Das Geschäft mit der "Angst vor dem Untergang"

Das Geschäft mit der "Angst vor dem Untergang"
Vom rechten Netzwerk zum braunen Terror: Heribert Schiedel hat expandiert. Er musste, weil das auch sein Untersuchungsgegenstand tut.

Schiedel ist Experte für Rechtsextremismus im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, 2007 hat er ein Buch über die rechtsextreme Vernetzung in Österreich geschrieben. In seinem neuen Nachschlagewerk, das er am Mittwoch vorstellt, beschäftigt er sich nun mit der Vernetzung der Rechtsparteien in Europa. Er kritisiert aber das "himmelschreiende Desinteresse an der Europapolitik der FPÖ". Gleich im Vorwort des neuen Buches betont er: Man müsse bei den Parteien Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Neonazismus strikt auseinanderhalten. Während Neonazis sich positiv auf die faschistische Vergangenheit beziehen und Rechtsextreme ein zwiespältiges Verhältnis dazu hätten, "grenzen sich Rechtspopulisten in der Regel deutlicher ab". Die größte Gefahr in Europa gehe derzeit von der von der Grenzverwischung dieser Kategorien aus. Die FPÖ stuft er als rechtsextrem ein - und er sieht in ihr den Motor dieser Grenzverwischung und der europäischen Rechts-Vernetzung. Mit dem KURIER hat er vor der Präsentation des Buches darüber, über die "Verösterreicherung Europas" und über das "Geschäft mit der Angst" gesprochen.

KURIER: Herr Schiedel, Sie zitieren in ihrem Buch einen Brief von Gábor Vona, dem Chef der rechtsextremen ungarischen Jobbik, an FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Darin beschwert Vona sich, dass Strache opportunistisch sei und die Kontakte zu Jobbik verleugne. Das ist doch begrüßenswert, wenn die FPÖ zu Jobbik auf Distanz geht?
Heribert Schiedel:
Vona hat mit seinem Opportunismus-Vorwurf ja absolut recht. Die FPÖ hat 2010 den zig-sten Versuch gestartet, die europäische Rechte zu vernetzen - in der Europäischen Allianz für Freiheit. Da war auch Krisztina Morvai dabei. Jetzt sagen Strache und der FPÖ-EU-Abgeordnete Andreas Mölzer: Morvai ist gar nicht bei Jobbik. Stimmt, sie ist kein Parteimitglied. Aber sie war deren Europa-Spitzenkandidatin! Wenn die FPÖ jetzt zu Jobbik auf Distanz geht, ist das sicher keine inhaltliche Distanzierung. Der FPÖ-Mandatar Johannes Hübner sagte sogar zum heftig kritisierten Mediengesetz in Ungarn: Er könne sich vorstellen, den ORF nach ungarischem Vorbild zu reformieren. Sowie man Allianzen wie diese öffentlich macht, hat die FPÖ ein Problem und muss sich distanzieren. Nur: Das Desinteresse an der EU-Politik der FPÖ ist himmelschreiend, davon profitiert sie: So kann sie doppelgleisig fahren. Da kann die Slowakische Nationalpartei die Beneš-Dekrete für ewig unabänderbar erklären und die FPÖ behauptet ihren Wählern gegenüber, dass sich die Slowakische Nationalpartei in dieser Frage eh bewegen würde.

Solange die Wahrnehmung im nationalen Container bleibt, funktioniert die rechte Vernetzung also, aber auf EU-Ebene kommen die Widersprüche?
Die FPÖ verkauft nicht nur ihre Wähler für blöd, sondern auch die eigenen Leute. Das hat sich beim Bündnis mit den italienischen Neofaschisten gezeigt: Auf der einen Seite beschließt man, nie mit Parteien zu kooperieren, die die Autonomie Südtirols nicht anerkennen - und dann fahren sie mit einer Delegation nach Japan, in der italienische Neofaschisten dabei sind. Und die haben zu Südtirol selbstredend ganz andere Ansichten. Das ist ein Eiertanz: Wo sie erwischt werden, ziehen sie sich zurück. Eine Linie gibt es aber: Strache möchte Anschluss bei den etablierten Rechtspopulisten finden, bei der Fraktion Europa der Freiheit und Demokratie. Das klappt aber nicht, weil gewichtige Stimmen dagegen sind, vor allem die Dänische Volkspartei. Deshalb versucht die FPÖ, einzelne Kollaborationswillige herauszubrechen.

Die FPÖ will also der Missing Link zwischen Rechtsextremen und Rechtspopulisten sein?
Ja, die FPÖ und der Vlaams Belang aus Belgien versuchen diesen Spagat. Meiner Meinung nach geht die derzeit größte Gefahr von diesen Grenzverwischungen aus: in Osteuropa zwischen Neofaschismus und Rechtsextremismus; in Westeuropa zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Die wichtigsten Rechtspopulisten halten aber zu Strache nach wie vor Distanz: Geert Wilders (Partei für die Freiheit/Niederlande), Pia Kjærsgaard (Dänische Volkspartei), Christoph Blocher (Schweizerische Volkspartei). Aber man muss da auch aufpassen. Um 2000 hat Lega-Nord-Chef Umberto Bossi über Haiders FPÖ noch gesagt: Das sind die Kinder von Nazis, wir sind die Kinder von Partisanen. Und heute ist der Lega-Nord-EU-Abgeordnete Mario Borghezio ein guter Freund von Mölzer, da gibt es keinerlei Berührungsängste mehr.

Noch einmal zurück zu Ungarn: Sie kritisieren in diesem Zusammenhang auch die Europäische Volkspartei.
Ich nenne das die "Verösterreicherung" Europas. Man muss nur die Reaktionen auf die schwarz-blaue Regierung in Österreich 2000 mit jener auf Ungarn heute vergleichen. Da spreche ich nicht von Jobbik, sondern von Fidesz. Regierungschef Viktor Orbán ist bekanntlich Mitglied der EVP, und man muss heute von einer Faschisierung Ungarns sprechen. Formal wird Ungarn eine Demokratie bleiben, aber die Werte gehen den Bach runter. Und die EVP schweigt dazu. Ähnliches ließe sich über Bulgarien sagen. Der Rechtsruck in Europa hat nicht zuletzt mit der Osterweiterung zu tun. Das bringt Mölzer ja in widersprüchliche Positionen: Er lehnte einerseits den EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien ab, hieß sie dann aber willkommen. Weil er wusste, dass das Europa stimmenmäßig nach rechts bringt. Er hatte zwei neue rechtsextreme Parteien im EU-Parlament, mit denen er eine Fraktion bilden konnte. Das ist die große Lehre, die er aus den Sanktionen 2000 gezogen hat: Wir müssen uns international vernetzen. Wir müssen den anderen Parteien helfen, zu wachsen. Man darf ja nicht vergessen: Die FPÖ ist die erfolgreichste rechtsextreme Partei in Europa. Alle anderen, die über 20 Prozent haben, sind Rechtspopulisten und keine Rechtsextremen.

Sie sprechen in ihrem Buch davon, dass das Schweigen der Großparteien den Rechtsparteien die Chance gibt, "mit der Wahrheit zu lügen".

Da gibt es zwei zentrale Felder. Erstens die EU-Politik: Es ist doch absurd, wenn Mölzer das Demokratiedefizit in der EU kritisiert! Er selbst lehnt ja das EU-Parlament prinzipiell ab, lehnt jede Befugniserweiterung ab. Das Problem ist, dass die EU als politisches Projekt verkauft wurde, aber nie mehr war als ein wirtschaftliches. Die Gegenposition zur Mölzer-Kritik kann jetzt nicht der Rückzug auf ein Kerneuropa oder auf die Nationalstaatlichkeit sein. Sondern noch schnellere Integration, Aufbau einer europäischen Sozial- und Rechtsstaatlichkeit. Derzeit ist die EU immer noch ein Nicht-Staat, und ein Nicht-Staat ist per se nicht demokratisierbar. Ähnlich ist es beim zweiten Punkt, dem Islamismus: Ja, es gibt den Islamismus und es gibt Antisemitismus unter Muslimen. Aber wie können Leute wie Mölzer den Islam als antisemitisch angreifen? Er hat ja über seine Zeitung Zur Zeit früher T-Shirts mit dem Bild des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und dessen Vernichtungsdrohung "A World Without Zionism" verkauft. Sowas ist nur möglich, weil die anderen Parteien hier eine Lücke lassen. Nur die Grünen haben sich da langsam besonnen, dass es Antirassismus UND Säkularismus braucht. Das heißt also: Wenn der Nazi-Mob eine Moschee stürmt, dann stelle ich mich natürlich davor, egal, was drinnen gepredigt wird. Aber ich muss mich natürlich trotzdem damit beschäftigen, was da drin passiert.

Ein zentrales Thema im Buch ist auch das Spiel mit der Angst vor dem "Untergang des Abendlandes". Sie sprechen von "Untergangstern".
Das Problem stellt sich seit dem Attentat von Oslo noch einmal anders. Es war gespenstisch, während der Endredaktion des Buches die Nachricht von diesem Massaker reinzubekommen: Da habe ich eigentlich das Bekennerschreiben von Oslo schon lange vor der Tat analysiert! Denn die zentralen Diskurse, aus denen es sich speist, sind in meinem Buch prominent bearbeitet. Das Geschäft mit der Angst wird verantwortungslos betrieben, die Tat war in diversen Pamphleten der Szene lange angekündigt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der individuelle Wahnsinn auf den kollektiven Wahnsinn trifft. Das ist so fatal an diesen apokalyptischen Diskursen: Sie ziehen den individuellen Wahnsinn an, der Paranoiker findet da eine Welt, die genauso aussieht, wie es in seinem Kopf aussieht. Wenn das zusammen kommt, dann kracht es. Es wäre ein leichtes gewesen, das Buch komplett umzuschreiben, Zitate rauszusuchen. Da hätte man wortidente Passagen beim Oslo-Attentäter und bei allen Rechtsparteien finden können. Aber das wollte ich nicht, ich will, dass die Leute den selben Aha-Effekt haben. Dass man merkt: Hey, das war alles absehbar. Es war längst angekündigt.

Woraus speist sich diese Angst vor dem Untergang?
Von einem fiktiven "Angriff auf Europa". Der von den USA, von den Jüdinnen und Juden ausgeht, man will Europa zerstören und beherrschen, indem man seine Völker auflöst und islamisiert. Das war mir in diesem Buch auch wichtig, zu zeigen: Dass auch dieser antimuslimische Diskurs im Kern antisemitisch ist. Jedenfalls findet diese Paranoia auf der Straße eine scheinbare, aber beobachtbare Bestätigung: In Wien gibt es heute mehr Frauen mit Kopftüchern als vor 15 Jahren. Das hat zwar verschiedene Gründe, aber der Paranoia ist das ja wurscht. Die sagt: Aha! Es droht der Untergang! Da ist ein geheimer Plan dahinter! Und plötzlich ergibt alles Sinn. Wenn man erst an den Masterplan glaubt, dann passen plötzlich selbst die disparatesten Elemente zusammen. Der Begriff "Untergangster des Abendlandes" ist ein Karl-Kraus-Zitat. Und es passt doch wunderschön: politische Kriminelle, die mit der Angst vor dem Untergang spielen. Die Angst ist ja real, es gibt einen steigenden wirtschaftlichen Druck. Wenn diese Angst aber auf solche Diskurse trifft, dann wird sie neurotisch.

Nun werden neue Sparpakete angekündigt, die Effekte der Krise werden spürbarer.
Das unterstützt diesen Effekt, natürlich droht dann ein Kanzler Strache. Verhindern müsste das letztlich die eigentliche Konkurrentin der FPÖ, die Sozialdemokratie. Wenn die Krise weiter auf die unteren Einkommen abgewälzt wird, dann ist das Humus für die FPÖ. Die SPÖ steckt in einer Sackgasse, in die sie sich selbst hineinmanövriert hat, sie hat sich an die Sachzwänge ausgeliefert und damit politisch handlungsunfähig gemacht.

Heißt das: Die richtige Antwort auf die FPÖ wäre also ein Linksruck der SPÖ?
Unbedingt. So viel Größe muss ja auch jeder Sozialdemokrat haben, zu sagen: Das, was in den letzten 20 Jahren seit Haiders Aufstieg versucht wurde, hat alles nicht funktioniert. Die FPÖ ist immer stärker geworden. Ich denke mir ja vor jeder Wahl: Jetzt müssen sie es doch endlich gelernt haben.

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