Bakary J.: "Ich habe den Tod gesehen"

Bakary J.: "Ich habe den Tod gesehen"
Das Polizeifolter-Opfer wäre bei der Aktion fast gestorben. Dem KURIER gab er eines seiner wenigen Interviews.

Es war einer der größten Polizeiskandale in der Geschichte der Zweiten Republik. Der Gambier Bakary J. wurde 2006 von Beamten der Polizei in einer Lagerhalle in Wien gefoltert. Die Beamten zogen ihre Waffen und sagten: "Sprich dein letztes Gebet!" Und Bakary J. betete. Heute sitzt der 38-Jährige mit seiner Frau Michaela im Wohnzimmer ihrer Wiener Wohnung. Ein Interview über Vergebung, Vergessen und die Ereignisse jener Folternacht.

KURIER: Es dauerte sechs Jahre, ehe sich das Innenministe­rium bei Ihnen für die Folter entschuldigte. Die Beamten, die Sie quälten, durften bis zuletzt Dienst versehen. Wie schwer fällt es da, die Entschuldigung anzunehmen?

Bakary J.: Es ist der Beginn von Gerechtigkeit. Und vielleicht gibt es irgendwann so etwas wie Normalität für mich. Ich glaube aber, dass eine Entschuldigung zu einem früheren Zeitpunkt wichtig ge­wesen wäre. Nicht nur wegen mir, sondern als Zeichen innerhalb der Polizei, dass Folter nicht toleriert wird.

Im Fernsehen haben Sie Innenminister kommen und gehen gesehen. Haben Sie überhaupt noch an eine Geste der Versöhnung geglaubt?

Bakary J.: Ja. Und das Team, das nun Ressortverantwortung trägt, ist offensichtlich bemüht, das Richtige zu tun. Die Betroffenheit war aufrichtig. Ich hoffe, dass diese Einsicht auch bei der Polizei selbst gegeben ist.

Michaela J.: Im Grunde hat sich ja bis heute kein Minister zu dem Fall geäußert. Und die Geste wäre ohne die Falter-Enthüllungen wohl ausgeblieben. Aber ja, es war ein erster, wichtiger Schritt, aber eine "angemessene Entschädigung" für das, was geschehen ist, gibt es nicht. Die müsste erst erfunden werden.

Wie oft holt Sie die Folter von jenem 7. April 2006 ein?

Bakary J.: Jeden Tag. Ununterbrochen. Zu viele Sachen sind passiert. Ich habe den Tod gesehen. Die WEGA-Beamten sagten, ich würde sterben, sie hätten den Auftrag, mich zu töten. "Wir haben dich, Mother­fucker", sagten sie. In der Lagerhalle trugen drei der vier Beamten Sturmhauben und Handschuhe. Da wusste ich: Sie meinen es ernst. Sie fragten mich, ob ich Adolf Hitler kenne? Ich sagte: "Nein, ich weiß nur, dass er sechs Millionen Juden tötete." Einer der Beamten sagte darauf: "Du bist Nummer sechs Millionen und eins. Ich hasse Schwarze und Juden." Sie haben mich aus dem Polizeibus gezerrt, ich habe um mein Leben gefleht, aber sie schlugen nur wild auf mich ein, bis ich halb tot dalag. Dann zogen sie ihre Pistolen und sagten: "Sprich dein letztes Gebet!" Ich sollte diesen Tag nicht überleben. Danach fuhr mich einer Beamten mit dem Auto an. Dann wurde es dunkel.

Die Beamten dachten, Sie seien tot?

Bakary J.: Als ich im Polizei­wagen das Bewusstsein wiedererlangte, sagte ich: "Bringt mich ins Spital!" Einer meinte: "Unglaublich, er hat überlebt. Fahr schnell! Besser, er stirbt im Krankenhaus." Auch im AKH haben Sie mich nicht genau untersucht. Ich habe nur eine Tablette und eine Halskrause bekommen. Sechs Wochen später stellten Ärzte fest, dass ich ein komplexes Bruch­system im Bereich der oberen rechten Gesichtshälfte habe, die das Stirnbein, die Augenhöhle und das rechte Jochbein umfasste.

Bakary J.: "Ich habe den Tod gesehen"

Nach der Folter kamen Sie wieder in Schubhaft?

Bakary J.: Ja, für vier Monate. Ich kam in die Absonderungszelle. Acht Tage habe ich auf einem Betonbett geschlafen, das Klo war in den Boden eingelassen. Es gab keine Fenster und das Licht brannte 24 Stunden. Ich hatte am ganzen Körper Schmerzen. Der Doktor und die Polizisten lachten mich nur aus. Ich bekam keine Medizin. Erst als der dama­lige UN-Sonderbeauftragte für Folter, Manfred Nowak, mich sah, wurde ich verlegt.

Michaela J.: Ich erfuhr nur zu­fällig, dass Bakary nicht nach Gambia geflogen worden war. Ich besuchte ihn in der Schubhaft. Als ich ihn sah, hab ich Handyfotos gemacht und Anzeige erstattet. Sonst wär das totgeschwiegen worden. Auch im Gutachten des Polizei­arztes stand nichts von groben Verletzungen.

Jener Polizist, der die Lagerhalle geöffnet und bei der Tat zugesehen hat, versieht noch Dienst. Verstehen Sie das?

Bakary J.: Nein. Er hat die Tat ja gewissermaßen ermöglicht. Er öffnete die Halle und vertrieb einen Obdachlosen, der dort schlief.

Kann man nach so etwas wieder Vertrauen in die Polizei oder in den Staat fassen?

Bakary J.: Mein Vertrauen wurde zerstört. Natürlich habe ich auch sehr zuvorkommende Menschen in Österreich getroffen – selbst bei der Polizei. Vertrauen ist aber schwierig. Man wird paranoid und misstrauisch.

Für manche Politiker und Medien waren Sie schlicht der "Drogendealer", als recht­fertige es das Geschehene.

Bakary J.: Ich habe Fehler gemacht, ja. Aber ich hab’ dafür gebüßt und 17 Monate wegen Drogenbe­sitzes abgesessen. 2001 saß ich in U-Haft, wurde aber freigesprochen .

Sie haben Ihrem Mann trotz alledem die Treue gehalten. Wieso?

Michaela J.: Ja, obwohl für mich damals eine Welt zusammenbrach. Aber Bakary war unseren Kindern stets ein guter Vater. Jeder Mensch kann Fehler machen. Außerdem glaubte ich ihm, dass er von dem Kofferinhalt, um den es damals ging, nichts wusste. In den Medien hieß es immer, er sei mehrfach vorbestraft, was aber nicht stimmte. Im Gegenteil: Bakary hat immer gearbeitet. Er lag niemandem auf der Tasche.

Sie sind verheiratet, haben drei Kinder, Ihre Zukunft ist aufgrund des zehn Jahre alten Aufenthaltsverbots aber nach wie vor ungewiss.

Michaela J.: Natürlich würden wir uns einen Aufenthaltstitel für Bakary wünschen. Ich glaube auch, dass die Re­publik hier einiges gutzu­machen hat. Mein Mann schläft kaum, er benötigt nach sechs Jahren noch immer Medikamente. Er ist in Therapie und lebt ständig in Angst. Und die Gefahr, dass das sein ganzes Leben lang so bleiben wird, ist groß. Dabei wollen wir nicht mehr, als das Leben einer normalen Familie führen. Mit dieser Geschichte wäre das auch mit einem Pass schwierig genug.

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?

Bakary J.: Ich träume davon, wieder ein gesundes und normales Leben mit meiner Familie zu führen. Davon, dass meine Kinder weiter erfolgreich in der Schule sind. Der älteste Sohn, Dominik, absolviert gerade eine Lehre, die beiden anderen, Marcel und Amina, sind sehr gute Schüler. Und ich möchte meinen Kindern weiter ein guter Vater sein.

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