsidenten wurde "imperiales Gehabe" vorgeworfen – weil er davor warnte, Volksbegehren ab zehn Prozent Zustimmung automatisch dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Zu Recht?
Heinz Mayer: Nein, eine automatische Volksabstimmung nach einem erfolgreichen Volksbegehren wäre eine tief greifende Verfassungsänderung, die eine Gesetzgebung am Parlament vorbei bewirkt. Dazu sind viele Punkte offen, etwa worüber abgestimmt werden darf oder wie daraus ein Gesetz entstehen soll? Es gibt zahlreiche Bedenken.

Sebastian Kurz: Ich habe großen Respekt vor dem, was der Bundespräsident gesagt hat, ich bin nur politisch nicht seiner Meinung. Und man kann ja nicht so tun, als wäre seine Kritik nur gegen den Vorschlag der Jungen ÖVP gerichtet, das wird ja von vielen unterstützt. Nur: Ich glaube, dass sich die Zeiten verändert haben. Macht und Einfluss der Parteien gehen zurück, die Menschen wenden sich von der Politik ab und fühlen sich nicht mehr vertreten. Deswegen brauchen wir mehr Mitbestimmung.

Halten Sie Heinz Mayer für einen "abgehobenen Professor" und Anti-Demokraten?
Kurz: Nein, ganz im Gegenteil. Ich teile die Einschätzung, dass noch viele Fragen zu klären sind. Aber heute wollen sehr viele Menschen nicht mehr am politischen Prozess teilhaben oder sich thematisch mit der Politik auseinandersetzen. Ein Mehr an Bürgerbeteiligung würde das ändern, und das würde uns gut tun.

Mayer: In der Diagnose gebe ich ihnen völlig recht, es ist jämmerlich. Das liegt aber daran, dass die Regierungsparteien keinerlei Gestaltungskraft und Gestaltungswillen zeigen. Und das Parlament nickt im Wesentlichen das, was die Regierung beschließt, nur ab.

Kurz: Unser Modell sieht vor, dass ein Volksbegehren ab 100.000 Unterschriften im Plenum behandelt werden muss. Und wenn ein Volksbegehren von 10 Prozent aller Wähler getragen wird, das wären 650.000, dann sollte das Parlament sich darüber nicht mehr hinwegsetzen dürfen. Wenn es dann über das Thema keine Einigung gibt, soll es eine Volksabstimmung geben.

Direkte Demokratie: Kurz im Streitgespräch gegen Mayer

Und was, wenn das erste Referendum ausgerechnet über Reichensteuern kommt?
Kurz: Sehen wir das doch nicht alles so negativ. Staaten, die viel über direkte Demokratie entscheiden, haben eher niedrige Steuern und weniger Schulden. Die Schweiz hat eine halb so geringe Schuldenquote wie wir und die halbe Steuerquote.

Glauben Sie nicht, dass Einschränkungen, worüber abgestimmt werden darf, die Menschen erst recht erzürnen?
Kurz: Wenn wir eine zusätzliche Möglichkeit zur Partizipation schaffen, braucht sich darüber doch niemand ärgern. Man muss aber Bereiche definieren, die ausgenommen werden sollen. Wir schlagen als Ausnahmen Grund- und Menschenrechte, EU-Primärrecht und völkerrechtliche Verträge vor. Und der Herr Professor wird mir Recht geben, dass es Ausnahmen geben muss.

Mayer: Da sind wir einer Meinung, ich wehre mich aber gegen die verlangte Automatik für Volksabstimmungen, weil da nehmen Sie in Kauf, dass ein ganz grober Unfug zum Gesetz wird. Beispiel Reichensteuer, die in kürzester Zeit Unternehmer, sofern diese dann stark besteuert werden, verjagen würde, zum Schaden des Landes.

Kurz: Wir schlagen ja eine Vorab-Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof vor.

Mayer: Also entschuldigen Sie, das ist doch ein bissl’ naiv. Der ist ein Organ der Rechtskontrolle, den können Sie nicht fragen, ob sich eine Idee für ein Volksbegehren eignet.

Kurz: Ich erinnere daran, dass auch das Parlament einen Blödsinn machen kann, etwa die Nacht-und-Nebelaktion vor der letzten Nationalratswahl, wo Studiengebühren abgeschafft und die Hacklerregelung ausgedehnt worden sind.

Mayer: Natürlich kann auch das Parlament mal einen Blödsinn machen. Nur habe ich dann einen Verantwortlichen. Aber was mache ich mit einer Bürgerinitiative, die kompromisslos ein Gesetz erzeugen kann? Wer ist dann verantwortlich?

Kurz: Na, die Wähler ...

Mayer: Die Wähler? Na, das ist eine ganz unrealistische Verantwortung, nicht?

Kurz: Wer hat die Verantwortung denn sonst, etwa bei Wahlen? Demokratie kann aber nur über Bürgerbeteiligung funktionieren. Ich habe aber zum Beispiel noch nie ein Volksbegehren unterschrieben, schlicht und ergreifend, weil mir immer bewusst war, dass das ohnehin im Sand verläuft.

Mayer: Ja, aber fangen wir doch da an, verhindern wir, dass das im Sand verläuft ...

Niemand hindert das Parlament, Volksbegehren wie das zur Bildung von sich aus in Gesetze umzusetzen.
Kurz: Aber passiert das? Eben.

Mayer: Sie wollen das Parlament aufgeben, da es ja eh für nichts zu gebrauchen ist, daher muss das Volk das selbst in die Hand nehmen. Aber der Weg muss doch ein anderer sein, stärken Sie doch das Parlament!

Kurz: Das will die Junge ÖVP auch über ein neues Wahlrecht, aber eben auch jedem Einzelnen die Möglichkeit geben, sich besser zu beteiligen.

Schieben Sie damit nicht die Verantwortung ab?
Kurz: Wir schieben doch nicht die Verantwortung ab, Gesetze zu machen. Es soll aber ein
Instrument geben für jeden, der das will, Verantwortung zu übernehmen und eine Initiative zu setzen.

Mayer: Aber Herr Staatssekretär, so eine Initiative wird doch sofort von den Parteien besetzt. Während im Parlament ein Kompromiss geschlossen werden kann, geht das bei einem Volksbegehren nicht. Da gibt es nur Ja oder Nein, die Mehrheit setzt sich durch und die Minderheit geht unter. Das ist, was ich nicht will.

Kurz: Aber bei der Abstimmung über den EU-Beitritt war das auch nicht anders.

Mayer: Bei zentralen Fragen muss das auch so sein. Aber in allen anderen Fragen – Steuerrecht, Ausländerrecht oder Arbeitsrecht – ist das doch höchst problematisch. Oder wollen sie über Arbeitsrecht abstimmen lassen?

Kurz: Ja, wenn 650.000 Menschen der Meinung sind, wir sollten etwas ändern, dann ist das doch legitim. Warum glauben wir nicht daran, dass so wie die Schweizer „Nein“ zu zusätzlichem bezahlten Urlaub gesagt haben, auch die Österreicher so intelligent sein könnten, und den Blick haben, was unserer Wirtschaft gut tut.

Mayer: Aber es gibt doch bei uns keine Auseinandersetzung über politische Themen auf einer halbwegs rationalen Basis, das wird doch eher emotional betrieben.

Kurz: Je stärker wir Bürgerbeteiligung zulassen und je mehr Gewicht wir den Bürgern geben, desto mündiger werden sie. Im Parlament hat jeder Abgeordnete die Möglichkeit, einen Initiativantrag zu stellen, warum geben wir nicht einigen Hunderttausend Wählern ebenfalls diese Möglichkeit?

Mayer: Weil ich fürchte, dass der Österreicher verführbar ist, auch die Eliten. Diese Verführbarkeit ist für mich zu groß, um derzeit solche direkt-demokratischen Instrumente einzuführen. Dass husch, pfusch jeder x-beliebige Inhalt zum Gesetz werden kann, finde ich unerträglich.

Wird es das alles noch vor der Wahl wirklich geben?
Mayer: Das gab es schon einmal unter Andreas Khol als ÖVP-Wahlkampfthema. Nach der Wahl war davon keine Rede mehr, ich hoffe, dass das wieder so kommt. Ich bin für Ausbau und Stärkung der Volksbegehren, und wir müssen die Parteien stärken. Die aktuelle Situation, wo sich beide Regierungsparteien abkapseln und einigeln, halte ich für brandgefährlich. Allein schon die SPÖ, die die Diskussion über Studiengebühren verweigert, ist doch jenseitig! Die Möglichkeit, über jedes Gesetz ein Referendum zu machen, gibt es ja jetzt schon, sofern die Hälfte der Abgeordneten dafür ist. Das kann man runtersetzen, auf fünf oder zehn.

Kurz: Dann kann ja Strache jede Woche zu allem eine Volksabstimmung machen.

Mayer: Da wird ihm aber schnell die Lust vergehen.

Kurz: Das halte ich nicht für sehr gescheit. Und schließlich soll das ja ein Instrument der Bevölkerung sein, und nicht der Parteien.

Zur Person: Heinz Mayer

Der Verfassungs- und Verwaltungsjurist ist Universitätsprofessor und seit 2006 zudem Dekan (Leiter) der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Mayer wurde als Autor mehrerer Standardwerke zum Verfassungsrecht oder zum Verwaltungsverfahrensrecht auch zum gefragten Experten in Politik und Medien. Er ist verheiratet und ein begeisterter Hobbysportler, der neben dem Skifahren auch Eissegeln zu seinen Passionen zählt.

Zur Person: Sebastian Kurz

Kurz ist Bundesobmann der Jungen ÖVP (JVP) und Staatssekretär für Integration im Innenministerium. Im April 2011 wurde er mit knapp 25 Jahren das jüngste Regierungsmitglied, das je in Österreich angelobt wurde. Den Weg in die Politik fand er über die JVP, der er 2003 beitrat und zu deren Chef er 2009 gewählt wurde. Kurz wuchs in Wien-Meidling auf, leistete den Grundwehrdienst und studiert Rechtswissenschaften – am Wiener Juridicum.

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