Zum Bäcker und ins Puff

Zum Bäcker und ins Puff
Wie die neue Nachbarschaft Österreichs mit Tschechien und Slowenien läuft.

Staats- und Regierungschefs paradierten über Grenzbrücken, EU-Fahnen wurden gehisst, völkerverbindende Reden geschwungen: Der EU-Beitritt der ehemaligen Ostblockstaaten in unserer Nachbarschaft am 1. Mai 2004 war wohl der historische Feiertag für die EU. Exakt zehn Jahre sind seither vergangen: Aus dem Feiertag ist Alltag geworden, und der ist bis heute nicht ganz problemlos.

Trennendes

Zwischen Österreich und seinen Nachbarn im Norden, Süden und Osten gibt es zwar keine Grenzbalken mehr, aber noch immer viel Trennendes, aber doch auch eine neue Form des Miteinander. KURIER-Reporter waren auf Lokalaugenschein.

An der Grenze zu Tschechien zwischen Drasenhofen und Mikulov dominiert bis heute die Skepsis gegenüber den Nachbarn, auch wenn neue Radwege und hübsch herausgeputzte Altstadtgassen locken. Bad Radkersburg und Gornja Radgona wirken anders: Die Verbindung ist eng, vielleicht auch wegen der gemeinsamen Geschichte als eine Stadt.

Man muss sie schon suchen, die Staatsgrenze. Nur wer genau schaut, findet am Boden der Murbrücke einen Hinweis: Da steht Oe auf einem Stückchen Metall, dort RS. "Unsere Gäste finden das immer faszinierend", schmunzelt Bürgermeister Josef Sommer, ÖVP. "Die gehen zum Nordic Walking und spazieren einfach so von Österreich über die Brücke nach Slowenien."

Sein Rathaus in Bad Radkersburg, am südöstlichen Zipfel der Steiermark, trennen vielleicht ein, zwei Kilometer vom Rathaus Gornja Radgonas. 1920 wurde die Stadt geteilt, als Folge des Friedensvertrages von St. Germain nach dem Ersten Weltkrieg. Ein Teil blieb bei Österreich, der andere kam zum damaligen SHS-Staat aus Slowenien, Kroatien und Serbien.

Eigentlich hätte ganz Radkersburg slowenisch werden sollen, doch kämpferische Österreicher wehrten sich dagegen. Heute noch wird jährlich des Aufstands vom 4. Februar 1919 gedacht, der zwar missglückte, aber letztlich ein Jahr später mit der Teilung und Verschiebung der Grenze doch noch den erhofften Ausgang fand.

Gemeinsame Projekte

Die Feiern sind beinahe ein Anachronismus der Geschichte. Denn was getrennt wurde, lebt und arbeitet seit Jahrzehnten gut zusammen. Nicht erst seit dem EU-Beitritt Sloweniens vor zehn Jahren. "Wir haben vieles schon davor gemacht", betont Stadtchef Sommer, auch wenn es dank der Union noch viel mehr gemeinsame Projekte gebe. Wöchentliche Treffen der Bürgermeister, gemeinsamer Hochwasserschutz, gemeinsame Ufergestaltung des Flusses, der (Grenz-)Mur.

Zuletzt wurde auch das letzte Relikt einer vergangenen Zeit abgebaut: Anstelle der Häuschen der Zoll- und Grenzstation wurde in Bad Radkersburg ein kleiner Park errichtet. Zwei der containerartigen Gebäude blieben aber, heute sind sie Kunstinstallationen.

Brot am Sonntag

Wer sich in Bad Radkersburg umhört, bekommt keinerlei Abgrenzung zu Gornja Radgona zu spüren. "Wir radeln gern rüber", schildert eine Pensionistin. "Am Sonntag haben dort die Bäcker offen, das ist dann schon fein." Das funktioniert auch in die andere Richtung: Autofahrer aus Gornja Radgona tanken doch lieber in Bad Radkersburg. "Das ist billiger", grinst ein junger Pkw-Lenker in perfektem Deutsch.

Auch das gehört in der zweiteiligen Grenzstadt dazu: Kaum ein Bewohner der slowenischen Stadt, der nicht Deutsch spricht. "Die Sprache ist vielleicht noch das Trennendste", überlegt Bürgermeister Sommer. "Aber man muss sagen, fast alle Slowenen sind der deutschen Sprache mächtig, während umgekehrt kaum ein Österreicher Slowenisch spricht."

In den höheren Schulen Bad Radkersburgs ein BORG und eine HTL sind Festreden in beiden Sprachen gang und gäbe: Bis zu einem Drittel der Schüler pro Jahrgang sind slowenische Staatsbürger. Von den 2000 Pendlern, die täglich in den Tourismusort zum Arbeiten kommen, ist ebenfalls ein Viertel aus Slowenien. Das für die Südoststeirer aus Bad Radkersburg nächstgelegene Skigebiet liegt in Slowenien, dafür lernen slowenische Schulkinder in der Parktherme in der Steiermark schwimmen.

Lückenschluss

"Das weiß man hier seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dass man einander braucht", schildert Bürgermeister Sommer. "Das war hier nie eine so in sich geschlossene Grenze wie zu Tschechien oder Ungarn." Seit 1952 die erste Behelfsbrücke über die Mur eröffnet wurde, "ist die Verbindung zwischen den Städten mehr und mehr geworden". Derzeit arbeiten Bad Radkersburg und Gornja Radgona daran, dass sie noch enger wird: Die eineinhalb Kilometer lange Lücke in der Bahnstrecke zwischen den beiden Städten soll wieder geschlossen werden.

"Die Grüßgotts", nennt man sie spöttisch, die Österreicher, die mit eben diesem Gruß in ein Geschäft oder Wirtshaus stürmen: So als gäbe es keine Grenze, und schon gar keine Sprachgrenze mehr.

Es gibt sie beide, auch zehn Jahre nach dem EU-Beitritt Tschechiens. Auch wenn die einst Respekt einflößenden Gebäude der Grenzwache inzwischen verfallende Geisterhäuser sind.

Wer wissen will, wann er es tatsächlich über die Staatsgrenze und hinüber zum Nachbarn geschafft hat, kann sich inzwischen nach ganz anderen Einrichtungen orientieren. Kein Grenzübergang nach Tschechien, bei dem nicht gleich dahinter krachbunte Bordelle "Täglich frische Mädchen" anpreisen. Dort und bei den ebenso farbenfrohen Casinos nebenan ist alles großzügig auf Deutsch beschildert.

Doch das verliert sich rasch. In der prächtigen Altstadt des Grenzortes Mikulov ist in Auslagen und Hotelfoyers öfter Polnisch oder sogar Russisch zu finden. Auf der Durchreise in den Süden würden Polen oder Ukrainer gerne in Mikulov auch über Nacht Halt machen, erzählen die örtlichen Zimmervermieter. Die Österreicher dagegen: "Die kommen in Gruppen, machen schnell einen Stadtrundgang und sind nach einer Stunde wieder weg."

Tatsächlich sind Besucher aus Österreich in Mikulov kaum zu finden, nicht in den Cafés, und auch nicht in den Sehenswürdigkeiten wie dem barocken Schloss. Eine Führung auf Deutsch? Danach muss man an der Kasse des Schlosses schon auf Tschechisch fragen, um verstanden zu werden. Und, nein, die gebe es nur auf telefonische Vorbestellung.

Vertraute Tradition

"Die Sprachbarriere ist sehr hoch, auf beiden Seiten", erklärt sich ein Immobilienmakler das fehlende Interesse aus dem Nachbarland. Ein Projekt, günstige Seniorenresidenzen hier anzubieten, habe man rasch wieder abgeblasen. Gerade ältere Leute würden sich hier in Tschechien fremd fühlen.

Dabei ist in einem Städtchen wie Mikulov – von der Sprache einmal abgesehen – so gut wie alles vertraut. Die gleichen barocken Stadthäuser und Pestsäulen, die gleichen Kellergassen, die gleichen Weinsorten wie drüben in Niederösterreich. Und wer mit Tschechisch einigermaßen hantieren kann, kommt bald drauf, dass sogar die Mehlspeisen , vom "Indianer mit Schlag" bis zur "Wiener Sachertorte aus Mikulov", die gleichen sind. Tradition verbindet eben.

Doch viel kann man mit dieser Tradition nicht anfangen, zu schwer lastet die Geschichte auf dieser Grenze: Nationalsozialismus, Vertreibung, Eiserner Vorhang.

In Tschechien witzelt man gerne über die kleinlichen Österreicher, die von ihrem vielen Geld immer nur möglichst wenig ausgeben wollten. Diesseits der Grenze, in Drasenhofen, bekommt man am Wirtshaustisch dagegen ernste Sorgen mit der offenen Grenze aufgetischt. Einbrüche und Diebstähle, die seien hier in den Ortschaften einfach dramatisch angestiegen seit der "Ostöffnung". Sogar den Diesel aus den Traktoren würden die Kriminellen aus dem Nachbarland stehlen – und manchmal gleich den ganzen Traktor dazu.

Neugierig sei man damals, gleich nach der Grenzöffnung, rübergefahren, zum Einkaufen. "Später dann ins Puff", scherzt einer, "weil’s billiger war als bei uns." Aber das sei jetzt auch vorbei. Ins Casino nach Mikulov würden ein paar aus der Umgebung regelmäßig fahren, manche aber eher wegen des Gratis-Essens als wegen der Roulettetische.

Groß profitiert jedenfalls scheint hier von der offenen Grenze niemand zu haben. Man lebt nebeneinander her, beäugt mit Misstrauen, was sich auf der anderen Seite tut. Und wenn dann drüben – wie in Mikulov eben – die Altstadtgässchen auf einmal schöner sind als im eigenen Ort, bekommen die Scherze einen bitteren Beigeschmack: "Da könnte man glauben, dass wir jetzt der Ostblock sind."

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