Merkels dritte Amtszeit: Eine Krise nach der anderen

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel posierte für ein Selfie am 28.08.2016 in Berlin während des Tages der offenen Tür der Bundesregierung.
Die deutsche Bundeskanzlerin hat sich noch nicht entschieden, ob sie 2017 erneut antritt.

Will sie, oder will sie nicht? Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat noch nicht entschieden, ob sie bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr noch einmal als Spitzenkandidatin der Union antritt. Bei einem Sieg wäre es ihre vierte Amtszeit. Jeder zweite Deutsche lehnt jedenfalls nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Bild am Sonntag eine vierte Amtszeit der CDU-Vorsitzenden ab.

Sie werde "zum gegebenen Zeitpunkt" entscheiden, sagte Merkel zuletzt am Sonntagabend im ARD-"Sommerinterview". Dies betreffe ihre erneute Kandidatur als CDU-Vorsitzende auf dem Parteitag im Dezember in Essen wie auch eine Kanzlerkandidatur bei der Bundestagswahl 2017.

Hinter der 62-Jährigen liegt eine Legislaturperiode voller Krisen und internationaler Konflikte, die Deutschland und Europa auch in den kommenden Jahren beschäftigen werden. Kritiker ihrer Politik gibt es viele - auch in den eigenen Parteireihen.

Flüchtlingskrise

Die durch den Bürgerkrieg in Syrien maßgeblich ausgelöste Flüchtlingskrise ist das wichtigste Thema in Merkels dritter Amtszeit. Für die Aufnahme hunderttausender Menschen in Deutschland 2015 und für ihre Aussage "Wir schaffen das" erntete sie viel Lob aus dem Ausland. Die CDU-Vorsitzende zog damit aber auch massive Kritik auf sich - auch aus den eigenen Reihen. Die zuvor von guten Umfragewerten verwöhnte Kanzlerin sah sich großer Skepsis in Teilen der Bevölkerung gegenüber und musste den Aufstieg der rechtspopulistischen AfD hinnehmen. Ereignisse wie die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht durch Zuwanderer und die von Flüchtlingen begangenen Anschläge von Würzburg und Ansbach ließen viele Menschen an Merkels Linie zweifeln. Ihre Flüchtlingspolitik sorgt seither auch immer wieder für große Gräben in der schwarz-roten Koalition.

Merkel hat ihre Flüchtlingspolitik zuletzt am Sonntagabend in der ARD-Sendung verteidigt. Sie habe schon vor einem Jahr darauf hingewiesen, dass es hier um eine große Aufgabe gehe, sagte Merkel. "Da haben wir auch seither Vieles erreicht und Manches bleibt noch zu tun." Zu ihrem viel zitierten Satz "Wir schaffen das" - den zuletzt auch SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil kritisiert hatte - sagte Merkel jetzt: "Wir stehen heute ganz anders da als vor einem Jahr." Es gebe Tausende zusätzlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, es sei ein Integrationsgesetz auf Bundesebene beschlossen worden und die Kommunen würden bei den Integrationskosten entlastet. Zugleich seien härtere Regeln für Menschen mit schlechter Bleibeperspektive festgelegt worden.

Euro-Krise

Die Flüchtlingskrise verdrängte in der öffentlichen Aufmerksamkeit die Sorgen um die Schuldenberge in Europa, die desaströse Lage Griechenlands und die im europäischen Bankensystem schlummernden Gefahren. Diese Themen beschäftigten Merkel und ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble (ebenfalls CDU) bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode intensiv - und trotz zahlreicher von Europa getroffenen Vorsichtsmaßnahmen sind weitere Erschütterungen nicht ausgeschlossen. Griechenland erhält inzwischen Hilfsgelder aus dem dritten internationalen Milliardenprogramm. Ob das Land dann wieder auf eigenen Füßen stehen kann, ist ungewiss.

Europa-Krise

In vielen Ländern sind Populisten und EU-Gegner im Aufwind, viele Bürger Europas wenden sich von dem Gemeinschaftsprojekt ab. Kritiker werfen Merkel je nach politischer Couleur wahlweise vor, Europa mit der von Deutschland vertretenen Sparpolitik oder mit den Hilfszahlungen an angeschlagene Euro-Länder an den Rand des Abgrunds getrieben zu haben. Ihre Aussage, diese Politik sei "alternativlos", empfanden Gegner der Kanzlerin als undemokratisch. Einen schweren Schock erlitt Europa durch das Votum der Briten für einen EU-Austritt.

Nachbarschaftskrise

Europa erlebt in seiner Nachbarschaft eine anhaltende Phase der Instabilität, wie sie viele nach Ende des Kalten Krieges nicht mehr für möglich gehalten hatten. Der Konflikt mit Russland um die Ostukraine und die russische Annexion der Krim zogen europäische Sanktionen gegen Moskau, einen Ausschluss des Landes aus dem Kreis der großen Industrienationen (jetzt G-7) und eine umstrittene stärkere militärische NATO-Präsenz im Baltikum nach sich. Merkel bemühte sich in zahllosen Telefonaten und bei persönlichen Besuchen um Vermittlung zwischen Moskau und Kiew, das Abkommen von Minsk brachte jedoch keinen dauerhaften Frieden.

Der Konflikt mit Moskau behindert nach Ansicht vieler auch die Suche nach einer Friedenslösung für den Bürgerkrieg in Syrien, da Moskau Machthaber Bashar al-Assad unterstützt. Der im März 2011 begonnene Konflikt führte letztlich auch zu dem von Merkel massiv unterstützten EU-Abkommen mit der Türkei über die Rücknahme von Flüchtlingen.

Kritiker werfen der Kanzlerin vor, Europa dadurch erpressbar gemacht zu haben. Merkel muss seitdem gegenüber dem schwierigen Partner Türkei einen Balanceakt vollbringen. Deutlich wurde dies unter anderem angesichts des drastischen Vorgehens der türkischen Regierung gegen angebliche Gegner nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016.

Viele Spitzenpolitiker der deutschen Christdemokraten gehen derweil fix von einem Antritt Merkels 2017 aus, darunter CDU-Vize Julia Klöckner. Klöckner teilte am Montag vor einer Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin mit: "Angela Merkel wird wieder antreten als Parteivorsitzende am Bundesparteitag, und sie wird dann selbst entscheiden, wann sie verkünden wird, dass sie als Kanzlerkandidatin zur Verfügung steht." Sie selbst könne sich als Kanzlerkandidatin "keinen anderen vorstellen als Angela Merkel", ergänzte sie.

Nach der Präsidiumssitzung stellte CDU-Generalsekretär Peter Tauber dagegen klar, dass das Thema bei der Sitzung keine Rolle gespielt habe. Über die Kandidaturen werde später entschieden, wenn diese Entscheidung bevorstehe. Tauber sagte, er verstehe die Äußerungen Klöckners so, "dass sie damit den Wunsch unserer Mitglieder zum Ausdruck gebracht hat, dass Angela Merkel die Union weiter führen möge" und die Partei und das Land in guten Händen bei Merkel sei. "Alles weitere steht dann zur Entscheidung an, wenn die Zeit dafür reif ist."

Die Bild-Zeitung berichtete, prominente Vertreter der CDU-Spitze rechneten damit, dass Merkel auf dem Bundesparteitag im Dezember die Kandidatur für den Parteivorsitz mit der Kanzlerkandidatur verknüpfen werde - aus taktischem Kalkül heraus, um ihre parteiinternen Kritiker im Schach zu halten. Die Zeitung schreibt, wegen Unmuts über Merkels Flüchtlingspolitik werde ein erheblicher Dämpfer bei der Wahl zur CDU-Vorsitzenden befürchtet. Die Verkündung ihrer Kanzlerkandidatur vor der Abstimmung in Essen (Nordrhein-Westfalen) sei geeignet, das Ergebnis deutlich aufzupolieren. Wer dann noch gegen sie stimme, schmälere die Erfolgschancen der CDU im Wahlkampf.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte auf die Frage, ob die Kanzlerin wieder als Vorsitzende antreten solle: "Ich denke ja." Er würde es sehr begrüßen, wenn es bei der Entscheidung über Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur "ein großes Einvernehmen unter möglichst allen Beteiligten gibt. Ich habe auch gar keinen Zweifel daran, dass das zustande kommt."

CSU-Söder lässt Unterstützung offen

Anders die CSU: Der bayerische Finanzminister Markus Söder, der immer wieder als Nachfolger von Ministerpräsident Horst Seehofer im Gespräch ist, ließ die Unterstützung seiner CSU für Merkel offen. Zunächst müsse sie selbst erklären, ob sie antrete. Auf die Frage, ob er sich dies wünsche, sagte Söder dem Spiegel, Merkel sei international angesehen und habe viel für Deutschland geleistet. "Aber über diese Frage wird erst im Frühjahr entschieden."

Kommentare