Causa Kampusch: "Finger auf der Wunde"

Causa Kampusch: "Finger auf der Wunde"
Ex-Höchstrichter Johann Rzeszut über Willkür, Systemfehler und die Rolle des FBI, das den Entführungsfall evaluieren soll.

Ausländische Experten sollen die Causa Kampusch aufgrund vieler offener Fragen (vor allem rund um mögliche Mittäter bzw. Mitwisser) neu evaluieren und dann eine Empfehlung abgeben, ob die Justiz den Entführungsfall neu aufrollen soll. Johann Rzeszut, ehemaliger Präsident des Obersten Gerichtshofes, war Mitglied der Evaluierungskommission im Fall Kampusch und hat den Grundstein gelegt für die jüngsten Ereignisse.

KURIER: Vor etwa eineinhalb Jahren haben Sie mit einem Schreiben an die fünf Klubobleute die neuen Entwicklungen im Fall Kampusch eingeleitet. Sind Sie überrascht, dass die Parteien einstimmig beschlossen, den Fall neu zu evaluieren?

Johann Rzeszut: Es ist ein Beweis dafür, dass die Ministerkontrolle durch das Parlament funktioniert. Überrascht bin ich über das Endergebnis nicht. Wer sich mit dem Fall genauer beschäftigt hat, der kann nicht überrascht sein.

Die Staatsanwaltschaft hat das offenbar anders gesehen. Oberstaatsanwalt Pleischl meinte, es sei alles bis zum Geht-nicht-Mehr ermittelt worden. Auch die Oberstaatsanwaltschaft in Innsbruck sah keine Verfehlungen der Staatsanwälte, wie in einem 600 Seiten starken Bericht zu erkennen ist.

Der Bericht aus Innsbruck ist eine Willkür-Orgie. Nur ein kleines Beispiel: In dem Bericht heißt es, selbst wenn man die Angaben der Zeugin der Entführung isoliert betrachtet, dass es zwei Täter waren, so ist eher anzunehmen, dass es nur ein Täter war. Da wurde von der Staatsanwaltschaft das krasse Gegenteil von dem abgeleitet, was die Zeugin mehrfach glaubhaft angegeben hat. Das ist abenteuerlich.

Was könnten die Motive sein?

Dazu will ich mich nicht äußern. Die äußeren Rahmenbedingungen sind jedenfalls so, dass hier offenbar gezielt vorgegangen wurde. Es handelt sich um ein Totalversagen der internen Fachaufsicht der Justiz. Ermittlungsverfahren müssen jeden Anschein vermeiden, Spielwiese für Gefälligkeitsseilschaften zu sein. Strafrechtliche Ermittlungen haben nicht die Aufgabe, ein Drehbuch zu bestätigen, sondern haben sich bedingungslos in den Dienst materieller Wahrheit zu stellen.

Nun sollen ausländische Experten dabei helfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Bereits 2008 waren FBI-Agenten in Wien und sind mit Ihnen und den anderen Mitgliedern der Evaluierungskommission zusammengetroffen. Wobei ging es damals konkret?

Es wurde erörtert, wie in den USA beim Auftauchen von Verdachtsmomenten verfahren wird. Ob strukturelle Instrumentarien vorhanden sind, die wir in Österreich nicht kennen und verwenden können. Es wurden auch Unterlagen zum Thema Tatortsicherung übergeben. Die Agenten hatten damals aktuell einen Sniper-Fall zu bearbeiten und uns auch aufschlussreiche Einblicke in Rasterfahndung gewährt.

Nun wird das FBI wieder Spezialisten nach Wien schicken, diesmal, um den Fall Kampusch zu evaluieren. Was können die Amerikaner und die deutschen Beamten vom BKA tun?

Sie haben keine Ermittlungskompetenzen und dürfen auch keine Befragungen oder Vernehmungen durchführen. Sie können aber beurteilen ob das, was bisher geschehen ist, sachgerecht ist oder nicht. Ich bin überzeugt davon, wenn ein Fachmann sich den Fall ansieht, dann kann er nach kurzer Zeit nur noch den Kopf schütteln über das, was da gelaufen ist. Allein der Aspekt, dass die Justiz in einem derart brisanten Fall bis auf das Opfer niemanden vernommen hat, spricht für sich. Die Aussage der Tatzeugin blieb völlig unbeachtet. Ein der Mittäterschaft verdächtiger Freund des Entführers wurde nur als Zeuge vernommen und niemals als Beschuldigter.

Nun sind Sie mit Ihren Argumenten durchgedrungen, obwohl Ihnen oft vorgeworfen wurde, Sie würden Verschwörungstheorien verbreiten.

Es geht nicht um Rechthaberei in einem Fall. Es geht um Systemkritik, nämlich dass es möglich ist, dass Entwicklungen in Richtung Gefälligkeiten gelenkt werden. Es geht darum aufzuzeigen, wie leichtfertig umgegangen wurde, wie Entscheidungsträger in höchster Ebene völlig unerklärlich agieren. Und das bei einer Fülle an Ermittlungsansätzen. Da muss man die Finger auf die Wunde legen. Damit so etwas nicht wieder passiert. Ich hatte mich Anfang 2010 damit abgefunden, dass man den Fall trotz aller Ungereimtheiten möglichst rasch zu den Akten legen wollte. Erst der tragische Tod meines Ermittlerkollegen Oberst Kröll hat mich dazu veranlasst, aufzustehen und keine Ruhe mehr zu geben.

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